Tangolehrer – leicht gemacht!
„Das
kommt mir spanisch vor.“
(Redewendung aus der
Regierungszeit von Karl V., seit 1516 spanischer König, ab 1519 auch deutscher
Kaiser; das spanische Hofzeremoniell war bis dahin in Deutschland noch
unbekannt und wurde teilweise als unerhört empfunden.)
Sie
wollen sich einen Wunschtraum erfüllen und Tangolehrer werden, befürchten
jedoch, die Ausbildung könnte sehr langwierig, mühsam und teuer werden? Nun,
tatsächlich gibt es Ausbildungsangebote, welche sich – zu entsprechenden
Preisen – über ein Jahr und länger erstrecken. Doch wieso anderen den Griff in
Ihre Taschen ermöglichen? Fangen Sie doch gleich richtig herum an!
Mein
erster Tipp wird Sie vielleicht verblüffen: Behaupten Sie doch einfach, dass Sie Tangolehrer sind! Dies ist ja
keine geschützte Berufsbezeichnung, für welche Sie irgendwelche Befähigungsnachweise
vorlegen müssen. Wahrscheinlich haben Sie auf Milongas schon Personen erlebt,
bei denen Sie ob der Qualität ihres eigenen Tanzens nie auf die Idee gekommen
wären, sie könnten wirklich Tango unterrichten. Na eben: Was die drauf haben, kriegen
Sie doch locker hin! Und außerdem: Wo steht denn geschrieben, dass Sie als
Vertreter dieses Berufsstandes überhaupt auf jedem popeligen Tangoabend selber
tanzen müssen? Doch davon später…
Zwar
hält sich, zu Ihrem Glück, die Sachkunde in der hiesigen Tangoszene in engsten
Grenzen – eines aber müssen Sie unbedingt beachten: Das Publikum hierzulande besteht fast ausnahmslos aus Latino-Lovern
– man findet alles höchst attraktiv, was einem spanisch vorkommt! Sollten Sie
mithin nicht mit einer südeuropäischen oder besser lateinamerikanischen
Abstammung gesegnet sein (sonst würden Sie wohl kaum dieses Blog lesen können), müssen Sie dringend etwas dagegen unternehmen.
Unterziehen Sie Ihre gesamte tangomäßige Existenz einer bedingungslosen
Hispanisierung! Das beginnt schon bei Ihrem Namen: Sie werden auf jeden Fall deutlich
mehr Kursanmeldungen erhalten, wenn Sie sich als geborener „Heinrich Hörndlmeier“ in „Enríque
Medialuna“ umtaufen. (Von einem Doppelnamen wie „Hörndlmeier de Medialuna“ hingegen ist abzuraten – obwohl es
solche Versuche gibt, klingt es doch ein wenig komisch!)
In spanische
Stiefel schnüren sollten Sie erst recht die
tänzerischen Fachbegriffe: Selbstredend ist eine Drehung ein „giro“, solo ausgeführt eine „soltada“,
statt „vorwärts“ sagen Sie natürlich „adelante“, und „rückwärts“ heißt „atrás“.
Aber keine Angst: Mit höchstens einigen Dutzend Begriffen aus dem „Jägerlatino" sind Sie
spielend dabei! Halbgottartiges Ansehen allerdings ist erreicht, wenn Sie eine
Drehfigur auf einem Bein mit ständigem Einhakeln und Auskreisen des freien
Hinterlaufs ohne Verlust des Zahnersatzes als „Lapiz y aguja con pivot de pierna con enrosque atrás“ bezeichnen
können. (Keine Erfindung, steht so
wortwörtlich auf der Website eines Tangolehrers!)
Ihr
Latein als Jäger und Sammler von Schülern müssen Sie jedoch unbedingt mit einer
Wallfahrt ins Mekka des Tangos nach Buenos
Aires komplettieren – da führt kein Weg dran vorbei! Aber nur nichts
übertreiben – ein bis zwei Wochen reichen! Wichtig ist nur, dass Sie in dieser
Zeit Privatstunden bei möglichst vielen argentinischen Tangolehrern buchen (die
Namen finden Sie auf den Webseiten der Konkurrenz), um hinterher auf dem
eigenen Internetauftritt eine beeindrucken wollende Liste zu veröffentlichen,
welche Auskunft über Ihre „tänzerische Ausbildung“ gibt.
