Es dunkelt im Tango

 

Im Netz kursiert derzeit ein Text, der zu vielen Reaktionen führt. Verfasst haben ihn angeblich Igor Zabuta und Emma Kologrivova, die sich „tanzende Psychotherapeuten“ nennen. Ihr Thema ist die „dunkle Seite des Tangos“.

Ich zitiere ausschnittweise und füge einige persönliche Anmerkungen hinzu:

Tango macht süchtig. Nicht gleich beim ersten Versuch, aber zuverlässig. Du brauchst mehr Umarmungen, tiefere Gefühle durch die Musik, mehr Wärme und Intimität (…). Mit dem Tango-Entzug ist nicht zu spaßen.“

Ich glaube, jeder von uns hängt an Umständen, auf die er nicht verzichten will und kann. Viele davon tun uns gut, einige weniger. Aber ganz ohne sie ist ein stabiles Leben nicht vorstellbar. Dass Therapeuten stets nach dem Krankheitswert suchen und gleich den Begriff „Sucht“ bemühen, ist verständlich – sie wollen ja ihre Behandlungen loswerden.

„Tango ist eine Herausforderung und eine Frustration. Deine Unfähigkeit, einfache Schritte und Drehungen auszuführen, wird dich verblüffen. Du wirst viel Zeit und Geld aufwenden, um zu lernen, wie man sie mehr oder weniger zufriedenstellend ausführt. Das wird dir aber nicht helfen.“

Mich hat der Tango sicherlich viel Zeit gekostet, Geld nur in Maßen – selten ist jedoch ein Hobby gratis. Leistungsdruck verspürte ich kaum. Nach unseren Jahren im Tanzsport sah ich in dieser Beschäftigung eher eine Entspannung – und das ist bis heute so geblieben.

Coaches sprechen gerne von „Unfähigkeit“ und verbreiten Lernzwang. Das ist gut fürs Geschäft.

„Tango ist ein Trauma. Du wirst den Mut haben müssen, dich zu präsentieren und zu öffnen, und Ablehnung zu erfahren. Niemand muss mit dir tanzen, und egal wie jung und schön du bist, nur wenige werden dich auffordern, da du noch nicht tanzen kannst. Und wenn du nicht jung und nicht schön bist... Such dir sich besser im Voraus einen guten Therapeuten!“

Na eben – wusste ich’s doch: Ohne psychologischen Begleitschutz sollte man diesem Tanz lieber nicht nahetreten – zumal, wenn man weder jung noch schön ist! Das erweitert zuverlässig den Patientenkreis.

Das Gezerre mit der Aufforderung ist sicher ein Ärgernis. Teilweise könnte man es beheben, wenn man das ganze Trara mit Cabeceo und Co. ließe, und alle so zum Tanz bitten dürften, wie sie mögen. Sogar Frauen! Aber wer lange genug beim Tango ist, entdeckt Mittel und Wege, Partner auf dem Parkett zu finden. Vermutlich nicht stets die idealen, aber so ist halt das Leben! Dazu braucht es keine seelischen Therapeuten, welche dem Ganzen noch einen Krankheitscharakter überstülpen.   

„Der Tango wird deine ganze Zeit in Anspruch nehmen. Du wirst mit einem Versuch' beginnen, mit Unterricht. Aber mit der Zeit wirst du Techniken, Übungen, Einzelstunden, Workshops beim Maestro, Milongas, Festivals und Marathons brauchen. Und du wirst immer noch das Gefühl haben, dass dir eine Menge fehlt.“

Ich habe bei diesem Tanz wenig darüber nachgedacht, was mir persönlich fehlt – im Gegenteil: Der Tango hat mich reich beschenkt. Auf den ganzen Quark von Maestros bis Festivals habe ich weitestgehend verzichtet, da er mich eher genervt hätte. Mir geht es um Musik und Tanz. Und beides finde ich auch in einer Vorstadtkneipe. Vielleicht sogar mehr davon!    

„Der Tango wird dein ganzes Geld verschlingen. Neben teuren Festivals und Seminaren brauchst du unzählige Schuhe (dein zukünftiger Fetisch), Kleider, neue Reisetaschen, Tickets nach Buenos Aires und vieles mehr.“

Das Teuerste am Tango waren für mich die Fahrtkosten – wobei ich bestimmt nicht durch halb Europa reise, um zur gleichen Musik zu tanzen wie in meiner Heimatstadt – und die Showtänze von Notablen zu erleben, die ich mir auch auf YouTube betrachten kann, falls es mich nicht langweilt. Auf der anderen Seite habe ich noch nie ein Flugzeug bestiegen, um tausende Kilometer entfernt Urlaub zu machen. Meine CO2-Bilanz dürfte positiver ausfallen als die von grünen Fundamentalisten.

Milongas besuche ich seit längerer Zeit in bequemer Freizeitkleidung. Und vor Jahren schon habe ich die für mich idealen Tanz-Sneakers entdeckt. Ich besitze mehrere Paare davon – falls die irgendwann nicht mehr hergestellt werden sollten!   

