Lachen beim Hochamt

 

Kürzlich schrieb mir einer meiner Kritiker, dass mir kaum jemand meine Rolle als „Tango-Dissident“ abnehme. Er selber dagegen lasse Rücksicht auf die „Befindlichkeiten der Tangogemeinde“ walten, während ich „erbarmungslos“ draufschlage.

Der Mann hat zweifellos recht: Wenn sich ein Scherz anbietet, muss der Satiriker diese Steilvorlage – wie im Fußball – gnadenlos in ein Pointen-Tor verwandeln. Lieber einen Freund verlieren als auf einen Gag verzichten! Im Fußball kriegt man vom Gegner aber keine moralischen Vorwürfe. Er würde ja genauso handeln, wenn er könnte!

Der Begriff „Tangogemeinde“ klingt für mich ziemlich katholisch und erinnert mich an meine rebellischen Jugendjahre, als ich Funktionärsposten in der „Katholischen Jungen Gemeinde“ (KJG) bekleidete. Unser Pfarrer war ungefähr vom Zuschnitt eines altersstarrsinnigen Tangolehrers, der neben der offiziellen Doktrin genau nichts zuließ. Wir dagegen verstiegen uns zu der revolutionären Forderung, einen Pfarrgemeinderat wählen zu lassen, welchen er bislang verhindert hatte.

Da er eine öffentliche Unterschriftensammlung zunächst durch ein juristisches Manöver sabotierte, begleiteten wir die Fronleichnamsprozession mit Flugblättern, die wir an die mehr oder weniger Gläubigen verteilten. Später gab es dann auch die Unterschriften-Aktion, da wir uns rechtlich wehrten.

Bei der nächsten Predigt verglich mich Hochwürden mit einem der Schächer am Kreuz – natürlich dem uneinsichtigen. Leider brachten Monty Python „Das Leben des Brian“ erst 1979 heraus – zu spät für unsere Aktion.

https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Leben_des_Brian

Wahrscheinlich lernte ich schon damals, was Satire so wirksam macht: Eine doktrinäre, völlig vernagelte Gemeinschaft, in der alles entweder als heilig oder sündhaft gilt. Und da sind sich der katholische und der Tango-Katechismus erstaunlich ähnlich: Nach beiden kann man wenig richtig, aber viel falsch machen. Daher schleppt man von Haus aus ordentlich Schuld mit sich herum, von der man nur durch Reue und göttliche (oder argentinische) Gnade befreit werden kann. Dazu natürlich Rituale wie die gefalteten Hände oder die erlösende, heilige Umarmung. Lasset uns beten…äh tanzen!

Als ich 2010 mein Tangobuch herausbrachte, war ich völlig geplättet ob der Empörung, welches es in solchen Kreisen auslöste. Es wurde nicht als Satire oder wenigstens witzige Abhandlung verstanden, sonders als Gotteslästerung. Einige Jahrhunderte vorher wäre ich wohl auf dem Scheiterhaufen gelandet, später jedenfalls mein Buch verbrannt worden.

Sehr konsequent hat sich der Tango in dieser Richtung weiterentwickelt – er gilt in der heutigen Szene nicht mehr als Paartanz, sondern als Erlösung vom irdischen Jammertal. Wen wundern dann die Folgen, wenn Agnostiker die transzendentalen Ideen säkularisieren?

In der Kirche wie auf der Milonga spielt die Musik bei der Erziehung der Gläubigen eine zentrale Rolle. Zu meiner Jugendzeit galt alles als, was nicht im katholischen Gesangbuch („Gotteslob“) stand, als ketzerisch. Wir setzten uns natürlich für „rhythmische Messen“ ein (langhaarige Gitarristen plus Schlagzeug), was bei den katholischen Betonköpfen ungefähr so ankam wie Piazzollas Musik heute bei ihren Glaubensbrüdern im Tango.

Eine weitere Parallele ist augenfällig: Weder in der katholischen Kirche noch im Tango haben Frauen viel zu melden. Der Mann liest die Messe. Dem widerspricht nicht, dass die Hackordnung in Nonnenklöstern durchaus mit der unter Tangueras vergleichbar ist. Was sich im Tango noch nicht durchgesetzt hat: Dass im Gottesdienst Männer Freude daran haben, im Fummel rumzulaufen. Pferdeschwänze immerhin sind schon üblich. Warten wir’s ab!

