Stuhlkreis zur Ronda
„Wenn die Ronda
wirklich eine Ronda im idealsten Sinne ist, dann entsteht eine kollektive
Gruppenbewegung aus einer resonierenden Verbindung heraus.“
(Zitat
aus der folgenden Quelle)
Neulich
fand ich in einem sozialen Forum die spannende Frage:
„Führende, (und Folgende),
was tun, wenn andere Führende beim Tanzen zwischen den Rondas wechseln und
gewissermaßen immer wieder überholen?“
Ich
gestehe, das Problem nicht gleich
verstanden zu haben. Ach so, zwei kreisförmige Tanzspuren, eine innen, eine
außen. Na gut, für mich ist es halt selbstverständlich, dass nicht alle Paare
mit den gleichen Tempi und Schrittlängen unterwegs sind. Also ja, im Fall des
Falles, wenn möglich, Platz machen und überholen lassen. Und wenn’s grad nicht
geht, wartet das andere Paar halt einen Moment. Wo ist das Problem?
An
der Fülle der Kommentare erkannte
ich aber, dass es für die Mehrzahl so einfach nicht ist. Die Stimmung sinkt auf
Kellertemperaturen ob dieses – Achtung, Neologismus – „Rondasaugehabes“:
„Ich
tanze dann irgendwann nicht mehr, wenn ich ständig angerempelt und aus meinem
Genuss rausgerissen werde. Es gibt wenige Führende, die den Störer zurechtweisen,
weil es eh schon unangenehm für sie ist, dass die Folgende sich gestört fühlt
und keine Entspannung mehr da ist.“
„Wieviel Stress man
jedoch innerlich entwickeln kann, wenn man ständig Extrem-Verkehrsmanagement
machen muss, kriegen Zick-Zack-Tänzer dann jedoch nicht mit.“
„Zwischen
den Rondas tanzen ist bescheuert. Ich tanze dann immer kleiner und minimiere
meinen Tanz. Dann bin ich genervt. Wenn es AnfängerInnen sind, sehe ich drüber
hinweg Wenn es gute TänzerInnen sind und sie treffen meine TanzpartnerIn oder
mich, obwohl ich alles versuche, das zu verhindern, fauche ich sie an.“
Dies kann sich bis zum Exorzismus-induzierten
Spucken von grüner Erbsensuppe steigern:
„Man
dreht sich auf der Stelle in einer wunderschönen Molinete und semmelt volle
Lotte in ein Paar, was nachweislich zum Beginn der Molinete weder vor einem
noch sonst wo sichtbar war – und es stellt sich raus – Juchhu, da hat es wieder
einer geschafft, mit hoher Geschwindigkeit sich mittels Überhol- oder
Einschervorgang aus dem Nichts zu materialisieren, vollständig missachtend,
dass gerade jemand höchstens mittels einer 360 Grad-Kamera und Monitor im
Dekolté (den Fehler lass ich stehen, da er
prachtvoll ist!) der Tanzpartnerin
detektieren könnte, dass als nächstes im zu Beginn der Drehung noch freien Raum
vor sich ein Tanzpaar erscheint. Das ist der Moment, wo ich beim Tanzen kotzen
könnte. Sowas finde ich ekelerregend rücksichtslos.“
Jessas, halten zu Gnaden! Vielleicht besuche
ich die falschen Milongas – aber ein Hauen und Stechen auf dem Parkett erlebe
ich so gut wie nie. Doch in der heutigen Tangoszene liebt man offenbar Probleme
vom Kaliber „Mein Hamster hat Tinnitus“…
Wie bei allen hobbymäßigen Anzeige-Erstattern
ist dann die Straßenverkehrsordnung nicht weit:
„Auf
der Autobahn wird doch auch die Spur gewechselt, man muss nur wachsam und
aufmerksam mit den Mittanzenden umgehen.“
Doch solche Vernunftargumente scheitern an
der Sehnsucht nach festen Vorschriften:
„Eigentlich
ja nicht schwierig... die Ronda-Regeln sind bekannt und sollten eingehalten
werden, wie im Übrigen die StVO auf den Straßen, was ist daran so schwierig?“
Wusste ich noch nicht, dass traditionelle
Tanzspur-Verordnungen nun schon bundesweite Gesetzeskraft erlangt haben… aber
man lernt ja nie aus!
