Die Macht der Männer im Tango

 

Ich wollte heute alles andere als einen weiteren Artikel schreiben. Aber der Text, den ich gerade noch gefunden habe, ist einfach zu gut!

In der FB-Gruppe „Tango Friends – What’s going on?“ schrieb am 1.8.24 eine britische Tanguera (von mir übersetzt):

„Ich war schon immer der Meinung, dass es für moderne Frauen keinen Grund gibt, sich über Ungleichheit zu beschweren. Ganz ehrlich, wir haben eine außergewöhnliche Bildung (in letzter Zeit hat die Zahl der gebildeten Frauen die der Männer übertroffen), wir haben Rechte, wir werden respektiert, wir können Familie haben, wann immer wir wollen oder auch nicht, wir verdienen gut, wir können alles erreichen, was wir wollen. Ich habe den Klagen der Frauen über mangelnde Chancengleichheit NIE zugestimmt. Ich habe mich ernsthaft als absolut gleichberechtigt gesehen, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Ich will etwas? Ich gehe und hole es mir. Du willst etwas? Geh hin und hol es dir. Ganz einfach. Es ist alles möglich.

Und dann habe ich angefangen, im Tango zu führen und eine Rolle zu übernehmen, die sonst überwiegend Männern vorbehalten ist. In letzter Zeit wurde ich nicht nur als gute Folgende, sondern auch als passable Führende bekannt. Die Leute haben es bemerkt.

Und die Dinge haben sich geändert.

Es ist das ERSTE MAL in meinem Leben, dass ich mich in etwas einmische, das eine Domäne der Männer ist. Ich bin weit davon entfernt, der beste Führende der Stadt zu sein, und doch spüre ich die Macht, welche die männliche Rolle hat, zumindest im Tango. Lasst mich mit euch die bisherigen Erfahrungen teilen. Und das ist erst der Anfang.

1. Ich spüre mehr Respekt von Männern. Es ist eine subtile Veränderung, welche die meisten Männer wahrscheinlich gar nicht bemerken, aber wenn ich zum Beispiel im Unterricht etwas zu einem Führenden sage, eine Korrektur gebe oder mich mit einem männlichen Freund außerhalb der Tanzfläche unterhalte, habe ich das Gefühl, dass man mir mit mehr Aufmerksamkeit und Respekt zuhört. Meine Sichtweise und Meinung (zumindest über Tango) ist plötzlich wertvoller geworden.

2. Frauen haben angefangen, mir zu schreiben und mich zu fragen, ob sie mit mir üben oder eine Tanzpartnerschaft eingehen wollen. In Milongas spüre ich die Augen der Frauen auf mir, und oft gibt es Anfragen, zusammen zu tanzen. Ich finde es toll, dass ich eine so gute Führende werde, dass ich solche Bitten erhalte, aber es wurde auch sehr deutlich, wie unterschiedlich die Dinge für Führende und Folgende sind.

Was ich also über all das zu sagen habe, ist folgendes: Männer haben zumindest im Tango noch die Oberhand. Ich habe die ‚Männerwelt‘ nur ein bisschen betreten und bin immer noch eine Frau, mit weiblicher Energie und Physis, und doch spüre ich stark die Macht, die gute Führende im Tango haben. Es ist eine enorm dominierende Rolle, und es überrascht mich nicht mehr, dass so viele Männer leider ihre Menschlichkeit und Demut verlieren und, offen gesagt, zu Idioten werden. Macht kann einen verderben. Und Männer haben so viel Macht im Tango! Gute Führende sogar noch mehr. Wenn sie noch dazu gut aussehen – da kann mir jetzt genau vorstellen, was das für sie bedeutet und wie viel Bewunderung und Aufmerksamkeit sie von Frauen bekommen. Und ich kann mir auch vorstellen, wie sie das wählerisch oder arrogant machen kann. Es ist nicht ihre Schuld, es ist einfach die Realität der sozialen Dynamik.

1. Wenn eine Frau in ihrer vollen Kraft sein will, sollte sie eine gute Tänzerin in beiden Rollen werden. Wenn sie nur eine Folgende sein will, ist das in Ordnung, aber sie muss dann wirklich gut werden, um ihre Rolle in vollen Zügen zu genießen. Sie muss zu der Art von Tänzerin werden, mit der die meisten Männer tanzen wollen, und nicht zu einer, die dasitzen und darauf warten muss, dass jemand sie wählt. Männer haben einfach zu viele Frauen, unter denen sie aussuchen können. Frauen, die ihnen privat schreiben. Frauen, die sich ihnen anbieten. Frauen, die wirklich sehr gut sind. Die Konkurrenz ist leider groß, und so traurig es auch ist: In Wirklichkeit konkurrieren Frauen unbewusst miteinander um die Aufmerksamkeit der Männer, und viele der ‚Kämpfe‘ finden außerhalb der Tanzfläche statt. Also müssen wir als Frauen gemeinsam wirklich gut werden. Wir müssen lernen, was wir wert sind, und aufhören, uns selbst herabzusetzen, indem wir die Männer auf ein Podest stellen. Lernt zu führen, meine Damen. Lernt, es gut zu machen, und zwar nicht, um Männer zu bekämpfen, sondern um Tänzerinnen zu sein, die absolut gleichberechtigt sind. Ich spreche nicht aus dem Blickwinkel der Bitterkeit, sondern der Realität, die ich beobachte, da ich jetzt in beiden Rollen tanze.

