Viel Tinte von Toumanova




„Wenn unser Geist leer ist, ist er für alles bereit. Im Anfänger-Geist liegen viele Möglichkeiten, in dem des Experten wenige.“
(Shunryu Suzuki, japanischer Zen Meister)

Die Artikel der Tangolehrerin und Bloggerin Veronica Toumanova sind hierzulande sehr beliebt und werden viel gelesen. Vor einigen Tagen hat sie sich zu einem interessanten Thema geäußert:

“Why we believe that dancing with better dancers makes us dance better”
(Warum wir glauben, dass wir bessere Tänzer werden, wenn wir mit besseren Tänzern tanzen”)

Nun, auf den ersten Blick hätte ich diese Frage sehr simpel beantwortet: Weil es stimmt. Aber so einfach ist das (und auch vieles andere) für Frau Toumanova nicht. Daher bewegt sie dieses Thema zu einer sehr wortreichen und stark tintehaltigen Darlegung.

Klar glaube man, so ihre Aussage, in der Tangoszene an Sätze wie Wenn ich zu Tänzen mit besseren Partnern komme, wird sich mein Tanzen viel schneller entwickeln, als wenn ich dies nur mit Leuten meines Levels tue“ – oder: „Erfahrene Tänzer sollten mehr mit Anfängern tanzen. Wie sollen diese armen Seelen lernen, wenn sie nur an anderen Beginnern kleben?“    

Gerade junge, gut aussehende und viel versprechende Damen würden am Anfang gerne von fortgeschrittenen Tänzern aufgefordert (manchmal auch entsprechende männliche Anfänger). Dies passiere vor allem dann, wenn man bei diesen eine hohe Lernbereitschaft merke.

Dies geht der Autorin (als „Expertin“) ziemlich gegen den Strich. Entsprechende Tanzangebote von Anfängern ignoriere sie eher und müsse sich dann schon gelegentlich fragen lassen: „Du hast schon Nerven, weißt du. Wie kann man von diesen Jungs erwarten, gute Tänzer zu werden, wenn du sie nicht mal anschaust? Als du eine Anfängerin warst, tanzten die besseren Tänzer mit dir, weil sie dir helfen wollten.“ Darauf pflege sie zu antworten: „Sie tanzten mit mir, weil ich jung und hübsch war und tänzerische Erfahrung hatte.“

(Nehmen wir also schon einmal zur Kenntnis, dass die Schreiberin sich früher für hübsch hielt und – aus welchen Gründen auch immer – am Anfang in genau dieser Weise gefördert wurde…)

Und was heiße schon „besseres Tanzen“? Diese Frage verleitet die Autorin zu einem längeren Exkurs über die einzelnen Aspekte wie Technik, Vokabular, Kommunikation, Umarmung, Musikalität, Navigation, soziale Fähigkeiten – und natürlich den „menschlichen Faktor“. Die Summe sei halt entscheidend, nicht zuletzt die zwischenmenschliche Anziehung oder Abstoßung.

Aha. Hatten wir uns irgendwie schon gedacht, oder?

Tänzer jedenfalls lediglich nach der Zahl gelernter Figuren oder den Tangojahren zu kategorisieren sei „naiv“. Stimmt – machen nur Tangolehrer bei ihren Kursankündigungen…

Werde man als Folgende von einem Supertänzer erwählt, fühlten sich die eigenen Bewegungen müheloser, korrekter, balancierter und musikalischer an, man tanze möglicherweise Schritte, die man gar nicht kenne. Zudem kompensiere der Partner dann alle möglichen Schwächen.

Im umgekehrten Fall entdecke man als Mann, dass alle beabsichtigten Bewegungen großartig gelängen. Man führe sogar Sachen zum ersten Mal und könne sich leicht zur Musik bewegen. Eigene Defizite würden die Partnerin kaum stören.

Wiederum folgt danach ein längerer Exkurs, diesmal zum Thema Sprachenlernen. Unterhalte man sich als Anfänger mit einem Muttersprachler, so müsse der großzügig über alle Fehler hinwegsehen und eher erraten, was gemeint sei. Zum richtigen Studium einer Sprache allerdings gehöre das genaue Korrigieren von Schwächen.

