Ex Cathedra

 

„Der Terminus ex cathedra (‚von der Kathedra aus‘) bezieht sich auf den Bischofssitz von Rom, dessen Inhaber nach Lehre der katholischen Kirche in der Nachfolge des Apostels Petrus steht und die höchste Vollmacht über die Gesamtkirche hat. Ein Wort des Papstes ex cathedra gilt als eine unfehlbar verkündete Lehrentscheidung in Fragen des Glaubens oder der Sittenlehre.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Kathedra

Nicht nur in der Religion, sondern auch im Tango gelten persönliche Ansichten nicht viel. Wer dagegen seine individuellen Sichtweisen mit der Wucht einer feststehenden Lehrmeinung ausstattet, findet eher Gehör – vor allem, wenn er „Rom“ durch „Buenos Aires“ ersetzt. Der Tango ist inzwischen eine sehr katholische Disziplin.

In meinem letzten Artikel habe ich davon berichtet, dass die Musik eines Ensembles, das ich sehr schätze, als zum Tanzen ungeeignet befunden wurde:

Aber die Aufführung klingt eben überhaupt nicht nach einem Tango, sondern es handelt sich ganz klar um eine konzertante Aufführung.“ So das Urteil eines frischgebackenen Tangolehrers. Und einer seiner Anhänger fügt hinzu: „Danke Helge - das ist wirklich ein Beispiel für ‚sehr‘ konzertant. (…) Konzert und keine Tanzband eben...“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2024/08/ein-konzertstuck.html

„Absolut untanzbar“ – auch solche Vokabeln kenne ich zur Genüge. Man begnügt sich also nicht damit, selber zu einer Musik nicht tanzen zu wollen oder zu können – nein: Stattdessen nimmt man gleich die ganze Welt in Geiselhaft. Niemand kann das – aus die Maus!

Und weil es auch keiner darf, stellt man das Parkett schon mal mit Stühlen zu:

„Wenn Veranstalter*innen in der Einladung schreiben, dass es ein konzertantes Set gibt, dann ist damit gemeint, dass es ein Konzert ist. Man soll dann darauf nicht tanzen.“ So der Kommentar einer lokalen Tangogröße.

Und ein Tangolehrer wurde noch deutlicher:

„Wenn ich in einem Konzert solche ‚Bewegungs-Legasteniker‘ vor mir auf der Bühne rumturnen sehe, kann ich auch oft nicht schmerzfrei dieser Musik lauschen. Da es aber offensichtlich immer wieder bewegungshungrige Zeitgenossen gibt, die selbstüberschätzend glauben, sich zu allem, was auch nur entfernt an Tango erinnert, bewegen zu müssen, muss manchmal der Veranstalter eingreifen.
Gut, dass es hier der Fall war.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2024/02/erstmal-nicht-tanzen.html

Ich mag da nicht mit, da mir das Urteil fernliegt, man könne oder dürfe zu einer bestimmten Musik nicht tanzen. Auch, wenn es sich um die bekannten Hits aus grauer Vorzeit handelt. Ich sage höchstens, dass es mir nicht liegt – und ich dennoch öfters dazu tanze, weil es halt den ganzen Abend nichts anderes gibt.

Und ja: Ich werbe für Tangomusik, die mir gefällt. Mich würde es freuen, wenn man solche Aufnahmen wenigstens mal zur Kenntnis nähme. Doch viele ignorieren das oder behaupten tapfer, ich sei ein Anhänger des „Non Tango“.

Daher: Ich verkünde keine als Tatsachen verkleidete Ansichten, sondern betone immer wieder, dass ich in den Blogartikeln meine ganz persönlichen Vorlieben und Abneigungen äußere.

Von anderen kriege ich Diagnosen, wie erst kürzlich erst von einem DJ und Sportlehrer, der auch Tangounterricht anbietet:

„Er ist ziemlich groß, was leider dazu führt, dass er mit einer fürchterlichen Haltung (Rundrücken und hängenden Schultern) tanzt.“

Das fachliche Urteil wird dann gleich noch mit den öffentlichen Falschbehauptungen garniert, von mir gebe es keine Tanzvideos mehr, da ich sie offenbar alle gelöscht habe.

https://helgestangoblog.blogspot.com/2024/07/kurznotiz-18-crack-of-doom.html#comments

Andere würden dem Herrn vielleicht per Anwalt eine Unterlassungserklärung zusenden lassen. Aber was soll’s – als Blogger muss man sich mit einem gewissen Prozentsatz an Dreck abfinden.

Von meinem Kritiker habe ich tatsächlich noch nie ein Tanzvideo gefunden. Allerdings habe ich ihn schon auf Milonga-Pisten beobachtet. Aber ich würde seinen Tanzstil niemals öffentlich beschreiben oder gar bewerten. Warum auch? Es ist irrelevant, wie qualitativ wertvoll oder wertlos wir uns auf der Piste bewegen. So wichtig sind wir nämlich beide nicht. Was bliebe, wäre nur die Freude an etwas persönlicher Abwertung.

Worum es mir auch hier geht: Ich akzeptiere völlig, dass jemandem meine Tanzhaltung nicht gefällt. Mir oft auch nicht. Könnte man dann nicht schreiben, man halte sie für „fürchterlich“ – statt es als objektive Tatsache darzustellen?

Auch einer meiner Dauerkritiker ist sich da ganz sicher:

„Seine veröffentlichten Texte belegen, dass er nie einen tieferen Zugang zum Tango Tanz gefunden hat.“

Natürlich kein Wort davon, dass es sich dabei um seine persönliche Ansicht handelt. Wieso auch? Meine Texte belegen es ja…

Ganz aktuell lese ich in einem Blogartikel von unterschiedlichen „Denkschulen“ im Tango. Ich fürchte, der Autor meint das nicht satirisch, sondern verwendet diese Vokabel in vollem Ernst.  