„Im
Straßenverkehr musst du dich doch auch an Regeln halten, und wenn Überholverbot
ist, kannst halt nicht überholen... und die Regeln auf der Tanzfläche sollten
eben auch von allen Teilnehmern eingehalten werden... und so wie es Fahrlehrer
gibt, gibt's hier Tanzlehrer... leider hat's nur im Straßenverkehr
Konsequenzen, wenn man sich nicht an die Regeln hält.“
Na eben, Zeit wird‘s für eine „Tangosünderkartei“
– dann haben rücksichtslose Tänzer zukünftig „Punkte in Buenos Aires“…
Manche Zeitgenossen scheinen auf unseren Autobahnen
zudem rabenschwarze Erfahrungen gemacht zu haben:
„Ich
kenne keinen Autofahrer, der auf der Autobahn den Sicherheits-Abstand zum
Vordermann einhält, geschweige denn erst dann die Spur wechselt, wenn er
wirklich den Nebenfahrenden ausreichend weit überholt hat, um dann
einzuscheren.“
Na klar, alle anderen fahren rücksichtslos, nur man selber nicht. Erinnert mich an die Frage des Südstaaten-Sheriffs an einen weißen Autofahrer, der einen schwarzen Fußgänger überfahren hatte: „Wieviel hatte der Nigger denn drauf, als er Sie rammte?"
Na klar, alle anderen fahren rücksichtslos, nur man selber nicht. Erinnert mich an die Frage des Südstaaten-Sheriffs an einen weißen Autofahrer, der einen schwarzen Fußgänger überfahren hatte: „Wieviel hatte der Nigger denn drauf, als er Sie rammte?"
Man beachte aber:
„Die
Tanzfläche ist aber keine Autobahn.“
Ja mei‘, jetzt bin ich aber ganz verwirrt:
Gilt jetzt im Tango die StVO oder nicht, oder wie?
Und – ganz schlimm – nicht mal auf Encuentros
herrscht noch der „Wahre Jakob“:
„Also
meine Erwartungen sind unsanft mit der Wirklichkeit kollidiert, als ich vor ein
paar Wochen zum ersten Mal bei einem Encuentro getanzt habe. Als E.-Unerfahrene
habe ich mich peinlichst an die Regeln gehalten und musste dann feststellen,
dass der Tänzer in der Ronda vor mir permanent rückwärts in meinen Raum
reintanzte. Jemand, der seit Jahren zu solchen Events fährt, der hervorragend
tanzt, der dort bekannt ist – aber er bekam nichts von dem mit, was um ihn
herum passierte. Völlig ichbezogen. Er war auch nicht der einzige.“
„Und es
wird da überall geworben mit Regeln für den Umgang miteinander, auf der
Tanzfläche vor allem, die ganz toll klingen, aber da wird auch nur mit Wasser
gekocht.“
Soda und Gonorrhoe!
Natürlich sinnt man bei solch sittenlosem Tun
auf Abhilfe – nur, wer soll’s richten? Selber traut man sich doch nicht so
ganz, also sollen es die Veranstalter erledigen. Aber man ahnt düster, dass die
ganz andere Interessen leiten:
„Es
wird m.E. häufiger die Konfrontation vermieden und verlogen und harmonisierend
gebussit und umarmt, als dass das Tanzverhalten vor Ort angesprochen wird.“
„Das
ist Aufgabe des Veranstalters – ermahnen, und dann bleiben die Störer meist
beleidigt weg. Aber viele Veranstalter haben Angst um ihre Einkünfte, was eine
falsche Rechnung ist. Wenn sich herumspricht, dass es auf seiner Milonga
chaotisch zugeht, bleiben die guten Tänzer weg.“
Aber es gibt auch leuchtende Vorbilder:
„Ich
halte bei meiner Milonga jedes Mal eine kleine Begrüßung mit Hinweis auf die
Floorcraft und spreche außerdem einzelne Tänzer bei Bedarf an, und zwar sehr
freundlich. Das hat bisher immer funktioniert.“ (Zugegebenerweise allerdings nur, weil die „anderen" eh wegbleiben...)
