Der ultimative Tango
„Der Mann muss hinaus
Ins feindliche Leben,
Muss wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muss wetten und wagen,
Das Glück zu erjagen. (…)
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise“
(Friedrich Schiller: Das Lied von der Glocke, 1799)
Die Zeiten haben sich geändert. Der Tango mag ja mal ein Macho-Tanz gewesen sein, aber das hat doch mit der heutigen Einstellung in der Szene nichts mehr zu tun! Manchmal sieht man sogar das eine oder andere Frauenpaar tanzen… Na gut, Maestro Naveira sind neulich auf dem Parkett die männlichen Sicherungen durchgebrannt – ein bedauerlicher Einzelfall, oder?
Einen schönen Text dazu fand ich auf der Seite „Ultimate Tango“, die von dem Lehrerpaar Anita Flejter und Hernan Brizuela in der Gegend von Boston (USA) betrieben wird. Angeboten wird eigentlich alles, was man zum Tango benötigt – und auch, was man nicht braucht.
Der Artikel trägt den verheißungsvollen Titel:
„Tango, the Most Masculine Dance That Exists“ („Tango, der männlichste Tanz, den es gibt“)
Zunächst wird der äußere Eindruck geschildert:
„Wenn man ein Paar beim Tangotanzen beobachtet, kann man die Leidenschaft, die Intensität und die männliche Energie, die aus jeder Pore strömt, nicht übersehen.“
Bei solchen Sätzen bricht mir bereits der Schweiß aus. Na gut – was auch immer den Poren entströmt…
Der Grund ist klar:
„Es hat etwas mit der Art und Weise zu tun, wie sich der Mann mit solcher Entschlossenheit und Autorität bewegt, während die Frau in seine Arme zu schmelzen scheint, nachdem sie seiner Führung folgt.“
Wie weit es dann noch zum Siedepunkt ist, wird leider nicht angegeben. Beschäftigen wir uns nun mit den Tangotraditionen:
„Ein kurzer historischer Abriss“, so der Autor, ergebe, dass wegen des Männerüberschusses der Tango vor allem die Funktion hatte, an Weiber ranzukommen. Diese Tradition verpflichtet!
Und Argentinier sind halt was Besonderes:
„Es war ein Tanz, der der Welt zeigte, dass sie anders, leidenschaftlich und intensiv waren.“
Blöderweise haben sie es aber zuerst selber nicht kapiert und den Tango heftig abgelehnt. Okay, jeder macht mal Fehler, nicht nur Naveira…
Das Ziel jedenfalls war und ist eindeutig:
„Die Männer mussten die Schritte und Bewegungen besser beherrschen, um ihre Partnerinnen zu führen. Am Tango waren mehr Männer beteiligt, denn sie waren diejenigen, die den Tanz perfektionieren mussten, um die Damen zu umwerben.“
Merke: Den Männern verdanken wir die Perfektion des Tango – sieht man ja auf jeder Milonga.
Zu den „Geschlechterrollen im modernen Tango“ erfahren wir:
„Männer übernehmen im Tango die männliche Rolle, wie sie es auch im Leben tun.“
Wahrlich, Tango und Fußball sind die letzten Horte unverfälschten Männertums! Man denke an den kürzlichen Ausspruch des Wolfsburger Profis Kevin Behrens beim Anblick eines Regenbogen-Trikots: „So eine schwule Scheiße unterschreib ich nicht!“
Auch er hat inzwischen den Naveira gemacht und sich entschuldigt.
Und die Tangueras?
