„Ich möchte ja soo gern Tango lernen…“

 

Sicherlich habe ich diesen Satz – vor allem von Frauen – schon in dreistelliger Ausgabe gehört. Früher nahm ich ihn jedoch ernster als heute. Wenn man dann, erfreut von diesem Wunsch, praktische Tipps gibt, kommt verlässlich die weibliche Standard-Ausrede Nummer eins: „Leider habe ich keinen Tanzpartner.“ (Nicht selten steckt dahinter das überzeugendere Argument: „Meinen derzeitigen Freund kriege ich nie dazu – und sollte ich es allein versuchen, wird er eifersüchtig.“)

Eigentlich sollte man an der Stelle bereits damit aufhören, Hilfe anzubieten.

Der Blogger-Kollege Jochen Lüders hat vor einiger Zeit einen bemerkenswerten Artikel verfasst: „Du möchtest also Tango lernen?“

Darin räumt er genussvoll mit den ganzen Klischees auf, die unserem Tanz anhängen. In Wahrheit finde man weder knisternde Erotik noch beseligende Umarmungen – und schon gar keine dynamische, energievolle Musik. Die sei den meisten Milonga-Besuchern sowieso egal. Man treffe sich halt vor allem zum Plaudern.

Dazu verlinkt er ein Video, das für tänzerisch Begeisterte wirklich wie der Eingang zur Vorhölle wirkt. Leider, das muss ich zugeben, ist die Szene durchaus typisch:

https://www.youtube.com/watch?v=iwRH_Cmwn5c

Ich kann mich bei einem solchen Anblick köstlich über Behauptungen amüsieren, Tango sei ein sehr anspruchsvoller Tanz. Ein Fundstück auf FB:

„Tango hat, was Unterrichtsbedarf und Training daheim betrifft (auch für die Herren) einen hohen Zeitaufwand, Kosten und Ehrgeiz, sich laufend zu verbessern. Um gut zu tanzen, braucht es in der Regel nach meiner Einschätzung 8 bis 10 Jahre.“

Ich fürchte, um so zu tanzen, benötigt man sogar zirka 80 Jahre…

Was mich jedoch verwundert: Jochen Lüders bietet bekanntlich Privatstunden an. Ob man dann so tun sollte, als wäre einer der Tango-Gründerväter Hieronymus Bosch?

Ziemlich rasant kriegt der Autor aber die Schlusskurve:

„All das ändert aber natürlich nichts daran, dass Tango der schönste Paartanz der Welt ist!“

Quelle: https://jochenlueders.de/?p=16438

Auch bei diesem Satz bleibe ich skeptisch: Standardtänze, Salsa, Swing oder Lindy Hop können ebenfalls sehr attraktiv sein. Oder von mir aus bayerischer Volkstanz. Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall. Betend hinter einer Monstranz herlaufen sollten wir höchstens an Fronleichnam.

Für mich ist Tango ein Tanz, dessen Anfangsgründe sehr einfach zu erlernen sind. Wer aber die Optionen der Bewegung und Improvisation, der Musik auch nur stückweise umsetzen will, braucht viel Zeit und Übung. Und das setzt eine tänzerische Grundbegabung voraus. Was von den Lehrenden meist verschwiegen wird – man will ja die Kundschaft nicht verprellen.

Die üblichen Gruppenkurse und Workshops bringen wenig. Einerseits sind die Lernenden halt, was Begabung, Musikalität und tänzerische Vorgeschichte betrifft, sehr verschieden. Von der persönlichen Motivation ganz zu schweigen. Das alles auf einen Nenner zu bringen grenzt an die Quadratur des Kreises. Mir hat auch noch niemand erklären können, warum man einen Tanz der Improvisation und Kreativität so unterrichtet, dass alle das Gleiche machen müssen.

Ich bin davon überzeugt, dass man die Bewegungssprache des Tango nur im direkten Körperkontakt weitergeben kann. Lehrende müssen mit ihren Schülern tanzen, alles andere ist vertane Zeit und nutzlos aufgewendetes Geld.

Doch selbst das bietet keine Erfolgsgarantie. In den 25 zurückliegenden Jahren gab es immer wieder Tänzerinnen, mit denen ich geübt habe. Zwei extreme Beispiele sind mir in guter Erinnerung:

Beide Damen lernte ich kennen, als sie im Tango völlige Neulinge waren. Die eine entwickelte sich zu einer wunderbaren Tänzerin, während ich mit der anderen nicht wirklich vorankam. Worin lag der Unterschied?

Ich glaube, es waren vor allem zwei Faktoren: Die eine Frau hatte schon immer getanzt – zwar keinen Tango, aber halt das, was man auf Bällen und Partys können muss, um mitzuhalten. Und sie hatte schon dabei öfters ihre Partnerinnen geführt. Zweitens ist sie Musikerin und verfügt so über ein auch intuitives Verständnis von Rhythmik, Tempo und Phrasierungen. Und ihr gefiel, was sie auf dem Parkett erlebte.

Ihrer Kollegin fehlten diese Voraussetzungen. Und sie wurde die Angst nicht los, etwas „falsch“ zu machen. Über diese Verkrampfung kam sie nicht hinweg. Sie konnte nicht genießen, was auf der Piste passierte.

Das Resultat: Die eine Dame tanzt immer noch Tango – die andere hat meines Wissens das Tanzen überhaupt längst aufgegeben.

Von wem stammt gemeinhin der Satz, „soo gerne Tango tanzen“ zu wollen? In der Regel sind es Menschen jenseits der Vierzig, deutlich mehr Frauen als Männer. Anlass ist häufig eine Lebenskrise wie Trennung oder Scheidung, verbunden mit dem Wunsch, etwas Neues anzufangen. So wird man leicht zum Opfer des Tango-Marketings, das neue Glückseligkeit via Umarmung verspricht.