Ebenso sei das in einem Tangokurs – im Gegensatz zur Milonga, wo man sich als Erfahrener Kritik und Korrekturen verkneifen müsse. Daher sei es für einen Fortgeschrittenen oft mitnichten ein Vergnügen, mit Anfängern zu tanzen: das ständige Krisenmanagement bedeute harte Arbeit.
„Daher sind erfahrene Tänzer tendenziell wählerisch. Nicht, weil sie Snobs sind. Nicht weil sie auf weniger erfahrene Leute herabschauen. Aber weil die Ungleichheit der Situation kaum zu ihren Gunsten ist.
Schließlich seien die sehr erfahrenen Tänzer „eine kleine, starke und motivierte Minderheit, und sie wollen, wie alle anderen, das Beste aus ihren Fähigkeiten machen.“

Zu Beginn sollte man daher erst einmal reguläre Kurse buchen – diese machten jedoch nur Sinn, wenn der Lehrer ein präzises Feedback gebe anstatt Fehler zu kompensieren und falls der Schüler sich nachhaltig bemühe. (Ist das nicht eh klar?) So nach einem Jahr könne man es dann mit Privatstunden versuchen – mit dem Risiko, sich an einen „Idealzustand“ zu gewöhnen, der in der Praxis fehle. Man werde dann „ein sehr einsamer sozialer Tänzer“. Konventionelle Kurse aber lehrten, geduldig zu sein und sich mit dem Anfänger-Partner durch alle Schwierigkeiten zu kämpfen.

Sich von tollen Partnern „betanzen“ zu lassen, verschaffe einem „eine erfreuliche Erfahrung auf deren Kosten“. Man habe ja im Gegenzug kaum etwas anzubieten und sei „kein gleichrangiger Partner, sondern ein Konsument“.

Der ständige Zwang, sich an Tanzende mit niedrigem Level anzupassen, hinterlasse Spuren: Man „roste ein“ und gewöhne sich daran, mehr Kraft zum Führen einzusetzen, als es für bessere Partner nötig wäre. Und auch den Damen aus der Oberliga gehe ein Gefühl der Leichtigkeit verloren.

Frau Toumanova fallen hierzu zwei durchaus kabarettistische Vergleiche ein: Wenn man den ganzen Tag Holz gehackt habe, ergäben sich anschließend Probleme beim Klavierspielen – oder Abends eine komplexe Debatte über internationale Politik zu führen, nachdem man tagsüber irgendwelche Blagen bei Laune gehalten habe.

Nun gut – jetzt wissen die Anfänger wenigstens, wie weit sie wirklich vom Elysium des Tango entfernt sind.

Abschließend dreht die Autorin noch in die Otti Fischer-Kurve – „Schwer ist leicht was“:

„Wenn Tango ein Tanz wäre, bei dem jeder einfach fröhlich mit jedem tanzen könnte – ungeachtet der ganzen erwähnten Umstände, wäre er ein ganz anderer Tanz.“
Aber gerade weil er eben weit schwieriger sei, liebe sie ihn umso mehr.

Als Anfang gleich der Kern meiner Gegenrede: Ich glaube, der Tango entstand als „ganz einfacher Tanz ganz einfacher Menschen“, wie es mein Lieblings-Argentinier einmal ausgedrückt hat. Und sein Erfolg beruht genau auf der Tatsache, dass jeder mit jedem – so er ein paar Basics gelernt hat – viel Spaß auf dem Parkett haben kann. Der ist natürlich (wie alles Schöne im Leben) nicht garantiert – aber das wird nicht besser, seitdem ihn Intellektuelle und Tangolehrer dieses Zuschnitts gekapert haben.

Man kann beim Tango schon vieles sehr kompliziert machen… Für mich ganz einfach: Ich fordere öfters gerne Anfängerinnen auf und habe mitnichten das Gefühl, „draufzuzahlen“. Im Gegenteil: Das Kompensieren von Schwächen trainiert mein tänzerisches Geschick statt es zu ruinieren. Und wenn ich bei meiner Partnerin das Glücksgefühl spüre, dass es endlich mal besser läuft, entschädigt mich das für alle Mühen. Oft frage ich mich, ob ich bei Tänzen mit solchen Partnerinnen nicht mehr dazulerne als mit „Edeltangueras“ (welche ich selbstredend ebenfalls, so sie unarrogant wirken, gerne auffordere).

Und ist es am Anfang nicht von Vorteil, sich nicht auf alles Mögliche gleichzeitig konzentrieren zu müssen, weil einem der Partner einiges abnimmt? Hemmt das den tänzerischen Fortschritt? 

Allerdings, das ist klar, gehe ich schon davon aus, dass die Dame aus den gemachten Erfahrungen ihre Schlüsse zieht und den festen Wunsch hat, sich weiterzuentwickeln. Wer nach drei Jahren immer noch so tanzt, hat eben ein anderes Ziel: in Gesellschaft gemütlich zu schwofen. Das ist legitim und sollte doch auch die entsprechenden Interessenten finden. Freilich klinke ich mich an dieser Stelle aus – dafür bin ich zu „tanzverrückt“.