„Ehrlich gesagt ist eine Frau zu weich, leicht und zerbrechlich, um zu führen. Sie kann einfach nicht so stark und zuverlässig sein, wie der Führende sein muss, und so funktionieren, wie ein Mann für eine Frau funktionieren muss, unabhängig davon, wie technisch versiert sie in Sachen Führung ist. Genauso ist ein Mann zu schwer und robust, um zu folgen.“
Den vermännlichten Emanzen, welche es dennoch versuchen, sei gesagt:
„Beim Erlernen des Tangos für Frauen geht es nicht darum, Schritte zu lernen, sondern zu lernen, mit dem Mann eins zu werden. Es ist der Mann, der den Tanz plant, der die Richtung bestimmt und die Schritte auswählt. Die Frau muss in der Lage sein, loszulassen und ihrem Partner zu vertrauen.“
Eben: Die Weiber sollen sich nicht um große Planungen kümmern, das überfordert sie! Dazu gibt es ja die Herren:
„Als Führender muss ein echter Tango-Mann wissen, wie man zur Musik tanzt. Er muss mit dem Rhythmus und der Melodie im Einklang sein, damit er seine Partnerin entsprechend führen kann. Die Frau muss ebenfalls wissen, wie man zur Musik tanzt, aber sie folgt letztlich der Führung ihres Partners. Der Mann ist derjenige, der das Tempo vorgibt.“
Oh Mist, jetzt wird mir endlich klar, wieso es in der Ronda oft kaum vorwärts geht! Männer sind sowieso musikalischer – und die Erde ist eine Scheibe!
„Der Mann, von dem Sie beim Tango träumen, muss in der Lage sein, die Frau zum Strahlen zu bringen. Er tut dies, indem er sie anmutig über die Tanzfläche führt und ihr das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein. (…) Es ist der Mann, der ihr erlaubt, ihre weibliche Schönheit voll zur Geltung zu bringen.“
Merken wir uns: Frauen sind nicht von sich aus schön oder gar etwas Besonderes – dazu benötigen sie die Genehmigung ihres Tanzpartners! Die Rollen sind jedenfalls klar verteilt:
„Er sollte für Sanftmut, Geduld und Schutz stehen. Bei der weiblichen Rolle im Tango geht es darum, anmutig, leidenschaftlich und sinnlich zu sein.“
Na gut – so weit zur männlichen Fantasie!
Und was die Sänger uns sagen, ohne dass es die meisten verstehen?
„Die Texte des Tangos spiegeln die verschiedenen Arten der Liebe wider: Liebe als Pflicht, Liebe als Leidenschaft, Liebe als tiefe Freundschaft und schließlich die romantische Liebe.“
Gut, manchmal sind auch weniger schöne Gefühle dabei, wenn man über die Schlampe herzieht, die einen verlassen hat – oder dem Rivalen ein Messer in den Wanst sticht. Aber Kollateralschäden muss man akzeptieren!
„Die Tangos verteidigen, vielleicht mehr als alles andere, eine männliche Moral, indem sie eine Art subtiler emotionaler Kontrolle über Frauen romantisieren.“
Wirklich, die männliche Moral ist etwas anders!
„Wenn eine Frau unglücklich ist, ist der nächste Schritt zum Glück immer noch ein Mann. Es scheint alles auf die Rolle des Mannes im Tango zurückzukommen - Kontrolle, Macht und Führung.“
Klar, das Glück einer Frau kann nur ein Mann sein – und Kontrolle ist für jeden Narzisstenein wichtiger Faktor.
Gegen Schluss scheint es dem Autor von den eigenen hehren Worten etwas schwindlig zu werden. So versucht er eine Relativierung:
„In unserer Zeit ist es ziemlich schwierig (und unnötig), einen Tanz als männlich oder weiblich zu definieren. Dennoch können wir feststellen, dass einige Tänze maskuliner sind als andere. Der Tango fällt eindeutig in diese Kategorie. Obwohl die weibliche Rolle in den letzten Jahren dominanter geworden ist und die Tänzer die entscheidende Bedeutung beider Rollen erkannt haben, ist die männliche Rolle im Tango immer noch sehr lebendig. Viele Tangolehrer lehren in ihren Kursen keine Geschlechterrollen, aber in Argentinien funktioniert der Tango unbestreitbar nach der Männlichkeit des Mannes und der Weiblichkeit der Frau.“
Zum Nachlesen:
https://www.ultimatetango.com/blog/tango-the-most-masculine-dance-that-exists
Wovon mir angst und bange wird, ist nicht der ultimative Stuss, der manchen Männerhirnen entweicht. Aber, meine Damen, überlegen Sie einmal, welcher Männertypus dadurch zum Tango gelockt wird!
Aus welcher Zeit stammen solche Texte? Kein Wunder, dass Fritze Schiller 1799 gendermäßig noch nicht alle Glocken am Turm hatte.
Um das Grauen aber noch zu verstärken: Der obige Artikel wurde über 200 Jahre später (2023) verfasst. Da schlägt es doch dreizehn!
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