Werden Sie Tangolehrer!

 

Man muss sich nicht lange im Tango umsehen, um zu erkennen: In dieser hierarchisch strukturierten Welt kommt es entscheidend darauf an, auf welcher Stufe der Rangordnung man residiert. Vulgo: Je höher der Misthaufen, desto weiter ist das Krähen vernehmbar!

Wie Sie selber tanzen und zu welcher Musik ist völlig belanglos. Da können Sie sich jahrzehntelang abstrampeln, ohne dass es irgendein Schwein interessiert. Nein, Sie müssen in unserem Tanz eine geachtete Funktion bekleiden. Wir kennen das aus dem Fußball: Spieler kommen und gehen – Funktionäre aber bleiben. Oft für lange Zeit und zu erheblichen Gagen.

Ansehen brächte es beispielsweise, wenn Sie Milongas und andere Tangoevents veranstalten. Das ist aber mit einiger Arbeit sowie finanziellen Risiken behaftet. Im schlimmsten Fall bezahlen Sie Saalmieten, GEMA-Gebühren und einiges mehr – um hinterher auf den Kosten sitzenzubleiben. Und haben Sie eigentlich Lust, Räume zu dekorieren und Stühle zu schleppen? Gar das Parkett zu putzen? Oder sich mit den Ansprüchen von Gästen rumzuärgern? Na eben!

Eine Zeitlang mag es attraktiv gewesen sein, als DJ zu arbeiten. Man saß mit Kopfhörern auf den Lauschern in erhöhter Position und war zur Anbetung freigegeben.

Leider ist in dieser Branche der Konkurrenzdruck heute riesig. Dort tummeln sich inzwischen zahlreiche Computer-Nerds, die eine gewaltige technische Hochrüstung betreiben, die auch ziemlich ins Geld geht. Gut, einen wirklichen Bezug zu Musik haben zwar die wenigsten, aber immerhin können Sie die Schaffensperioden historischer Tangoorchester fehlerfrei aufsagen. Geht auch nicht von heute auf morgen und kostet einige Arbeit!

Außerdem ist in der heutigen Tangoszene Musik eigentlich belanglos. Hauptsache, es rumpelt irgendwie rhythmisch und klingt nicht schwierig, dann ist man schon zufrieden. Ist das wirklich Ihr Niveau?

Ich rate Ihnen daher, die Situation auszunützen, dass es heute eine Vielzahl bewegungsmäßig Fehlbegabter zum Tango zieht – angelockt von der Werbung, diesen Tanz könne jeder lernen. Und er garantiere ein Gefühlsleben voller Sinnlichkeit und Leidenschaft. Doch wie sollen Männer und Frauen auf dem Parkett miteinander klarkommen, wenn es schon im richtigen Leben kaum klappt und sie sich nun auch noch gemeinsam zu Musik bewegen sollen?

Zudem liegt es im aktuellen Trend, sich nicht mehr selber zu bemühen, sondern gegen Defizite aller Art einen Coach zu beschäftigen – also in unserem Bereich einen Tangolehrer!

Was Sie dazu können müssen? Eigentlich gar nichts. „Tanzlehrer“ (oder das weibliche Pendant) ist hierzulande kein anerkannter Ausbildungsberuf. Jeder (und jede) darf sich so nennen. Wobei „Tangolehrer“ noch die höhere Beträufelung mit dem geheimnisvollen „argentinischen Kulturgut“ impliziert.

Behaupten Sie einfach, dass Sie einer sind! Vielleicht waren Sie schon immer Tangolehrer, es ist Ihnen aber erst jetzt aufgefallen. Und bei der Öffentlichkeitswirkung sozialer Medien wird sich das schon rumsprechen.

Stellen Sie sich vor, wie Sie dann federnden Schrittes durch eine Milonga eilen und oxytocin-getränkte Tangueras hinter Ihnen her flüstern: „Der ist ja Tangolehrer…“

Na, wie fühlt sich das an? Und das Ganze kostet Sie genau nix!

Natürlich muss die Welt schon von der Metamorphose erfahren, in der sich die tänzerische Raupe in einen schillernden Flattermann verwandelt hat, der von Blüte zu Blüte segelt und überall seinen Rüssel reinsteckt.