Was Frau Toumanova zum Tangounterricht sagt, ist – mit Verlaub – erstaunlich oberflächlich: Warum zum Beispiel nicht als Paar Privatstunden nehmen – dann hätte man Tanzpartner mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Oder in einer Lerngruppe Teilnehmer mit unterschiedlichem Können kombinieren? Solche Alternativen sind einer professionellen Lehrerin keine Zeile wert!

Ich möchte ihr keine bösen Absichten unterstellen, aber in der Summe kommt halt wieder einmal heraus, Anfänger sollten halt die Edeltänzer ja nicht in ihrer „splendid isolation“ belästigen, da sie diesen ja nur Arbeit machen und nichts Gleichwertiges anzubieten haben.

Das Ergebnis dieses verbreiteten Denkens kann ich auf fast jeder Milonga beobachten, wenn ich eine entsprechende Frau auffordere und mir erstmal die „Vorwarnung“ anhören muss, man stehe noch am Anfang und zweifle, ob man sich in diesem Zustand einem routinierten Partner „zumuten“ solle.

Bei aller Tinte, welche die Schreiberin ablässt, kann sie diesen erbärmlichen Zustand in der Tangoszene nicht vernebeln.    

Hier der Originaltext:
https://www.facebook.com/notes/veronica-toumanova/why-we-believe-that-dancing-with-better-dancers-makes-us-dance-better/10154964694172499/

Kommentare

  1. Lieber Gerhard,

    meine Erfahrung ist, dass man als Tänzerin eine Zeitlang denkt, nur mit den guten oder fortgeschritteneren Partnern könne man tatsächlich weiterkommen bzw. nur da gescheit dazu lernen. Gerade so nach der Anfänger-Phase, wenn man die Männer/Führenden aus dem eigenen Kurs halt schon „überholt“ hat. Kommt dann so ein erfahrener, guter Tänzer daher, dann fühlt man sich einfach auf Wolke 7 – jaa so soll es doch sein, ICH kann’s doch.

    Aber so ist es halt nicht. „Können“ tu‘ ich es erst, wenn ich die Schrittkombi, die Figur oder was auch immer, auch mit einem Mann tanzen kann, der es halt nicht zu 100% exakt führen kann, der vielleicht auch mal wackelt in der Achse oder seinen Fuß versehentlich da stehen lässt, wo er eigentlich nicht stehen sollte. Ich kann es erst, wenn ich dann eben NICHT über den Fuß stolpere. Denn letztlich ist das die Mehrzahl der Männer/Führenden mit denen frau tanzt – natürlich mal abgesehen von den Super-Tänzerinnen, die auch nur von entsprechenden Tänzern aufgefordert werden.

    Beim Tanzen mit Anfängern lernt man m.E. viel – vor allem in Bezug auf die eigene Achse. Da merkt man nämlich erst, ob man tatsächlich allein stehen und gehen kann. Ich tanze teilweise immer wieder mit den gleichen, noch nicht so fortgeschrittenen Tänzern (Anfänger würde auch nicht stimmen – wie lange ist man „Anfänger“?) und freue mich, deren Entwicklung mitzubekommen.

    Es ist nur schade, dass sich die Anfänger-Männer/Führenden nicht auffordern trauen. Obwohl ich Offenheit signalisiere, wird vehement weg geschaut.

    Aber egal, ob Anfänger oder langjähriger Tänzer: wichtig ist vor allem, DASS man tanzen geht. Oft tanzen geht. Nicht nur alle sechs Wochen mal, vielleicht, wenn’s halt grad passt.

    Liebe Grüße
    Sandra


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    1. Liebe Sandra,

      vielleicht einigen wir uns auf die Definition: Anfänger ist man so lange, wie man sich keine guten Tänzer aufzufordern traut (bzw. in Panik gerät, wenn ein Solcher einen Tanz anbietet).

      Du sprichst einen wichtigen Aspekt an, den ich in meinem Text schlicht vergessen habe: Natürlich „kann“ man etwas (egal ob Tango oder Kuchenbacken) erst, wenn es ohne „Hilfestellung“ gelingt.
      Wahrscheinlich ist es mir deshalb unterlaufen, weil ich schon mal einen ähnlichen Artikel übersetzt habe: https://milongafuehrer.blogspot.de/2017/01/karen-kaye-die-illusion-von-kompetenz.html

      Aber als „Lernhilfe“ ist das Tanzen mit einem viel besseren Partner doch prima – und es kommt noch eins hinzu: Man muss einmal spüren, wie es sich anfühlen kann… möglicherweise holt man sich dabei das Tangovirus und versucht immer wieder, diesen Zustand zu erreichen.

      Danke für die wichtige Ergänzung und liebe Grüße
      Gerhard

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