Liebes Tagebuch... 83

 

Nicht mehrheitstaugliche Meinungen werden heute im Tango wohl vorwiegend in privaten Nachrichten geäußert. Man möchte halt öffentlich nicht erkennbar werden, um der kollektiven Nichtbeachtung zu entgehen.

Erst neulich schrieb mir ein prominenter Kritiker, er sei per Mail gefragt worden, ob ich denn schon „dement“ sei. Das mag ja sein – und ich wüsste dann auch, welche Ursache das hat: Die Dauerbeschallung mit den ewig gleichen Hits von einst kann kein Gehirn folgenlos überstehen.

Tatsächlich erhalte ich ebenfalls auf elektronischem Weg Nachrichten – öfters sogar in zustimmender Art. Nur bin ich dann sehr vorsichtig mit Veröffentlichungen, da diese wohl in der Regel nicht gewünscht sind.

Ich habe daher einige Zeit gewartet, um eine solche Zuschrift einmal zu publizieren. Ich fand sie sehr amüsant. Und natürlich tue ich mein Möglichstes, dass der Absender nicht erkennbar bleibt.

Der Leser lobte einen meiner Artikel, der ihm „aus der Seele“ spreche:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2024/06/was-ihnen-ihr-tangolehrer-nicht-erzahlt.html

Weiterhin interessierte er sich für meine Playlists, woraufhin ich ihm einen entsprechenden Link zusandte.

Weil mein Leser gern zu Piazzolla tanze, sei er schon ein paarmal „doof angeeckt“. Das erregte natürlich mein Interesse, so dass ich nachfragte.

Glücklicherweise wurde ich mit einigen Zitaten versorgt!

Ein DJ antwortete ihm, das sei „ganz unmöglich zu tanzen, weil es keinen klaren Beat habe“.

Fragt sich halt, für wen…

Von einem Tangokollegen hörte der Schreiber, Piazzolla habe die Tradition des Tangos versucht zu zerstören". Dazu zu tanzen sei „politisch nicht korrekt".

Eine Tanguera äußerte sich so: „Du tanzt zu Piazzolla? Mir hat man beigebracht, dass das nicht geht." Offenbar konnte er sie aber vom Gegenteil überzeugen.

Diese Äußerung sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen: Während man früher im Tango lernte, wie etwas anzustellen sei, lernt man heute, dass etwas nicht funktionieren könne.

Je älter ich werde, desto öfter frage ich mich, ob es in unserem Tanz eigentlich noch dümmer geht. Und fast immer komme ich zum Ergebnis: Ja, klar! Was mit Sicherheit meine Demenz fördert.

Bestätigen kann ich auch die Erfahrung meines Lesers: Je mehr Tanzende Wert auf Feststellungen wie „richtig“ oder „falsch“ legten, desto höher stünden bei ihnen „traditionelle“ Tangos im Kurs. Offenbar kommt es in diesem Metier weniger darauf an, elegant oder musikalisch zu tanzen. Hauptsache, es entspricht den Vorschriften!

Immerhin zitierte der Schreiber abschließend noch eine argentinische Tangolehrerin:

„Du kannst wirklich alles führen, was du willst, aber wenn die Frau umfällt, war es falsch.“

Ich würde nur ergänzen: Die Tänzerin kann das auch – und Männer fallen nicht so leicht um!

Abschließend meinen herzlichen Dank für diese Zuschrift – und ich hoffe, dass mein Leser es noch länger im heutigen Tango aushält. Ehrlich gesagt hält sich aber mein Optimismus in Grenzen…

Illustration: www.tangofish.de

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