Mein Tipp: Machen Sie dazu ein Tangoblog auf! Das ist preiswerter als eine Website. Und dort verkünden Sie in kurzen Abständen, welche Erleuchtungen wieder auf Sie niedergegangen sind. Beispielsweise, wie Sie einmal den „perfekten Tango“ getanzt haben, eine Musikinterpretation Ihnen spontanen Szenenapplaus einbrachte oder Sie nun genialerweise erkannt haben, wie man Tango, Vals oder Milonga unterschiedlich aufs Parkett bringt. Oder dass man auch in engstem Körperkontakt alles tanzen kann, was man will (und was will man da schon…).

Vergessen Sie auch nicht, sich auf begnadete Lehrkräfte zu beziehen, bei denen Ihnen schlagartig aufging, wie man Tango tanzen muss – und bringen Sie wuchtige Zitate der Machart: „Wer das so oder so macht, kann es überhaupt nicht!“ Das erzeugt Eindruck!

In unserem Tanz kann man viel falsch machen – die einzige Rettung besteht darin, bei Ihnen Unterricht zu nehmen.

Wichtig ist aber, dass Sie sich nicht in längere Texte verzetteln. Die liest doch eh keiner, und sie machen Ihnen unnötige Arbeit. Lassen Sie lieber Geistesblitze funkeln, denen ein wenig Donnergrollen folgt. Und warum sollten Sie genau erklären, wie Sie unterrichten? Das erfährt man nach Entrichtung der Kursgebühr. Und dann ist es wie bei einer Handgranate: Wenn man es hört, ist es zu spät!

Bedenken Sie: Die Kernkompetenz jedes Coaches besteht darin, durch gescheites Daherreden das Publikum davon zu überzeugen, dass er es kann. Dann wird sich jeder freuen, Zeuge einer solchen Niederkunft des Geistes gewesen zu sein.

Selbstverständlich müssen sich Ihre Ideen aber erst verbreiten. Dazu bietet Facebook viele Möglichkeiten. Verlinken Sie Ihre Weisheiten einfach auf Seiten, die viel gelesen werden – also nicht auf Ihrer eigenen!

Gelegentlich sollten Sie dort auch über Wunderheilungen berichten, wie sie eben nur dank Ihrer Kurse geschehen. Kostprobe:

Vor ein paar Wochen kam auf einer Milonga eine meiner Schülerinnen auf mich zu und hat sich bei mir dafür bedankt, dass ich ihr erklärt habe, was es bedeutet, geerdet zu tanzen. ‚Früher taten mir nach einer Stunde die Füße weh. Jetzt kann ich den ganzen Abend lang in hochhackigen Schuhen tanzen und es tut mir gar nichts weh.‘“

Natürlich hätte die Frau auch von vornherein schmerzfrei auf flachen Schuhen tanzen können. Aber schon Heinrich Spoerl erkannte in der „Feuerzangenbowle“:

„Mit der Schule ist es wie mit der Medizin – sie muss bitter schmecken, sonst nützt sie nichts!“

Schluss jetzt – der nächste Kurs beginnt! Auch wenn die Musik ein bisschen wackelt. Vielleicht ist sie auf der Flucht:

https://www.youtube.com/watch?v=U3qJsGJ6ScU

Zum Weiterlesen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2014/12/tangolehrer-leicht-gemacht.html

Kommentare

  1. Oh Mann, warum hat mir das nicht früher jemand gesagt. Es hätte mir soviel Zeit und Geld gespart, wenn ich nicht erst tanzen und lehren gelernt hätte. Und ich muss erst gar nicht nach BA reisen, mein Vorname wäre völlig ausreichend?
    Nur der Blog fehlt mir noch...
    Ok, Spaß beiseite: auch wenn ich Kenntnisse in Tanzmedizin und -pädagogik besitze und seit über 6 Jahren Tango tanze (abgesehen von über 26 Jahren Oriental Dance und etlicher Erfahrung in Jazz-, Modern- und Contemporary Dance sowie Tanztheater), wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich als Tangolehrerin zu bezeichnen.

    LG
    Carmen

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    1. Liebe Carmen,
      uns fehlt wahrscheinlich die Fähigkeit, einen entsprechenden Nimbus zu verbreiten und einfach zu behaupten, wir könnten es halt besser.
      Mich hat es trotz 25 Jahren Tango nie dazu getrieben, mich als Tangolehrer zu verkaufen. Es verändert die Persönlichkeit.
      Und heute kriegst du meistens Schülerinnen und Schüler, die es unverbindlich mal probieren wollen und nach den ersten Schwierigkeiten wieder abspringen.
      Wer wirklich auf Tango verrückt ist, findet seinen eigenen Weg. Den kann man phasenweise mal begleiten. Aber das sind die wenigsten - und die holen sich das, was sie brauchen, ganz eigenständig.

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