Den
digitalen Auftritt als Tänzer und
Tangolehrer, oder besser „bailarin y
profesor de tango“, halten Sie in den üblichen Bonbonfarben, natürlich
garniert mit sexualhormontriefenden Bildern von Ihnen und Ihrer gerade aktuellen
Partnerin – als Tanzpaar, angetan mit einschlägiger Hardware (Nadelstreifen und
Puff), in den branchenüblichen Sinnlichkeitstaumel-Posen. Im Gegensatz dazu
sollten Sie textlich nicht allzu konkret werden – es gibt immer wieder Neider,
die alles bei „Wikipedia“ nachschauen und Sie dann mit ärgerlichen Korrekturen
nerven. Es genügt vollauf, einige Klischees von Vollmond, Erotik und
Leidenschaft auf der Suche vom Ich und Du zum Wir zu verquirlen (Anregungen hierzu
auf Hunderten von Homepages!) und von der Faszination zu schwobeln,
welche sich quasi auf Knopfdruck ab der ersten Tangostunde einstelle.
Ebenso
nebulös sollten Sie bei den Kursbeschreibungen bleiben – sonst nimmt man sie
nachher noch beim Wort. Merke: Sie
verkaufen keine Tanzfertigkeiten, sondern verleihen Leidenschaft! (Und wie
alles Geborgte kriegen Sie diese hoffentlich hinterher unverbraucht wieder zurück…) Eine
Botschaft allerdings können Sie gar nicht deutlich genug verkünden: Tango
argentino ist der einfachste Tanz überhaupt, den noch der letzte
Bewegungslegastheniker erlernen kann! Bedenken Sie: Je unbegabter ein Schüler,
desto mehr Unterricht können Sie ihm verkaufen – oder wollen Sie diese umfangreiche Gruppe zur Konkurrenz treiben?
Freilich
muss auch Ihr eigener Unterricht vom
Ziel geleitet sein, allzu rasche Lernfortschritte zu unterbinden. Denken Sie an
Ihre ersten Tanzstunden in der Schulzeit: Da wurden weitgehend „Schritte“ erklärt – und, hat Sie das
weiter gebracht? Na eben! Angenehm ist auch, dass Sie hierfür keine Ausbildung
brauchen – wozu gibt es schließlich Tausende von Vortanz-Videos auf „YouTube“
und anderswo? Da kriegen Sie Material für Jahrzehnte! Und das Schöne dabei:
Ihre Schüler können in der Folge zwar zahllose Choreografien heruntertappen und
haben das beruhigende Gefühl, durchaus etwas „gelernt“ zu haben – dass dies mit
wirklichem Tanzen kaum etwas zu tun hat, bleibt Ihr Geheimnis!
Lassen Sie
dagegen die Finger von der Technik:
Erstens sind Ihre Leute noch nicht so weit (und zwar auf Dauer), und zweitens
erfordern diese Themen schon ein beträchtliches eigenes Können, also begeben Sie sich
nicht unnötig in Schwierigkeiten! Vor allem aber: Bringen Sie niemanden auf die
Idee, Tanzen sei die Interpretation der
Musik! Bleiben Sie dabei: Anfänger (auch chronische) brauchen eine einfache
Beschallung, also her mit der Di Sarli-CD mit „Bahia Blanca“, „Verdemar“
und „Organito de la tarde“ in
Endlosschleife! Die rhythmische Bewegung reicht, am besten zu den gleichen
Schritten linksrum hintereinander wie im Goldfischglas…
Nach
dem Grundsatz „Tanzen ist Silber, Reden
ist Gold“ empfiehlt es sich, Ihren Kurs vor allem durch rhetorische
Darbietungen zu beeindrucken. Sie können es ja schon, das müssen Sie nicht
ständig beweisen – und schon gar nicht durch das direkte Üben mit Ihren
Schülern! Hierzulande verknüpft man Expertentum weit mehr mit Bescheidwisserei
denn mit besserem Können. Im Notfall legen Sie sich einen chronischen Schaden
am Geläuf zu, den Sie in brenzligen Situationen reaktivieren
können („diese Bänderzerrung macht mir
heute wieder zu schaffen“).
