Cassiel, hilf!

 

Wenn man den Begriff „Tango Blog“ googelt, stößt man als erstes auf meine Seite: „Gerhards Tango Report“. Für mich ist das ist zunächst sehr erfreulich und ein Ergebnis meiner nun fast elfjährigen, ziemlich fleißigen Arbeit: Man hat inzwischen die Auswahl unter knapp 2000 Veröffentlichungen mit nahezu 5000 Kommentaren (soviel zum Thema, es gäbe hier fast keine Zuschriften von Leserinnen und Lesern). Über 70 Gastbeiträge zeigen, dass ich gerne auch andere Autoren zum Zug kommen lasse – wenn sie denn was schreiben. Angeboten habe ich es jedenfalls oft genug.

Was bei „Google“ dahinter kommt, sind oft Blogs, die entweder längst eingestellt wurden oder nur wenige Veröffentlichungen aufweisen. Manchmal versteht man unter diesem Begriff auch eine Ergänzung der eigenen Website mit wenigen Beiträgen, die eher eine „Tango-Hofberichterstattung“ darstellen. Diskutiert wird in den wenigsten Formaten – diese Betätigung gilt im Tango inzwischen als unfein und mit dem Geruch einer eigenen Meinung behaftet. Tendenziell lässt man es lieber und wirbt stattdessen für die persönlichen, gefühlt einmaligen kommerziellen Angebote.

In den Jahren habe ich immer wieder große Hoffnungen in einzelne Autoren gesetzt: Thomas Kröter kann, wenn er wütend ist, wirklich gut schreiben. Und auch Helge Schütt lieferte anfangs interessante Beiträge, über die ich zumindest schmunzeln konnte, und die mich zum Widerspruch reizten. Große Erwartungen verband ich auch mit dem „Tango Compás“ von Klaus Wendel, der immerhin auf langjährige Erfahrungen mit diesem Tanz zurückgreifen kann. Leider wurde das Projekt vor längerer Zeit sang- und klanglos eigestellt. Jochen Lüders veröffentlicht nur recht sporadisch Beiträge. Ebenfalls hätte aus dem Podcast „Tango Talk“ etwas werden können. Nun gut, nach sechs Monaten Pause wurde lautstark eine Wiederaufnahme in diesem September angepriesen. Okay, der Monat ist fast vorbei, und bislang folgten auf die Worte keine Taten. Ich sehe es wieder einmal kommen, was ja gleichermaßen für fast alle solche Initiativen gilt: Letztlich wird das nix.

Ersatzweise hat man oft versucht, Popularität dadurch zu gewinnen, dass man meine Artikel mit galligen Kommentaren in die Zange nahm. Kurzfristig erzeugt man so natürlich Aufmerksamkeit, welche aber vor allem meinem Blog zugutekommt. Langfristig muss man die Leserinnen und Leser aber mit eigenen Leistungen überzeugen. Sprich: Eine Internet-Präsenz gestalten, welche mit schriftstellerischer Qualität dauerhaft Lesespaß hervorruft. Sonst erliegt man im Endeffekt dem „Eunuchen-Schicksal“: Man weiß zwar, wie’s ginge, aber…

Hat man insgesamt kein Interesse mehr an Tango-Blogs? Mir ist natürlich klar, dass eine Mehrheit der Tangotanzenden sich kaum für solche Texte interessiert. Das war schon immer so. Dennoch ist es schon eindrucksvoll, wenn ein Blog wie Cassiels „Tangoplauderei“ zu seinen besten Zeiten immer wieder Hunderte von Kommentaren bewirkte und tatsächlich eine Hinwendung der Tangoszene zu historischer Musik und konservativen Ansichten auslöste. Das muss man erstmal hinkriegen!

