Veronica, der Text ist da!
Warum wir im Tango nicht dermaßen sozial sind
Unter
diesem (von mir übersetzten) Titel veröffentlichte die Tango-Bloggerin Veronica Toumanova schon vor zwei
Jahren einen Text, auf den ich kürzlich stieß
In der Einleitung schreibt sie:
„Wir bezeichnen Tango
als sozialen Tanz, aber oft beklagen sich die Leute, dass Tango in Wirklichkeit
nicht sehr sozial ist. Manchmal vergleicht man ihn mit anderen Paartänzen wie
Salsa oder Swing, mit dem Ergebnis, das Gras wäre auf dieser Seite grüner. Tango
wird als Tanz bezeichnet, welcher Snobismus und elitäre Einstellungen fördert,
anstatt eine Willkommenskultur für Tänzer aller Art, jeden Alters und Niveaus
der Fähigkeiten zu bieten. Natürlich ist nicht alles so schwarz und weiß, sonst
würde sich der Tango nicht derartig schnell verbreiten, und wir wären nicht so
jubelnd von ihm besessen.“
Hätte
die „Prinzessin der Befindlichkeitsschreibe“ an dieser Stelle geendet, könnte
ich ihre Aussagen weitgehend bestätigen:
Mir
erscheint der Tango nicht sehr sozial. Ich habe in der letzten Zeit einige
Blogs zur Salsa studiert und dort eine große Lockerheit und weitgehende
Ideologiefreiheit gefunden – vom Tango bin ich das nicht gewöhnt. Das Gras dort
ist nicht nur grüner, es wächst vor allem überhaupt noch eines… Der heutige
Tango zieht offenbar Menschen mit elitärer und snobistischer Einstellung an –
eine Umgebung, in der sich Tanzende aller Couleur wohlfühlen können, ist er mit
Sicherheit nicht mehr. Bunt sind da inzwischen vorwiegend noch die Outfits der
Tangueras, und daher ist der Hype mit dem Tango auch seit einiger Zeit vorbei. „Jubelnd
besessen“ bin ich schon deshalb nicht, da Spaßausbrüche códigomäßig unerwünscht
sind.
Leider
aber schreibt Frau Toumanova weiter,
wobei sie Kernsätze formuliert, deren erster für mich wie Science fiction
klingt:
„Tango ist dafür da, damit du eine gute Zeit hast.”
Sie
versteht darunter die Verbindung mit Menschen, die man mag, eine „erfüllende Erfahrung“, welche natürlich
je nach Person variiere. Dies gelte zwar für jede soziale Aktivität – doch es
gäbe einen Unterschied zwischen Tango und dem Rest: Die „enge Umarmung“, welche man erst mühsam erlernen müsse. Unser Tanz
sei der am meisten introvertierte – je mehr, desto weniger spiele die äußere
Wirkung eine Rolle. (Okay, und wenn ich mal vorschriftswidrig mit Abstand tanze –
bin ich dann im falschen Film?)
Diese
Abkopplung von der Außenwelt aufgrund tiefer
Introspektion, echtem Gefühl, innerem Leuchten sowie damit
einhergehender Verletzlichkeit sei
auch der Grund, wieso es unter so netten Leuten zu dem komme, was Veronica Toumanova „such horrible dancefloor traffic“ nennt. Auf andere Pare
zu achten müsse man eben üben – und das geschähe nicht genug.
Ich
frage mich nur, warum man sich in diesem geheiligten Orden der Diskretion und
Verinnerlichung derartig bemüht, anderen Leuten mittels
Parkettverkehrsordnungen, Aufforderungsreglements, Musikniveaubegrenzungen und
anderem Vorschriftensums das Leben schwer zu machen. Und schon am
Imponierschuhwerk, dem Tangoboutiquenoutfit, den Hochglanz-Posierfotos von
Tangolehrern sowie der restlichen Kaste sich aufplusternder Milonga-VIPs erahnt
man den verinnerlichten Impetus von uns demütig einherschleichenden, auf innere Einkehr bedachten Ocho-Bettelmöchen…
Ach,
Frau Toumanova, ham se’s net a weng
kleiner?
Nein,
hat sie nicht! Ins Zentrum ihrer Betrachtungen stellt sie einen Begriff,
welcher prima zum schon verbreiteten Befindlichkeitsschwulst passt: „DESIRE“.
Dieses Verlangen ist dann schon mal exklusiv, denn es sei ja kein Wunder, das
wir es nicht auf Hinz und Kunz richten könnten. Eher wundert sie, dass es doch
mit relativ vielen geteilt werde. Natürlich schmerze es dann diejenigen, zu
welchen wir eine Verbindung mangels Begehrs nicht aufbauen könnten. Das täte
uns wiederum leid, weil wir ja andere nicht verletzen wollten. Was für eine
Zwickmühle!
