Carlos, Astor und Jochen

„Jokele, gang du voran! Du hast die größten Stiefel an!“ („Die sieben Schwaben“)

Der Kollege Jochen Lüders hat nun ebenfalls, wie von mir erhofft, in einem Artikel zu den Altersproblemen im Tango Stellung bezogen.

Als Abhilfe, so der Autor, sei es natürlich nicht damit getan, nur auf den Milongas von den historischen Aufnahmen wegzukommen: „Nur wenn man bereits im Unterricht lernt, dass man Tango nicht nur zu 90 Jahre alter Uralt-Musik tanzen kann, werden jüngere Leute überhaupt auf Milongas auftauchen.“

Ich wüsste nicht, dass ich dies je bestritten hätte. Im Gegenteil habe ich dazu schon konkrete Vorschläge gemacht:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/05/so-konnte-tangounterricht-sein.html

Aber das war Lüders auch wieder nicht recht. Mit Blick auf mich schrieb er: „Stattdessen schlägt er offenbar ernsthaft vor, Anfänger zu der ‚wunderschönen Ballade‘ von Las Sombras ‚tanzen‘ zu lassen. Hat er das schon mal ausprobiert? Falls ja, wie waren denn die Reaktionen der Schüler? Konnten sie zu dieser Musik entspannt gehen? Falls nein, warum nicht? Könnte es was mit der Musik zu tun haben?“

https://jochenlueders.de/?p=15695

Ja, wir haben in Pörnbach schon öfters zu solchen Aufnahmen getanzt. Größere Schwierigkeiten als historische Einspielungen bieten die nicht. Sie klingen halt zeitgemäßer. Aber vielleicht sollte ich den Kollegen auch mal fragen, in welcher Weise er seine Ideen schon umgesetzt hat. Schließlich ist er im Gegensatz zu mir Tangolehrer.

Dummerweise habe ich in dem besprochenen Artikel Gardel und Piazzolla erwähnt, wobei es mir natürlich nicht darum ging, auf diesen Künstlern die Musikprogramme von Milongas aufzubauen. Würde sich Herr Lüders mal mit einigen der über 80 Playlists befassen, die ich veröffentlicht habe, wäre das klar zu erkennen. Ich finde nur, das Schaffen der beiden völlig zu ignorieren, geht auch nicht.

Nach meiner Erfahrung brennen sowohl bei Traditionalisten wie auch bei Neotango-Vertretern die Sicherungen durch, wenn man über Tango nuevo spricht. Klar – sie ignorieren ihn ja beide.

In einem hat Jochen Lüders allerdings recht: Mir ist es völlig egal, ob Piazzolla oder er meinen sollten, dass zu dieser Musik „nicht getanzt werden soll“. Ich pflege da weder Komponisten noch DJs um Erlaubnis zu fragen. Ob eine schöne Piazzolla-Ballade (nicht nur „Oblivion“) so ganz am Geschmack jüngerer Menschen vorbeigeht, müsste man mal ausprobieren. Und wenn er meint, der Tanz von Jugendlichen bestehe vorwiegend in zu dynamischer Musik zuckenden Beinen, so verarbeitet er da möglicherweise Traumata aus seiner eigenen Pubertät, wo die Mädels sich eine coolere Type rausgesucht haben.

Und was Carlos Gardel betrifft: Vielleicht darf ich den DJ bescheiden darauf hinweisen, dass der Sänger sehr viele Titel komponiert hat – und Stars des Tango haben sie rauf und runter interpretiert. Auch moderne Ensembles. Man kann also viele Stücke von ihm auflegen, ohne jungen Menschen mit „Historien-Schmus“ zu kommen. Wobei man auf den üblichen Milongas ja auch nichts dabei findet, die junge Generation (so sie anwesend ist) mit „unerträglich schmalzigem Geknödel“ zu erfreuen. Nur bei Gardel scheint das gar nicht zu gehen.

Herr Lüders bescheinigt mir, mein diesbezügliches Engagement sei „völlig sinnlos“, in gewisser Hinsicht auch „tragisch“, da ich „unfähig“ (oder „nicht willens“) sei, zwischen dem „eigenen Musikgeschmack und dem der Tango-Gemeinde“ zu unterscheiden. Daher sei ich im Hinblick auf Piazzolla „auf ganzer Linie gescheitert“. Aber warum regt man sich so auf, wenn ich eh keinerlei Einfluss habe?

Ich mag auf solche Ausfälle nicht mit gleicher Münze zurückzahlen, das ist nicht mein Stil. Die Unterscheidung zwischen meinen musikalischen Präferenzen und denen vieler anderer gelingt mir jedoch weitaus besser als vielen Tango-Propheten, die uns ständig erzählen, welche Musik auf den Milongas „nicht erlaubt“ respektive „untanzbar“ sei. Ich  werbe lediglich – wie immer wieder betont – für meinen eigenen Geschmack. Und Herr Lüders muss selber beurteilen, ob es junge Menschen in seinen Unterricht zieht, wenn er sie im Stil eines pensionierten Sportlehrers abkanzelt. Oder lässt er dort diese Sprüche, weil es Geld kosten könnte?