2. Männer, ihr habt eine immense Macht. Allein dadurch, dass ihr im Tango ein Mann seid, habt ihr einen enormen Vorteil. Es spielt keine Rolle, wie du aussiehst, es spielt keine Rolle, wie alt du bist, wie viel du wiegst oder welcher Ethnie du angehörst: Du hast die Macht. Die Frauen wollen mit dir tanzen. Wenn du also angesichts der Macht, die du als Mann im Tango hast, keine Tänze bekommst, dann bist du wahrscheinlich noch kein guter Tänzer oder du bist nicht geschickt darin, deine Macht einzusetzen. Du willst mehr tanzen, du willst Anfragen zum Üben und zu Tanzpartnerschaften bekommen und mehr? Lerne, gut zu führen. Nimm Unterricht, lerne, arbeite an dir. Du hast eine Menge Macht, leider zu viel, also lerne, sie zu nutzen. Wenn ich als Frau und anständige, aber noch nicht überragende Führende Anfragen von Frauen bekomme – rate mal, wie viel mehr Macht du hast, wenn du bereits ein Mann im Tango bist, denn die meisten Frauen mögen männliche Energie im Tanz, die ich nicht bieten kann! Allein, dass du ein Mann im Tango bist, bedeutet, dass du fast endlose Tänze bekommen kannst. Wenn es bei dir nicht so ist, frage dich: Sollte ich vielleicht mehr lernen?

Dies mag ein sehr kontroverser Beitrag sein und wird wahrscheinlich einige Federn rupfen, aber ich möchte, dass wir alle, Frauen und Männer, über diese Dynamik nachdenken. Ich habe das Glück, Zugang zu beiden Seiten zu haben, deshalb wollte ich euch allen einige Denkanstöße geben. Ich habe schon seit einiger Zeit darüber nachgedacht. Und ich denke, es ist wichtig, das mal auszusprechen.“

Quelle: Oa Metzner - I have always felt that there’s no need for modern... | Facebook

Wie schon das perfekte Englisch verrät, stammt die Verfasserin nicht gerade aus der Unterschicht. Vermutlich deshalb musste sie sich auch kaum über „mangelnde Chancengleichheit“ beklagen. Viele Frauen werden das anders sehen. Außerdem ist sie wohl eine Tango- und Pilates-Lehrerin. Umso eindrucksvoller finde ich es, dass sie mit der Tangoszene (vor allem der männlichen) nicht gerade schonend umgeht. Immerhin riskiert sie damit, Kunden zu verlieren.

Sie beschreibt sehr klar und wohl auf Grund eigener Erfahrungen die Machtposition der Männer im Tango. Andererseits – und auch da stimme ich ihr zu, ist diese nicht in Stein gemeißelt.

Führen zu lernen ist für Frauen ein probates Mittel, um in diesem Tanz mehr als ein Wörtchen mitzureden. Vor allem aber eine Mentalität, die sehr deutlich aus diesem Text spricht.

Ja, so könnte man an den Geschlechterbeziehungen im Tango (und nicht nur dort) einiges verbessern!

Insbesondere, wenn man die Dinge so klar und mutig benennt wie die Autorin. Und entschlossen seinen Weg geht.

Chapeau!

P.S. Dann lassen wir die Dame doch noch ein Tänzchen wagen:

https://www.youtube.com/watch?v=csOZTMRNY4c

Kommentare

  1. Ob diese "immense Macht" so toll ist wie beschrieben sei mal dahingestellt. Aber sie existiert nur, wenn mehr Frauen mit Männern tanzen wollen als Männer mit Frauen. Und sie ist Teil des Gleichgewichtes, also dass jede und jeder für sich eine positive Bilanz zieht oder wegbleibt. Logischerweise ergibt sich ein neues Gleichgewicht mit mehr Frauen und weniger Männern als bisher.

    Es kommt wie es kommt, das Thema ist ja auch schon ziemlich durch.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Na ja, immerhin reizte dich das Thema zu einem Kommentar.
      Ich glaube nicht, dass man dieses Machtverhältnis nur auf die zahlenmäßige Relation von Männern und Frauen im Tango zurückführen kann.
      Männer versuchen in vielen gesellschaftlichen Bereichen die Oberhand zu gewinnen, weil sie stärker nach Rangordnung streben als Frauen. Beim Tango wird zudem vieles über den Mann definiert, der ja führen soll und somit den Tanzstil bestimmen kann, während die Damen nach konservativer Lesart sich dem anzupassen haben. Das lockt natürlich auch einen speziellen Männertyp an.
      Ich sehe immer wieder Kursvideos, bei denen der Lehrer unablässig redet und die Bewegungen (auch die der Partnerin) erklärt, während die ihr Rolle stumm und ziemlich passiv spielt.
      In Diskussionen bezweifeln Tänzer in der Regel diese Tatsachen, während Frauen dem eher zustimmen.

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.