Leider ist auch diese Seite inzwischen eingeschlafen – der letzte Artikel ist fast zwei Jahre alt. Und mit Texten wie „Traditioneller Tango… Welche Tradition soll es denn sein?“ bediente er nicht gerade die Sehnsüchte seiner Stamm-Klientel. Von mir gibt es dazu eine Besprechung:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/07/zuruck-in-die-zukunft.html

Eine interessante Beobachtung machte ich, als Klaus Wendel vor über drei Jahren sein Blog eröffnete. Die Erwartung war offenbar groß, dass nun der „traditionelle“ Tango wieder eine Stimme hätte. Cassiel selbdritt ließ sich damals zu einem Glückwunsch herab. Die Katastrophe nahte, als der frischgebackene Blogger Texte veröffentlichte, die an konservativen Heiligtümern wie Encuentros kratzten. Binnen kurzer Zeit häuften sich die Widerreden auch von prominentester Stelle. Die gute Stimmung war auf beiden Seiten dahin:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/05/encuentros-schon-wieder.html

Daher bin ich fest davon überzeugt: Der Tango braucht endlich wieder Autoren, welche die streng autoritäre Linie vertreten. Eine Portion rechter Populismus – siehe Politik – könnte ebenfalls nicht schaden. Ich bin sicher, ein solches Blog hätte Erfolg – sollten die Texte auch noch gut geschrieben sein, wage ich sogar Triumphe vorherzusagen! Und wenn es denn von den Jüngeren keiner machen will oder kann, muss halt nochmal der Altmeister ran. Er sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein. Daher der Titel meines Artikels.

Der Hintergrund ist, dass der regelkonforme Tango in der Praxis sehr stark ist – die Gäste marschieren in Viererreihen bei Milongas ein, welche dem Abfeiern von Weiheriten dienen. In der Theorie dagegen zeigen sich eklatante Schwächen: So hat mir noch keiner erklären können, wieso Tangomusik ab den 1960er Jahren nicht mehr „tanzbar“ sein soll. Oder wie man einen „Improvisationstanz“ dadurch erlernt, dass in Kursen alle dasselbe zu machen haben wie die Tanzlehrer. Ebenso wenig, wieso moderne, aufgeklärte und selbstbewusste Frauen die direkte Bitte um einen Tanz nicht ertragen.

Daher sage ich: Der konservative Tango benötigt dringend wieder einen Chefideologen! Wie in der Politik muss der imstande sein, die Richtigkeit von Dingen zu beweisen, die im wahren Leben nicht funktionieren. (Da fällt mir ein: Bei der „Grünen Jugend“ sind doch gerade einige Leute arbeitslos…)

Den Schlüssel zur Vertuschung solcher Widersprüche nennt man Religion. Sicherlich hat es Cassiels Erfolg begründet, dass man einfach glauben musste, was er mit Inbrunst vortrug. Das geht nur mit einer soliden Guru-Attitüde, mit der man sich keine Fans, sondern eine Gefolgschaft gewinnt.

Ein solcher neuer Autor dürfte keinesfalls unter Realnamen schreiben. Das Geheimnisvolle hat zu Cassiels Überzeugungskraft maßgeblich beigetragen. Als nicht genannt sein wollender Tanguero hat er Texte hingelegt, bei denen die virtuellen Höschen massenhaft auf die Bühne flogen. Ein besonders schönes Beispiel habe ich einmal besprochen:

   https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/01/erotik-homoopathisch-geschuttelt.html

Als Erlöser mit einem Sack voller Verheißungen braucht man natürlich einen „Knecht Ruprecht“ fürs Grobe wie den Züricher DJ und Musikideologen Christian Tobler, der die Häresie neuer Tangomusik mit polterndem Zorn überzog. Diese einstige Kombination war genial.

Das Problem ist halt: Cassiel konnte wirklich gut schreiben. Das schränkt natürlich die Auswahl seiner potentiellen Nachfolger stark ein.

Wird der Prophet von gestern helfen? Ich fürchte: nein. Er hat sich wohl ins Encuentro-Privatleben zurückgezogen.

Nun gut, wenn man denn alles selber machen muss: Vielleicht gründe ich unter einem möglichst geheimnisvollen Pseudonym ein eigenes Konkurrenz-Blog. Einen Titel habe ich ja schon mal vorgeschlagen:

„Riedl – find ich doof!“

Illustration: www.tangofish.de

 

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