„Tango ist eine Unzufriedenheit. Deine Fähigkeit, Musik zu fühlen, wird sich schneller entwickeln als die Fähigkeit deines Körpers, sie zu tanzen. Infolgedessen wirst du das Gefühl haben, dass du immer schlechter tanzt.“

Leider ist es im heutigen Tango umgekehrt: Die Mehrheit hört die Musik erst, wenn sie auf dem Parkett steht. Wer hat Freunde daran, sich im Internet eine Vielzahl von Tangoaufnahmen kostenlos anzuhören, den Teppich wegzurollen und Bewegungsideen zu entwickeln? Stattdessen bucht man teure sowie nutzlose Musikalitäts-Workshops. Und für die sich einstellende Depression gibt es ja Therapeuten…    

Tango ist ein Betrug. Eines Tages wirst du deine Beliebtheit auf Milongas mit den Beziehungen im wirklichen Leben verwechseln. Eines Tages wirst du das Gefühl des Kontakts, der Einheit mit einem Partner und die mit ihm geteilten Tango-Emotionen mit echter Intimität verwechseln. (…)"

Ich glaube, jeder und jede verwechselt mal eine gemeinsame Freizeitbeschäftigung mit Freundschaft. Aber auch, wer sich für eine Partei oder das Karnickelzüchten engagiert, wird irgendwann erkennen, dass die Liebe zu politischen Zielen oder Langohren nicht ausschließt, gelegentlich auf Volltrottel zu stoßen. 

„Tango ist ein Verlust. Du wirst die meisten deiner heutigen Freunde, Bekannten und Partner verlieren, es wird keine Zeit für sie sein und es wird immer weniger Gemeinsamkeiten zwischen euch geben. Neue sind nicht garantiert. Dein Lebensstil wird sich ändern (vor allem auf das Nachtleben). Du selbst wirst dich verändern. (…)“

Ja klar, aber ein Leben ohne Veränderung wäre todlangweilig! Und dass viele Bekanntschaften, ja sogar Ehen auf einem gemeinsamen Hintergrund beruhen, ist nicht ungewöhnlich: Briefmarkensammler kennen viele Philatelisten, Fußballfans haben „Freunde“ im Verein – und Lehrer gar sind nach neueren Forschungen nur untereinander fortpflanzungsfähig. Bei tanzenden Psychotherapeuten bin ich mir sogar sicher.

Freilich muss man offen bleiben. Ich war in meinem Leben nie ausschließlich Chemiker, Biologe, Lehrer, Autor, Zauberer oder Tänzer. Das verlief immer wieder in Wellen.

 Tango ist eine Reue. Egal, wie früh du anfängst, du wirst es bereuen, nicht früher angefangen zu haben (…)“

Im Gegenteil bin ich sehr froh, in meinem Leben verschiedene Tänze gelernt zu haben, bevor ich den Tango entdeckte. Ich habe mir dadurch Grundlagen der Bewegungskunst verschafft. Wer zunächst jahrzehntelang das Parkett meidet und dann in reiferen Jahren mit dem Tango anfängt, nimmt eine Abkürzung, auf der er viel verpasst.    

„Der Einstieg in die Tangowelt wird den schönen Traum zerstören, eines Tages Tango tanzen zu lernen. Ein Traum wird wahr werden, und er wird nicht so sein, wie du ihn dir vorgestellt hast.“

Das ist bei Träumen meistens so.

Ich finde, der Tango lockt heute eine umfangreiche Zubehör-Industrie an: Von Unterricht über modische Ausrüstung, opulenten Events, Reisen, esoterischem Getütere und psychologischer Betreuung fehlt es an nichts – Hauptsache, der Umsatz stimmt.

Der Dreh ist simpel: Man motzt den Tango mit abenteuerlichen Verheißungen von Glück, seelisch-sinnlicher Verbindung, besserem Menschentum plus benachbarter Dörfer auf. Und wenn es dann erwartbar nicht hinhaut, haben Seelenklempner, Lebensberater und sonstiges Guru-Gelichter viel im Angebot.

Vom Autor Arnold Voss las ich neulich einen wunderbaren Satz:

„Als Tango wäre ich von all den Wünschen, Hoffnungen und Sinngebungen, die in mich hineinprojiziert werden, völlig überfordert.“

Nein, Leute: Der Tango ist schlicht ein Gesellschaftstanz. Wie die emigrierten Proleten am Ende des 19. Jahrhunderts benötigt man dazu zwei Menschen, Musik und eine Tanzfläche. Der Rest ist optional. Und vieles davon ist höchst lustig und daher eine tolle Satire-Vorlage. Lachen befreit!

Wird’s jetzt heller? Dann sind Sie bereit für die Realität:

https://www.youtube.com/watch?v=GVI530vJEG8

Hier der Originaltext:

https://www.facebook.com/milo.radulovic/posts/pfbid022Ud2XsBEkKk5YmhZr4VVKudefgruGPrY6Wp48Qyy9bqH5K62SsicUY8VynSrmEoDl

Kommentare

  1. Vielen Dank für den Tipp! Ich habe den Artikel gelesen und finde ihn sehr interessant.
    Liebe Grüße,
    Gerhard Welke

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  2. Ich meinte den Originalartikel
    GW

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    1. Freut mich trotzdem. In dem Fall würde ich empfehlen, sich via Facebook an den Autor zu wenden. Der wird sich noch mehr freuen.

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