Tango Traum
Heute möchte ich einen Dokumentarfilm empfehlen, den 1985 die DEFA herausbrachte. In „Tango Traum“ sitzt eine Frau an ihrer Schreibmaschine und versucht, sich mit Musik, Texten und alten Filmausschnitten in das damalige Leben, die Stimmung am Rio de la Plata hineinzufühlen. Tango, so zitiert sie einen alten Argentinier, sei eine Sache zwischen Mann und Frau. „Ein Tango passiert oder er passiert nicht, und auch wenn er nicht passiert, ist das ein Tango.“
Carlos Gardel wird ausführlich vorgestellt, ebenso etliche Tangotexte wie „Cambalache“, „Mí Buenos Aires querido“ und „Mí Noche triste“. Gezeichnet wird auch das Leben der Menschen, die später vor der Militärdiktatur nach Europa flüchteten.
Kleine sachliche Unschärfen haben mich nicht gestört. Insgesamt vermittelt mir der Film mehr „Tangogefühl“ als der Besuch eines Dutzends heutiger Milongas.
Im Endeffekt, so die Regisseurin Helke Misselwitz, wird der Tango für die Frau an der Schreibmaschine ein Traum bleiben – betrachten wir Europäer das alles wie durch eine Glasscheibe. Es spielt in einem Schaufenster, in das wir nicht wirklich Zugriff haben. In der DDR war auch noch eine Mauer dazwischen.
Ich kann die 20 Minuten-Film nur dringend empfehlen. Vielleicht reden wir dann etwas vorsichtiger darüber, uns hierzulande „tief in die Tangokultur“ hineinzubegeben.
https://www.youtube.com/watch?v=z9WpvR11lKg
Im Abspann erklingt einer meiner Lieblingstangos: „Anclao en Paris“ („Gekettet an Paris“) aus dem Jahr 1931 (Musik: Guillermo Barbieri, Text: Enrique Cadicamo). Er handelt von einem Künstler, der in Paris gestrandet ist und – aus Mangel an Geld und Glauben – sein geliebtes Buenos Aires nicht mehr sehen wird:
Tirao por la vida de errante bohemio
Estoy, Buenos Aires, anclao en París.
Cubierto de males, bandeado de apremio,
Te evoco desde este lejano país.
Contemplo la nieve que cae blandamente
Desde mi ventana, que da al bulevar
Las luces rojizas, con tonos murientes,
Parecen pupilas de extraño mirar.
Lejano Buenos Aires, qué lindo que has de estar!
Ya van para diez años que me viste zarpar.
Aquí, en este Montmartre, rincón sentimental,
Yo siento que el recuerdo me clava su puñal.
Geworfen in das Leben eines wandernden Bohemiens
Bin ich, Buenos Aires, in Paris verankert.
Bedeckt mit Übeln, gebündelt mit Dringlichkeit, rufe ich dich aus diesem fernen Land.
Ich betrachte den Schnee, der sanft fällt
Von meinem Fenster aus, das den Boulevard überblickt.
Die rötlichen Lichter, mit sterbenden Tönen,
Scheinen wie Pupillen eines fremden Blicks.
Fernes Buenos Aires, wie schön musst du sein!
Es ist zehn Jahre her, dass du mich in See stechen sahst.
Hier, in dieser sentimentalen Ecke des Montmartre,
spüre ich, dass die Erinnerung mich mit ihrem Dolch sticht.
Hier singt das Stück die portugiesische Sängerin Cristina Branco:
https://www.youtube.com/watch?v=P96khiTpbtM
P.S. Für den Fund des Dokumentarfilms herzlichen Dank an Thomas Kröter!
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