Wie
bekommt man nun möglichst viele Schüler? Vorab: Mit der Qualität des
Unterrichts hat das rein gar nichts zu tun! Viel wichtiger ist es, ständig Events zu organisieren. Kupfern Sie
dazu ruhig die Ideen der Konkurrenz ab, die macht das auch: Ob nun
Tanzschuhverkauf, Tangoflohmarkt, Festivalitos mit Workshops internationaler
Starlehrer, stille respektive dunkle Milongas oder eine „Gigolo-Nacht“ mit Taxitänzern – den
anderen wird schon etwas einfallen! Beim Tango rennt man dorthin, wo alle
hinrennen, weil es dort vermeintlich Neuheiten gibt, und aus Milongagästen
werden Schüler. Und im Notfall können Sie ja auch eine Tangolehrer-Ausbildung anbieten...
Zeigen
Sie auch sonst in der Tangoszene Präsenz!
Das Schaffen von Alleinstellungsmerkmalen beginnt natürlich bei Ihrer äußeren Erscheinung – und trotz vieler
anderer geschmacklicher Attacken wie Beinkleidern mit Schlag, roten
Hosenträgern oder weißen Operetten-Bonvivant-Galoschen ist und bleibt halt der Klassiker
der Pferdeschwanz, den man sich selbst bei ausgeprägter Kahlköpfigkeit noch
aus einem Rest an Nackenbehaarung zusammenpfriemeln kann.
Noch wichtiger aber
ist Ihre verhaltensmäßige Darstellung
beim Besuch von Milongas. Hierfür gibt es, je nach persönlichen Ressourcen, zwei Optionen: Bei der „einsamer
Wolf-Nummer“ erscheinen Sie erst kurz vor Mitternacht in möglichst
zerlumptem Outfit, Bergstiefeln sowie gelangweiltem Blick. Nehmen Sie ja keine
Notiz von andern Gästen, setzen sich mit dem Rücken zur Tanzfläche und palavern
bestenfalls mit Premium-Schülern zur Abgeltung von deren Einzelstunden-Bonus. Und:
Auf keinen Fall tanzen! Schließlich
weilen Sie bereits in solch hohen Sphären, dass Ihnen der momentane profane
Betrieb kaum ein müdes Lächeln entlocken kann. Bei der „Startänzer-Nummer“ hingegen sind Sie in Begleitung des gerade
aktuellen bulimischen Engelchens mit 7,5 cm-High Heels, mit dem Sie nach
angemessener Wartezeit einige rituelle Tänze vollführen und alsbald wieder
verschwinden.
Desto
kontaktfreudiger sollten Sie sich hingegen in den sozialen Netzwerken des Internets geben: Jeder Tag ist verloren, an
dem Sie nicht digitale Anpreisungen Ihrer unvergleichlichen Veranstaltung
hinaustütern! Bedenken Sie: Der durchschnittliche Tangomensch ist nicht in der
Lage, sich den Termin einer Milonga für mehr als 24 Stunden zu merken – deshalb
ist er höchst dankbar dafür, eine Woche lang täglich wieder eine
Benachrichtigung zum gleichen Thema zu erhalten. So machen Sie sich viele Freunde
– auf jeden Fall das, was „Facebook“ darunter versteht…
Auf etwaige Kritik reagieren Sie heftig mit dem Argument, derjenige sei ein totaler Dilettant und daher unfähig, Ihe künstlerisches Tun zu beurteilen. Begründungen dazu sind unnötig und nur ein Zeichen von Schwäche!
Fazit:
Sie sehen, Tangolehrer zu werden ist gar nicht so schwer, Sie müssen nur eines
vermeiden: Zeigen Sie ja nicht, dass Ihnen der Tango Spaß macht – das
kennzeichnet Amateure, nicht Profis!
P.S.
Lieber Leser, selbstverständlich gelten meine bösartigen Anwürfe für eine
Person auf keinen Fall: Ihren eigenen Tangolehrer, der sich so viel Mühe mit
Ihnen gibt und supernett ist. Weisen Sie ihn daher zur Vermeidung depressiver
Krisen nicht auf mein Blog hin – und sollte er es schon kennen: Schwören Sie ihm,
dass Sie kein Wort von dem glauben, was hier steht!
„You teach best what you need most to learn“
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