Ich glaube, man sollte solche Wünsche mit der Gegenfrage kontern: „Wieso erst jetzt?“

Ich bin davon überzeugt, dass es so etwas wie ein „Tanz-Gen“ gibt – eine schwer entwirrbare Kombination von Bewegungstalent, Empathie und Musikalität. Träger dieser Erbanlage probieren schon in jungen Jahren alles Mögliche aus, was irgendwie mit dem Tanzen zusammenhängt. Möglicherweise, aber nicht zwingend, landen sie eines Tages beim Tango. Oder bei einem anderen Tanz. Letztlich ist das egal. Auf jeden Fall haben sie Spaß dabei, sich locker und kreativ zu bewegen.

Leider erscheinen heute viele beim Tango, denen diese Eigenschaften eher weniger zur Verfügung stehen. Schon der Schultanzkurs hat ihnen kaum Freude bereitet, und auch später machten sie einen Bogen um jede Tanzfläche. Musik spielte in ihrem Leben keine größere Rolle. Irgendwann soll dann plötzlich der Tango für alles herhalten, was sie im Leben versäumt haben. Typisch für Männer ist, dass sie das Tanzen „verstehen“ wollen, während die Damen dazu neigen, die Verantwortung dem Partner zu übertragen, um sich wieder mal „ganz als Frau“ zu fühlen. Und da sie nicht wirklich gut tanzen können, preisen sie den Tango als einzigartiges Heiligtum.

Typisch für beide Geschlechter ist die gemeinsame Suche nach dem, was im Tango „vorschriftsmäßig“ zu geschehen habe. Glücklicherweise liefern ideologisch geprägte „Códigos“ dazu die nötigen Grundlagen. Die daraus sich ergebenden Debatten habe ich oft beschrieben:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/01/stuhlkreis-zur-ronda.html

Grundsätzlich ist es ja sehr erfreulich, wenn jemand „soo gerne“ Tango lernen will. Es könnte aber vor Enttäuschungen bewahren, darüber nachzudenken, was man dadurch eigentlich haben möchte. Und ob das wenigstens ansatzweise realistisch ist.

Gewisse Grausamkeiten könnten Schlimmeres verhindern. Wenn also jemand in fortgeschrittenem Alter plötzlich Tango lernen möchte, könnte eine Antwort helfen:

„Du hast es nun schon so lange ohne Tango ausgehalten – ich schlage vor, es dabei zu belassen!“    

Kommentare

  1. Die Gegenfrage "Wieso erst jetzt?" ist ebenso berechtigt wie die Forderung nach einer Betrachtung die eigenen Voraussetzungen (und die der Anderen). Ich denke aber, dass die allermeisten Teilnehmer eines Tango-Anfängerkurses dort nur etwas "Quality Time" verbringen wollen. Das geht auch ohne Privatstunden und ohne tiefschürfende Hingabe.

    Aber man sollte den Aspiranten ein Video von einer Feld-Wald-und-Wiesen Milonga zeigen, das wesentlich ernüchternder ausfallen dürfte. Und nicht von einem Encuentro, wo sie zumindest die nächsten fünf Jahre eher nicht werden tanzen können. Dort ist der Saal voll und die Warteliste für Frauen ellenlang. Da braucht man sich die Frage, ob man dort angenehm tanzen kann, eigentlich nicht zu stellen - dann hat man schlicht was übersehen.

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    1. Okay, wer in einem Kurs lediglich etwas „Quality Time“ verbringen möchte, soll es tun. Er möge dann nur auf dem Parkett nicht im Weg rumstehen.
      Ich habe nichts gegen „Feld-Wald- und Wiesenmilongas“, im Gegenteil: Da habe ich schon faszinierende Tänze erlebt.
      Wo man so tanzt wie auf dem Video, dorthin bringen mich keine zehn Pferde. Da setze ich mich lieber in meinen Garten und schaue dem Gras beim Wachsen zu.

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    2. Na ja, Videos von Milongas sehen doch fast immer bescheiden aus, bisweilen stechen eingespielte Paare heraus. Ich sehe hier einen Freund, der auch ganz anders tanzen kann. Das ist halt eine Nachmittagsmilonga, da muss man die Tangueras 50+ nicht gnadenlos über die Fläche scheuchen.

      Und Du hast meines Wissens an Wochenendveranstaltungen mit An- und Abreise und Übernachtungen so oder so kein Interesse. Andernfalls müsstest Du Dich entscheiden, genauer gesagt ihr müsstet euch entscheiden. Ja, Festivals mit guten Orchestern gehen auch. Aber die Tangueras dort sind auffallend oft begeistert, wenn man mit ihnen halbwegs musikalisch und angenehm tanzt - was auf Encuentros eher der Normalfall ist. Soll ich mal eines mit Deiner bezaubernden Gattin besuchen?

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    3. Lieber Martin,
      ich hoffe, du glaubst wenigstens selber, was du da über das Video erzählst. Ich nehme nicht an, dass man sowas veröffentlicht, weil man glaubt, es sehe bescheiden aus.
      Ansonsten war es, glaube ich, nicht das Thema meines Artikels, dass ich um Tipps zum Besuch von Festivals gebeten habe.
      Und was die Einladung an meine Frau betrifft: Die ist es gewohnt, selber zu kommunizieren. Ihre Kontaktdaten sind leicht zu finden:
      http://www.robinson-riedl.de/kontakt.htm

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