Eigentlich könnten solche Themen eine gute Gelegenheit für einen Wettbewerb der Ideen sein. Und das mit natürlicher statt künstlicher Intelligenz. Auch Jochen Lüders bringt Vorschläge, die ich für durchaus diskutabel halte. Stattdessen debattieren nun ältere Herren darüber, wieso die Anregungen der anderen nichts wert seien. Das ist typisch für unseren Tanz: Fest steht nur, was nicht geht.

Ich dagegen meine: Der Misserfolg im Tango ist lediglich garantiert, wenn wir so weitermachen wie bisher. Leider spricht fast alles dafür.

Hier der Originaltext: https://jochenlueders.de/?p=17196

P.S Im Film „Scent of a Woman“ („Der Duft der Frauen") setzte man als Musik für einen Tanz Gardels Klassiker „Por una Cabeza“ ein. Man wird gewusst haben, warum. Und Al Pacino gewann mit dieser Rolle einen Oscar.

https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Duft_der_Frauen_(1992)

https://www.youtube.com/watch?v=F2zTd_YwTvo

Kommentare

  1. > "P.S Im Film „Scent of a Woman“ [...] „Por una Cabeza“ ein.

    Stimmt, und zwar in einer wunderbaren MODERNEN Einspielung mit Itzhak Perlman, John Williams und Pittsburgh Symphony Orchestra. Also NICHT die Originalfassung von Gardel. Man wird gewusst haben, warum.

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    1. Also, lieber Jochen Lüders, genau das habe ich ja auszudrücken versucht: Um auch jüngere Menschen zu überzeugen, muss man nicht die Originalversionen Gardels aus den beginnenden 1930er Jahren spielen. Es gibt wunderbare moderne Bearbeitungen. Wobei man hier diesen Begriff schon nachsichtig verwenden sollte.
      Trotzdem seltsam: Da spielt ein klassischer Geiger mit einem Symphonieorchester einen Gardel-Titel. Und den hat die Sänger-Legende Mozarts Rondo für Violine und Orchester C-Dur (KV 373) nachempfunden. Wo bleiben denn da Ihre galligen Bemerkungen, „musealer“ gehe es wirklich nicht?
      Vielleicht könnte man sich dazu verständigen, dass es halt gute und schlechte Musik gibt, statt sich im Tango dem Schubladen-Befüllen zu widmen.

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  2. Vorweg gesagt: Ich habe eine Tanzlehrer-Ausbildung, aber für einen anderen Bereich, nicht im Tango. Die Grundlagen sind aber meiner Meinung nach nicht so unterschiedlich, daher erlaube ich mir, mitzureden.
    Ein wenig muss ich Herrn Leders zustimmen, für absolute Anfänger, die gerade mal die Basics (wie z.B. das Gehen) lernen, ist für die Musik ein klarer, durchgängiger und nicht zu schneller Rhythmus angebracht. Aber spätestens, wenn die ersten Basics soweit funktionieren, dass zusammenhängende Kombis getanzt werden können, sollte man anfangen auf unterschiedliche Musik mit mehr Dynamik zu tanzen. Es wird doch immer wieder betont, dass Tango Improvisation ist.
    Auf unsere Tango Nuevo Milongas kommen immer wieder auch mal Anfänger. Da kommt vielleicht schon mal eine Bemerkung, dass die Musik aber schon etwas anspruchsvoll sei, aber bis jetzt ist noch niemand deswegen gegangen. Im Gegenteil, die haben sich der Herausforderung gestellt und getanzt. Und sich hinterher für die tolle Musik bedankt!
    Liegt vielleicht auch mit daran, dass wir als Veranstalter es als unsere Aufgabe sehen, dafür zu sorgen, dass jede/r zum tanzen kommt, indem wir eben auch auffordern und mittanzen.
    Und selbst unser Versuch einer "Piazzolonga" , d.h. eine Milonga nur mit Titeln von Piazzolo lief erstaunlich gut, die Tanzfläche war den ganzen Abend nie leer.
    Zum Thema Jugend: Mein Sohn, der die Bar bedient bei den Milongas und weder mit Tanz, geschweige denn mit Tango etwas am Hut hat, genau wie seine Freundin, kommt bei unserer Musik tatsächlich in Versuchung, es doch mal zu probieren...
    LG
    Carmen

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    1. Na, dann hoffen wir mal, dass was daraus wird!
      Ich glaube, das Problem beim Tangolernen ist, dass es ganz verschiedene Menschen mit unterschiedlicher Musikauffassung, Bewegungsbegabung etc. gibt. Von der Motivation ganz zu schweigen. Musik, die den einen anregt, bringt andere zur Verzweiflung. Deshalb kommt bei Gruppenkursen eher wenig heraus. Die größten Fortschritte habe ich beobachtet, wenn man mit einzelnen Leuten intensiv übt. Und wenn die bereits andere tänzerische Erfahrungen haben.
      P.S. Der Kollege heißt Lüders - der Herr ist nämlich leicht beleidigt. Daher die Korrektur.

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