Wenn im Paar das Licht ausgeht

 

Die Tänzerin, Tangolehrerin und Autorin Veronica Toumanova dürfte in der Szene recht bekannt sein; ihre Artikel werden – so weit ich das sehe – von vielen geschätzt. Selber habe ich einige Male Texte von ihr vorgestellt und besprochen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/01/deutliches-von-toumanova.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2017/03/warum-es-so-wenig-tanz-gibt-wenn-leute.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2017/07/viel-tinte-von-toumanova.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2016/07/veronica-der-text-ist-da.html

Auf ihrer Facebook-Seite hat sie nun einen längeren Beitrag zur Causa Naveira eingestellt, den ich für bemerkenswert halte. Ich fasse ihn zusammen und habe einige Passagen übersetzt:

Die Autorin betont zunächst, länger nachgedacht, sich informiert und ihre Worte sorgfältig abgewogen zu haben – schließlich sei sie auch Teil dieser Branche. Eine Erkenntnis, welche übrigens nicht alle ihre Kollegen befällt…

Sie findet, es sei kein „Pärchenstreit“ gewesen, der zu weit gegangen sei. Gustavo Naveira habe seine langjährige Partnerin „öffentlich gedemütigt“ – in einem „Akt der emotionalen Gewalt“. Aber das sei auch unprofessionell und respektlos „gegenüber dem Publikum, den anderen Künstlern und den Veranstaltern“ gewesen. Das Ehepaar Naveira gehöre zu den „bestbezahlten Fachleuten der Branche“ – vielleicht  seien ihre Honorare sogar die höchsten überhaupt. Aus guten Gründen. Gustavo habe sich aber nicht um seine Arbeit gekümmert.

Bei einem solchen Vorfall gerate das Publikum in Schockstarre und sei so fassungslos, dass es dagegen nichts sagen oder tun könne.

Veronica Toumanova plaudert nun aus dem Nähkästchen:

„…es ist nicht das erste Mal, dass er Giselle Anne öffentlich demütigt. Ich habe das einmal während eines Workshops in den Jahren 2004-2005 selbst miterlebt. Es war ihr sichtlich peinlich, aber sie machte weiter, als wäre nichts geschehen. Ich erinnere mich, dass alle Frauen im Kurs kollektiv aufstöhnten, aber niemand sagte oder tat etwas. Ich habe auch nichts gesagt oder getan. Ich war nur eine Schülerin, sie waren die Stars.“

Es scheine, als ob die Verantwortung in einer solchen Lage beim Opfer liege. Hätte Giselle Anne die Show bis zum Ende mitgemacht, wären wohl Gerüchte entstanden, mehr nicht. Aber sie hat sich gewehrt. Wenn solche Dinge, so die Autorin, öffentlich passierten, sei es im Privaten oft noch schlimmer. Sie betont aber, die beiden nicht näher zu kennen. Und sie hoffe, sich zu irren.

Für eine Entschuldigung wie die von Naveira brauche man Anstand – während seine Partnerin Mut bewiesen habe, als sie sich schließlich weigerte, den Auftritt fortzusetzen.

Die Autorin bekennt, gegenüber einem Partner bei einer Probe auch einmal die Beherrschung verloren zu haben. Das sei sehr verletzend für ihn gewesen, und sie habe das Ganze abgebrochen und sich entschuldigt. Naveira aber habe sein Verhalten in die Länge gezogen und sei schließlich abgehauen:

„Erzählen Sie mir jetzt, dass Frauen die emotionalen Menschen sind.“

Der Autorin hat vor allem der „herzzerreißenden Moment“ zugesetzt, als der Tänzerin klar wird, dass der Partner nicht wieder zur Vernunft kommen wird, „und alles Licht in ihr erlischt.“ Sie schreibt weiter:

