Zum Betragen auf der Miloga

 

„Der Tango ist m.E. keine Bühne für fragile Charaktere.“ (Cassiel, 15.10.2024)

Er hat es tatsächlich getan: Cassiel, der Doyen des Tangobloggens, ist, wie er selber schreibt, „aus der Versenkung aufgetaucht“, um uns mit einem Artikel zu erfreuen. Er betitelt ihn ein wenig holperig und im Stil einer Zeugnisbemerkung: „Also gut! Noch einmal zum Betragen in der Miloga … (hauptsächlich für Männer…)“. Eventuell hat er sich ja auch von meiner Aufforderung „Cassiel, hilf“ locken lassen. Zeit wurde es!

Anlass war, wie könnte es anders sein, der viel diskutierte Aussetzer Gustavo Naveiras auf einem Festival. Was der Blogger völlig richtig sieht: Schlimm ist nicht die Vorführung, sondern die Haltung, welche dahintersteht.

Zum Schreiben animiert hat ihn ein aktueller Artikel in der „taz“: „Tatort Tanzfläche“. Der liefert ihm gleich ein süffiges Zitat:

„Tanzpartner, die sich an ihnen reiben, ihnen ihren erigierten Penis in den Schritt drücken, probieren, sie auf der Tanzfläche zu küssen, bis hin zu Vergewaltigungen vor dem Club – all das sind Erfahrungen, die Frauen aus der Berliner Tanzszene schildern.“

Blöd nur, dass es hier, wie Cassiel zugibt, vorwiegend um die Salsa-Szene geht. Beim Altersdurchschnitt im Tango werden solche physiologischen Reaktionen eher seltener. Allenfalls könnten sich die Damen durch den Druck des Urinbeutels am Bein belästigt fühlen!

Leider geht der Autor nicht auf den Kern des Artikels ein, wo (bereits im Untertitel) über ein „System aus Täterschutz und Schuldzuweisungen an die Opfer“ berichtet wird. Und dargestellt wird, wie sich die Organisatoren aus der Verantwortung mogeln:

„Männer, bei denen zahlreiche Fälle sexueller Übergriffe bekannt seien, würden von Veranstaltern weiterhin als DJ oder Tanzlehrer engagiert. In der Szene gebe es starke Abhängigkeiten und viele würden sich auch aus Sorge, ihren Job zu verlieren, raushalten(…)“

https://taz.de/Sexuelle-Belaestigung-beim-Tanz/!6036374/

Ich finde, dieser Artikel wäre eine Besprechung wert gewesen. Doch Cassiel war wohl auf der Suche nach den üblichen Verdächtigen:

„Nun ist neben dem – vielleicht problematischen – Ego des Großmeisters möglicherweise die zur Darbietung gewählte Musik verantwortlich. Nach meiner Empfindung ist die Musik von Astor Piazzolla meistens denkbar ungeeignet für meinen getanzten Tango. (…) Wenn man dann unbedingt zu weniger geeigneter Musik tanzen möchte, dann passiert dies mit der Einschränkung, dass der ‚gemeinsame‘ Tango u.U. nicht so gelingt, wie man es sich erträumt hat. Dann sind aber bestenfalls beide dafür verantwortlich (evtl. noch der DJ).“

Na eben: Kann man es dem Maestro verdenken, dass beim Erklingen eines Tango nuevo seine Laune in den Keller geht? Aber immerhin bezeichnet der Blogger ein solches Verhalten als „misogyn“. Da stimme ich ihm zu.

Eine Information verdanke ich dem Kollegen: Seit Tagen rätsle ich, zu welchem Piazzolla-Titel Gustavo und Giselle da tanzen. Der Szene ist die Musik wieder mal wurst – niemand spricht diese Frage an. Über Cassiels Artikel bin ich endlich draufgekommen: Die Ballade betitelt sich „Milonga tres“.

Und ein YouTube-Video beweist: 2016 haben die beiden den Tanz noch ganz ordentlich hinbekommen:

https://www.youtube.com/watch?v=tUJOXKkIbGA

Aber der Blogger-Kollege ist nun auf dem richtigen Kurs: Verbales Auffordern bezeichnet er als „mildere Form des Missbrauchs“. Und klar: Ohne die blickdichte Tanzeinladung würden solche Sachen nicht passieren. Und weil er grade in Schwung kommt, muss auch das nochmal gesagt werden: „Die Piazzolla-Fans und Cabeceo-Verweigerer nehmen für sich in Anspruch, den wahren Tango frei von Konventionen zu pflegen.“

Doch damit könne er „gut leben“, und es schade seinem Tango nur, wenn er sich „zu sehr aufrege“.

Da kann ich den Kollegen wirklich beruhigen: Dass Piazzollas Musik der wahre Tango" sei, habe ich nie behauptet. Ich hab‘s sogar erfolglos gegoogelt. Sprachen wir schon an, dass „kleinräumig und ohne hohe Beine in der Ronda zu tanzen“ das Verletzungsrisiko minimiere? Und dass die Freiheit bestehe, „eine Tanda zu tanzen (oder eben nicht)“? Muss ja alles mal gesagt werden!

Schade, dass Cassiel es schafft, ein wichtiges Tangothema schließlich doch wieder zu einem kleinkarierten Betragens-Katalog umzugestalten. Andererseits ist man als Satiriker natürlich dankbar für Steilvorlagen.

Fassen wir daher zusammen: Naveira hätte, wie viele seiner Kollegen, lieber zu einer sämigen Tradi-Soße performen sollen. Das hätte seine Laune verbessert. Und er hätte den Traditionen zu Ehre erweisen sollen, seine Partnerin zu Beginn der Show per Cabeceo aufzufordern.

Toll wäre es natürlich gewesen, wenn Giselle Anne dabei konsequent weggeschaut hätte, weil sie sich dachte: „Die paar hundert Euro sind es mir wert!“

P.S. Hier der Original-Artikel:

https://tangoplauderei.blogspot.com/2024/10/Noch%20einmazum-betragen-in-der-miloga.html

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