Nun habe ich in der Schule stets versucht, zu denken – anfangs mit Blick zu Tafel, später sogar hinter dem Pult. Ich fürchte, eine „Denkschule“ könnte genau das Gegenteil bewirken, nämlich irgendwelche Glaubenssätze nachzubeten. Noch dazu geht es in diesem Beispiel nicht mal um große Theorie-Ansätze, sondern schlicht um die Verbindung des linken Arms der Tänzerin mit dem rechten Arm des Partners. Wow!

Schuldbewusst gestehe ich, über diese Frage in 25 Jahren Tango noch nie nachgedacht zu haben. Nicht mal über das Problem, wie ich auf der Piste eine Frau überhaupt umarmen soll. Nach meiner Erfahrung gibt es da längere und kürzere, dünnere und festere Exemplare, die entweder näher ran oder lieber ein wenig auf Abstand bleiben wollen – und einiges mehr. Kurz gesagt: ziemlich verschiedene Menschen.

Seit meiner Pubertät – und später sogar beim Tanzen – habe ich mühsam gelernt, einigermaßen zu spüren, ob und wie sehr sich eine Frau in meinen Armen wohlfühlt. Und ich in ihren. Hätte ich den Mädels damals erklärt, es gebe zu diesem Thema unterschiedliche „Denkschulen“, wäre wohl bei ihnen der Verdacht entstanden, es mit einem gefährlichen Irren zu tun zu haben.

Doch in der Diskussion begegnet der Autor versehentlich der Realität:

„‘Denkschule‘ in dem Sinne, dass jeder Tangolehrer, den ich bisher kennengelernt habe, nur eine der Varianten unterrichtet hat. Und diese dann als die einzig korrekte Variante verkauft. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand in seinem Unterricht mehrere Varianten vorstellt und dann die Schüler animiert, diese Varianten mit unterschiedlichen Tanzpartnern in unterschiedlichen Tanzhaltungen auszuprobieren, um für sich selbst diejenige Variante zu finden, die sich am besten anfühlt.“

https://helgestangoblog.blogspot.com/2024/08/arm-arm-oder-doch-nicht.html#comments

Na sicher – denn Tango ist ja inzwischen kein Gesellschaftstanz mehr, sondern eine Religion. Wen wundert es dann, wenn man kultische Dogmen statt persönlicher Geschmäcker und Einstellungen verkündet?

Ich tanze nun seit mehr als einem halben Jahrhundert und habe mühsam gelernt, was mich in diesem Metier weiterbringt und vor allem, was nicht. Daher lasse ich mich von irgendwelchen Hanseln auf unfehlbaren Lehrstühlen nicht mehr beirren.

Was mich oft bedrückt, sind die Neulinge, die sich von einem solchen Bedeutungs-Gehubere irritieren oder gar beeindrucken lassen.

Daher mein abschließender (und unverbindlicher) Rat an Anfängerinnen und Anfänger:

Keiner kann euch genau sagen, wie ein bestimmter Tanz zu vollführen ist – und am allerwenigsten der Tango. Entdeckt selber, wie ihr euch als Paar auf dem Parkett weiterentwickeln könnt – und solche Erfahrungen gehören zum Schönsten, was unser Tanz zu bieten hat.

Wenn ihr wollte, dürft ihr gerne an die Jungfräulichkeit Mariens oder das Überholverbot in der Ronda glauben. Nur: Es ist keine Pflicht.

Seid offen für Tipps und Feedback – aber wenn es euch stört, dann zeigt den Rechthabern an der Seitenlinie die Gelbe Karte. Und wenn sie es nicht lassen: die Rote!

Bei Bedarf ausschneiden und zum Tangounterricht mitnehmen:



Kommentare

  1. > als Blogger muss man sich mit einem gewissen Prozentsatz an Dreck abfinden.

    Es ist ein geradezu perfider "Dreck", wenn es auf Ihrem YouTube Kanal KEIN EINZIGES Tanzvideo gibt und man deshalb zu dem Schluss kommt, dass es "offenbar" (!) keine Tanzvideos mehr gibt. Falls sich jemand für meine Sport-Videos interessieren sollte, findet er sie - Überraschung!!! - auf meinem Kanal.

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    1. Lieber Jochen Lüders,
      ich würde Ihnen raten, sich jetzt nicht herausreden zu wollen.
      Als erfahrener Blogger wissen Sie, dass man genau recherchieren muss, um sich nicht dem Vorwurf falscher Tatsachenbehauptungen auszusetzen. Was beim Leser hängenbleibt, ist halt: Es gibt keine Videos, sind alle gelöscht.
      Es hätte genug Möglichkeiten gegeben, meine Tanzvideos zu finden. Sie können nicht davon ausgehen, dass sie alle auf meinem YouTube-Kanal stehen. Notfalls hätte man mich sogar fragen können. Aber dabei steht Ihnen wohl Ihre Hybris im Weg.
      Aber es reicht halt nicht, einfach mal zu behaupten, es gebe keine mehr, weil man zu faul zum Suchen ist. So einfach ist das.

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  2. > Von meinem Kritiker habe ich tatsächlich noch nie ein Tanzvideo gefunden.

    Kein Wunder, es gibt keines. Ich sehe (im Gegensatz zu Ihnen) keine Notwendigkeit der Welt meine Tanzkünste zu präsentieren.

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    1. Das können Sie halten, wie Sie wollen.
      Aber ich habe eben vorsichtshalber geschrieben, dass ich von Ihnen kein Tanzvideo gefunden habe - statt es einfach als Tatsache hinzustellen, dass es keines gibt.

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