„Die meisten weiblichen Profis wurden schon einmal von ihren männlichen Partnern gemobbt, nicht unbedingt öffentlich, aber die meisten von uns kennen diesen Moment, in dem das Licht ausgeht, weil der Partner durchdreht. Das können kleine Dinge sein: unhöfliche Bemerkungen, Beschimpfungen, Ungeduld, Spott. Es kann auch ein regelrechter Wutanfall sein. Meistens hinter verschlossenen Türen. Meistens beim Üben. Tyrannisieren auch Tänzerinnen ihre männlichen Partner? Einige schon. Aber da es mehr gute weibliche Folgende als gute professionelle männliche Führende gibt, und vor allem in Paaren, in denen er als brillant gilt und sie sich glücklich schätzen kann, ihn zu haben, missbrauchen männliche Tänzer oft ihre Macht. Man nennt das auch Patriarchat.“

Die Autorin vermutet, die Folgen dieser Affäre würden auch Giselle betreffen, obwohl die keine Schuld trägt. Wenn Gustavo nicht mehr tanze, werde sie das auch nicht mehr tun, jedenfalls nicht mit ihm.

„Wären die Rollen vertauscht, hätten wir die Frau wahrscheinlich als hysterisch, als labiles Miststück, als verwöhnte Prinzessin abgestempelt. Hätten wir so viel Mitgefühl für sie, wie wir jetzt für Gustavo zu haben versuchen, indem wir seine Entschuldigung loben, seine Leistungen feiern und betonen, wie viel er zur Entwicklung des Tangos beigetragen hat? Oh, er hat also allein beigetragen? Keine seiner Partnerinnen?“

Veronica Toumanova hofft, „dass wir uns als Gemeinschaft nun unserer eigenen Verantwortung stärker bewusst werden. Dass die Organisatoren daraus lernen.“ Und sie wünsche Giselle Anne, das ihr nie wieder das Licht so ausgehe.

Ich habe bereits dargetan, bei solchen Hoffnungen wenig optimistisch zu sein. Wieso eigentlich kann man überheblichen Stars im Workshop nicht mal sagen, sie sollten ihre dummen Sprüche steckenlassen? Oder sich eines freundlicheren Tons befleißigen? Oder zumindest aufstehen und gehen, wenn einem klar wird, dass man nichts lernt? Nur, weil man die Kursgebühr nicht verfallen lassen will? Warum hat das Publikum in Los Angeles den missglückten Auftritt zunächst sogar laut bejubelt? Ich finde, es ist an der Zeit, unsere Schockstarre" aufzugeben!

Viele werden mir weiterhin nicht glauben, wenn ich die ungesunde Hierarchie im Tango dafür verantwortlich mache. Und unbeirrt irgendwelche „Lichtgestalten“ in der Szene kritiklos bewundern. Und sich weiterhin über die strahlende Welt der Promis in Zeitschriften wie „Bunte“, „Gala“ oder „Tangodanza“ informieren. Der Mensch lebt von Illusionen. Apropos:

Ich kann immerhin auf etwa 1000 Auftritte als Zauberer und Moderator zurückblicken, die ich mit meiner Frau absolviert habe  glücklicherweise relativ selten müde, krank oder in übler Stimmung. Gelegentlich waren Publikum und Auftrittsbedingungen durchaus dazu geeignet, aus der Rolle zu fallen. Passiert ist uns das in der Form nie – und schon gar nicht, weil wir einen Ehekrach ins Programm mitnahmen. Hätten wir es getan, wären wir böse abgestraft worden – schon deshalb, weil wir nicht prominent genug waren.