Drastischere Maßnahmen finden keine
uneingeschränkte Zustimmung:
„Mit
anderen Tänzern Tango-Polizei verabreden und den Zick-Zack-Tänzer beim Tanzen
von allen Seiten ‚eskortieren‘, so dass er nicht mehr raus kann.“
Auch das Argument mit den „72 Jungfrauen“ ist
geradezu unvermeidlich:
„Was
ich mich ja auch manchmal frage, ist: Wieso tanzen Folgende eigentlich mit
solchen Führenden? Gibt's da in der (größtenteils) Damenwelt überhaupt ne
Aufmerksamkeit für?“
Ja, Bubi, ich fürchte schon – die tanzen halt
nicht ganz so langweilig wie du…
Am ehesten ist man noch dafür, die
Problemlösung den Tangolehrern in die (meist nicht oft verwendeten) Schuhe zu
schieben. Doch ausgerechnet einer aus dieser Zunft gibt zu bedenken:
„Das
Thema ‚Überholen' hat ja auch was mit Energie zu tun. Wenn vor dir ein Tanzpaar
ist (oder Tanzpaare sind), das (die) nicht mit der Energie der Musik tanzt(en),
dann muss man entweder abbremsen (grrr) oder (falls möglich) überholen. Das ist
ungefähr so, als wenn auf einer anspruchsvollen Skipiste mittelmäßige Skifahrer
immer wieder abbremsen, weil ihnen die Piste zu anspruchsvoll ist. Der/die gute
Skifahrer(in) dahinter, wird bestimmt vor lauter Ärger in seine Skistöcke beißen
und irgendwann genervt überholen.“
Abschließend der für mich vernünftigste
Kommentar:
„Es
wird immer gerne darüber geredet, dass die Überholer nicht ‚sozial‘ tanzen. Man
kann aber auch umgekehrt sagen, dass einige Spurtänzer es einfach nicht drauf
haben.“
Seit Langem fallen mir bei solchen
Diskussionen die Schilderungen auf, wie man ständig (!) gerempelt oder getreten werde.
Sollte dies wirklich der Fall sein, so liegt dies schlicht an mangelnder Routine und Improvisationsvermögen.
Ich kenne Tanzpaare, die so geschickt ausweichen, dass ich sie gar nicht
touchieren könnte – selbst wenn ich es wollte.
Daher würde ich empfehlen, die ganze Jammerei
und die Debatten über Tanzregeln schlicht durch Üben zu ersetzen, auf möglichst vielen Milongas, zu
abwechslungsreicher Musik und mit zahlreichen Tanzpartnern. Und selbstredend
nehme ich gerne Rücksicht auf Leute, die noch nicht so gut navigieren können –
und dies umso lieber, je weniger sie die Schuld für ihr eigenes Unvermögen bei
anderen suchen.
Und wirklich gute Tänzer bleiben vor allem
Veranstaltungen fern, in denen sie ihre Fähigkeiten mangels Platz und Tanzfluss
nicht umsetzen können!
Aber wer lieber über Tangoprobleme redet als
sie durch Tanzen zu verringern, dem sei als nächster „Workshop“ ein sozialpädagogischer
Stuhlkreis zur Ronda empfohlen – zunächst stationär und dann, mit
Sitzgelegenheiten auf Rollen, gaanz langsam gegen den Uhrzeigersinn…
P.S. Die Zitate stammen aus einer
geschlossenen Facebook-Gruppe. Daher habe ich sie anonymisiert. Rückschlüsse
sollten daher nicht möglich sein. Selbstredend achte ich jedoch das
Zitierrecht. Wenn einer der Kommentatoren es wünscht, gebe ich gerne die Quelle
an!
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Kommentare zur besseren Lesbarkeit rechtschreibkorrigiert.
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