Diese
sehe ich in der Praxis vor allem bei den maskulinen Frauenverdrehern eher
nicht, welche sich nach bewährter Übung auf das Beuteschema „jung, schlank,
naiv und belehrungswillig“ konzentrieren – kein Wunder: Das Gegenteil sind sie
ja selber!
Am
nächsten Kernsatz der Tangobloggerin stimmt nun wirklich kein einziges Wort:
„Tango ist eine schnell wachsende Subkultur, aber sie
besteht hauptsächlich aus kleinen lokalen Szenen.“
Das
mit dem raschen Wachstum ist wohl Vergangenheit, Tango hat sich jedoch längst
als Geschäftsidee etabliert, und den Ton geben Veranstalter in den Metropolen
an – nicht zu vergessen die überregional umherziehenden Lemmingsherden der
Encuentro- und Festivaljünger.
Je
kleiner die Gemeinschaft, so die Autorin, desto schlimmer wären die Folgen
einer Zurückweisung, sodass man dort eher nett miteinander umgehe. In größeren
Städten dagegen könne man sich nicht mit allen Leuten verbinden, sodass
Sub-Szenen entstünden und die Gefahr zunehme, sich „verlassen und ignoriert“ zu fühlen. Vorsichtshalber betont sie aber: „This
does not mean people in small scenes are warm-hearted and those in big cities
are arrogant assholes.”
Ach,
liebe Veronica, ich würd’s vielleicht
nicht ganz so deftig ausdrücken, aber…
Ich
habe in den „Big Cities“ schon vor Langem Tangoveranstalter erlebt, welche ich
später als „Aliens“ bezeichnet habe, da sie auch noch nach Jahren mit glasigem
Blick an Dauergästen vorbeirannten, ohne sich einen Dreck um sie zu kümmern –
selbst wenn sie kein Spanisch sprachen. (Wohlgemerkt: Das war vor der
Veröffentlichung meiner Texte, als es also wahrlich noch keinen Grund für ein
solches Verhalten gab! Inzwischen ist man eher vorsichtiger - ich könnte ja einen Verriss schreiben...)
Aber allzu „warmherzig“ geht es auch in kleinen Szenen nicht zu: In meiner Heimatregion beispielsweise stehe ich DJ-mäßig auf der „Aussätzigen-Liste“ der Bussi-Bussi-Gesellschaft. (Historische Anmerkung, da ich inzwischen eh nicht mehr öffentlich auflege!) Und die wenigsten Veranstalter ließen sich einmal auf einem unserer Tangotreffs sehen, obwohl wir ihnen jahrelang das Geld auf ihre Milongas getragen hatten…
Aber allzu „warmherzig“ geht es auch in kleinen Szenen nicht zu: In meiner Heimatregion beispielsweise stehe ich DJ-mäßig auf der „Aussätzigen-Liste“ der Bussi-Bussi-Gesellschaft. (Historische Anmerkung, da ich inzwischen eh nicht mehr öffentlich auflege!) Und die wenigsten Veranstalter ließen sich einmal auf einem unserer Tangotreffs sehen, obwohl wir ihnen jahrelang das Geld auf ihre Milongas getragen hatten…
Doch
zurück zu Frau Toumanova, die sich in
der Folge in ein ziemlich redundantes Geschwobel zu ihrem Lieblingsbegriff „DESIRE“ verliert: Man könne oft selber
nicht erklären, warum es fallweise da sei oder fehle. Das sei halt so
(moralische Kriterien ausgeschlossen), und man müsse es auch anderen zugestehen
– irgendwie sei doch das ganze Leben ein „sozialer
Tanz“. Solange auf beiden Seiten ein Verlangen, gleich aus welchem Grund,
vorliege, sei alles gut. Wenn nicht, wäre das halt nicht zu ändern. Und tröstlicherweise komme der Appetit auch manchmal
beim Essen. (Wie denn, wenn man den Teller schon vorher hat zurückgehen lassen?)
Insgesamt
müsse eben ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen bestehen – und es wäre
respektlos, einen Tanz mit saurer Miene über sich ergehen zu lassen. Dann solle
man lieber gleich ablehnen. Aber – zu unser aller Überraschung – nehmen die
meisten Leute lieber, als dass sie geben. Wow!
Daher
solle man Menschen nicht in Situationen bringen, in denen sie schlecht Nein
sagen könnten – stimmt, irgendwie musste ja das Thema “Mirada und Cabeceo” noch in den Text! Also, Veronica ist dafür. Prima, dann hätten wir das auch geklärt!