Wir hielten uns stets an den Satz: „Das Publikum hat immer recht.“

 Im Tango bin ich mir da nicht mehr sicher…  

Quelle: https://www.facebook.com/veronica.toumanova/posts/pfbid02AnF33yxMFiwDzgcP8JbjLczs4dXxF8XaKkHTSwhRx9t2eCpvsJSzijUixRmAocvFl

Zur Entspannung lassen wir Veronica Toumanova noch vortanzen:

https://www.youtube.com/watch?v=dS6KIBhPGLs

Kommentare

  1. Alles gut so, Gerhard, nur zwei Punkte:

    Wären die Rollen vertauscht gewesen, hätte sie ihn also angemault und brüsk auf der Fläche stehen gelassen, hätten wir meines Erachtens nach gerätselt, was der Typ wohl angestellt haben mag, dass sie so reagieren muss. Und es wären eher beide ausgeschlossen worden als sie alleine.

    Na und in der Gilde der Zauberkünste, da scheinen mir drastisch mehr Männer mit weiblichen Assistentinnen aufzutreten als umgekehrt. Von gleichen Anteilen wäre man dann weiter entfernt als beim Tango - oder täuscht das?

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    1. „Was wäre, wenn“-Spekulationen sind meist unzuverlässig. Ich meine, man interpretiert da oft die eigenen Erfahrungen hinein. Und die sind halt verschieden.
      Ja, in der Zauberei ist das Missverhältnis extrem. Der Hang, sich für den Größten zu halten, ist riesig. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich nur ganz wenige Kontakte mit Kollegen hatte. Vermutlich hätte es mehr Zusammenarbeit mit Kolleginnen gegeben. Frauen agieren halt sozialer.

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  2. "Wieso eigentlich kann man überheblichen Stars im Workshop nicht mal sagen, sie sollten ihre dummen Sprüche steckenlassen? Oder sich eines freundlicheren Tons befleißigen? Oder zumindest aufstehen und gehen, wenn einem klar wird, dass man nichts lernt? Nur, weil man die Kursgebühr nicht verfallen lassen will? "
    Ich habe es tatsächlich schon gewagt, einen solchen überheblichen "Meister" im Unterricht zu kritisieren. Es war zwar nicht im Tango, sondern ein Lambada-WS, aber das Macho-Gehabe war das Gleiche. Der Lehrer zeigte kurz die Männerschritte, um dann ohne weitere Erklärungen vorzuführen, wie toll er doch tanzen kann. Meiner Bitte, doch auch die Frauenschritte zu erklären, kam er gnädigerweise zwar nach, aber ich durfte mir danach etliche dumme Sprüche anhören. Den Rest des Kurses hab ich mir dann erspart.
    Einen anderen Kurs habe ich verlassen, nachdem die Lehrerin meinte, eine bestimmte Figur wäre nur im Hohlkreuz möglich....nur weil sie es nicht anders konnte.
    LG Carmen

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    1. Liebe Carmen,

      solche Erfahrungen haben wohl viele von uns gemacht. Ich denke da an unsere ersten Tangolehrer (du wirst wissen, wen ich meine): Da wurde man vor allem von der Dame des Paars schon mal heftig zusammengestaucht, wenn ihr nicht gefiel, was sie sah.
      Zu einer Milonga-Bewegung, die ich mir irgendwo abgeschaut hatte, meinte sie, die „Figur“ gebe es so nicht. Für mich war es der Anlass, mir weitere Kurse zu ersparen. Und als wir dann vom „Chef“ auf einer Milonga dumm angeredet wurden, blieben wir ganz weg. Einige Zeit später brachen die beiden dann ihre Zelte ab.
      Wenn sich die Kundschaft nicht alles gefallen lässt, kann das durchaus ein Umdenken bei den Lehrenden bewirken. Leider ist das im Tango eher die Ausnahme.

      Danke und liebe Grüße
      Gerhard

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    2. Bei der Dame bin ich auch in Ungnade gefallen, weil ich es gewagt hatte, eine Kursstunde zu schwänzen, um einen anderen WS zu besuchen...
      LG
      Carmen

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    3. Na klar: "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben."
      Man könnte solche Dinge doch im Unterricht aufgreifen, indem man fragt, was man bei der Konkurrenz gelernt hat. Neue Impulse und so...

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