Was strenge Gemeinschaften weiterhin eint, ist die Furcht vor kritischem Nachdenken, welches ja gefährliche Glaubenszweifel erzeugen könnte. Tanda, Ronda oder Abrazo werden ebenso wenig hinterfragt wie Beichte, Taufe oder die Jungfräulichkeit Mariens. Wer Begründungen verlangt, wird aggressiv zurückgewiesen. Über Axiome des Glaubens wird nicht diskutiert – die sind halt so, weil sie so sind. Die Vierfaltigkeit der großen Orchester (nach St. Lavocah) gilt ebenso automatisch wie die Dreifaltigkeit von Tango, Vals und Milonga, die Zweifaltigkeit von Mirada plus Cabeceo – oder gar die Einfalt solche Dogmen.

Solche Szenen begründen ihre Verarschungs-Anfälligkeit vor allem durch deren absolutes Fehlen von Humor. Souverän wäre es, meine Blödeleien mit einem Augenzwinkern zu beantworten. So in der Art: „Wir haben uns durchaus amüsiert, weil wir mal über uns selber lachen können!“ Wer meine Artikel liest und nicht nur anstarrt, wird genug Stellen mit Selbstironie finden. Natürlich nur, falls er sie sucht.

Aber nein, da wird so getan, als täte sich die Hölle auf, falls man über Unerlaubtes nachdenken dürfte!

Zu den ungeschriebenen Gesetzen zählt auch, Würdenträger nicht zu kritisieren – wobei die katholische Kirche inzwischen etwas weiter ist: Dort darf man nun sogar Bischöfe und Kardinäle in die Mangel nehmen. Gelegentlich selbst den Papst. Argentinische Tango-Exzellenzen dagegen sind weiterhin sakrosankt – da kann man sich einen gewaltigen Schiefer einziehen! Und selbst germanischen Tangohoheiten sollte man nicht auf die stets mitgeführte Schleppe treten.

Mit welchen Folgen? Na ja, schlimmstenfalls wird man ignoriert oder darf sich dämliche Kommentare durchlesen. Auch nicht schön, aber auszuhalten.

Der studierte Jurist Ludwig Thoma ging ebenfalls nicht sehr gnädig mit seiner Szene um. So heißt es in „Der Einser“: „Denn Amesreiter war ein sogenannter glänzender Jurist, hatte das Staatsexamen mit 1 gemacht und war sohin zeugungsunfähig."

1904 veröffentlichte Thoma im „Simplicissimus" ein Gedicht, das eine Konferenz der deutschen Sittlichkeitsvereine in Köln, insbesondere deren Generalsekretär Pastor Friedrich Bohn aufs Korn nahm. Darin heißt es:

"Was wissen Sie eigentlich von der Liebe
Mit ihrem Pastoren-Kaninchentriebe,
Sie multiplizierter Kindererzeuger,
Sie gottesseliger Bettbesteuger?"

Dafür setzte es vom Landgericht Stuttgart wegen Beleidigung sechs Wochen Gefängnis, die der Autor in München-Stadelheim absaß.

https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/ludwig-thoma-zum-89-todestag-der-grantler-unter-den-dichterjuristen

Na ja, ich hätte das Gedicht nicht auf eine spezielle Person bezogen. Daher habe ich auch nur die konservative Tangoszene allgemein mit Hardcore-Katholiken verglichen. Und der Lachreiz in Hochämtern und bei Beerdigungen ist ein Naturgesetz.

Daher abschließend einer meiner gefürchteten Lieblingswitze:

Ein Flugzeug gerät wegen eines Motorschadens in gefährliche Turbulenzen. Schließlich kommt die Durchsage der Flugbegleiterin:

„Meine Damen und Herren, wir müssen uns auf einen drohenden Absturz vorbereiten. Ist ein Priester an Bord?“ Schweigen. „Oder kann jemand wenigstens ein Gebet sprechen?“ Dito. „Oder zumindest ein religiöses Ritual durchführen?“ Da erhebt sich ein Fluggast, nimmt seinen Hut und geht sammeln.

Kennen wir doch alle von Milongas mit Livemusik!

Daher zum Abschluss keinen Piazzolla, sondern etwas „Happy Clapping“:

https://www.youtube.com/watch?v=DU1PBPhNt-o

Kommentare

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