Ansonsten
solle man sich lieber nicht überlegen, wieso jemand nicht mit einem tanzen
wolle oder dies gar kritisieren bzw. Erklärungen verlangen. Man würde sich nur
schlecht dabei fühlen.
Den
letzten Absatz habe ich wieder in Gänze übersetzt:
„‚Das ist alles schön
und gut‘, wirst du vielleicht sagen, ‚aber ich lebe in einer Szene, wo es eine
sehr begrenzte Partnerwahl gibt. Wenn ich mir den Luxus erlaube, nur Menschen
zu wählen, mit denen ich wirklich das Verlangen habe zu tanzen, werde ich
vielleicht überhaupt nicht tanzen. Entweder, weil ich Leute begehre, die mich
ignorieren, oder niemand da ist, den ich mir wirklich wünsche.‘ Diese
Situationen sind tatsächlich nicht einfach. Doch man kann das Verlangen nicht
einfach ausschalten oder erzwingen.
Auf Männer Druck
auszuüben, wegen des unausgeglichenen Geschlechterverhältnisses mit mehr Frauen
zu tanzen, wird dieses Verhältnis nicht ändern – die Lösung ist nur, mehr
Männer für den Tango zu gewinnen. Es ist ebenso unproduktiv, Männern das Gefühl
zu geben, schuldig zu sein und zu hoffen, sie würden dann mit Ihnen tanzen. So
funktioniert Verlangen nicht.
Wenn Sie knapp mit
Tänzern sind, welche Sie mögen, suchen Sie anderswo nach ihnen, beginnen Sie zu
reisen, es gibt eine Menge Tänzer da draußen. Bei einem Mangel an Tänzern, die
Sie mögen, finden Sie Wege, eine begehrenswerte Tänzerin zu werden, oder halten
Sie Ausschau nach Partnern, die Sie inzwischen mögen könnten. Alle Lösungen können
sich in wunderbarer Weise auszahlen.
Tango ist dazu da,
damit Sie eine gute Zeit haben, aber wenn Sie ihn benutzen, um menschlich zu
wachsen, wird Ihre Reise umso erstaunlicher werden.“
Ach,
Veronica, irgendwie stimmt da ja
einiges – aber es fällt schwer, eine Götterspeise an die Wand zu nageln. Bei allem guten Willen wabert über der ganzen Soße ein Gerüchlein von Anpassung:
Die Kerle gehen ihrem Verlangen nach, und die Mädchen singen tralala (und
wachsen menschlich).
Wenn
man Tänzerinnen stundenlang sitzen lässt, hilft eine Auswanderung in andere
Gefilde wenig, da man dort wahrscheinlich die gleichen Verhältnisse antreffen
wird. Aber die zu ändern, notfalls auch mit Hohn und Spott, passt nicht in die Toumanova-Puppenstube.
Manchmal
muss ich daran denken, dass der Begriff „soziale Milonga“ 2007 von uns
geprägt wurde, als wir unsere ersten Tangoabende veranstalteten. Wir setzten
uns damals das Ziel, dass jeder unserer Gäste zum Tanzen komme, wenn er/sie es
denn wolle. Das haben wir sintemalen weitgehend erreicht, auch wenn von Männern
gelegentlich die Frage kam: „Muss ich
dann mit jeder tanzen?“
Dass
heute der Begriff „sozialer Tango“ dazu missbraucht wird, den
Reglementierungswahn zwanghafter Naturen umzusetzen und sich nach irgendwelchen
roten und schwarzen Pfeilen auf Parkett-Diagrammen richten zu sollen, sollte
man nicht Toumanova-like in stiller
Duldung hinnehmen.
„Warum wir im Tango
nicht dermaßen sozial sind“ hat Gründe, die wir besser bei Machiavelli anstatt bei Rosamunde Pilcher nachlesen. Insofern –
und auf diesen Schluss-Kalauer kann ich nicht verzichten – scheint mir das
Tango-Bild von Veronica Toumanova
doch von einem Kurz-Maler zu stammen…
P.P.S. Ein Text aus dem Jahr 1896 (Quelle: Schulmuseum Friedrichshafen):
"Der männliche Lehrer ist geeigneter für die Erziehung der Mädchen, da nur der Mann das Weib erziehen kann. Er weiß es besser als sie selbst, welche Eigenschaften ihm an ihr am besten gefallen, am wünschenswertesten sind, welche die nothwendigen Ergänzungen seiner eigenen Natur bilden."
Könnte auch aus einer Tangolehrer-Website von 2016 stammen...
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