Sozialer Tango?
Auch wenn Klaus Wendel nun platzen sollte: Ich empfehle einen höchst bemerkenswerten aktuellen Artikel von ihm, in dem er virtuos mit den „sozialen Ansprüchen“ abrechnet, die ihm im Tango immer wieder begegnen: Aus moralischen Gründen habe man gefälligst auch ältere, weniger attraktive Frauen aufzufordern. Das lehnt er ab: Er tanze mit den Damen, mit denen es ihm Freude bereite. Ende der Durchsage!
Wer schreibe ihm eigentlich vor, was „sozial“ oder „richtig“ auf einer Milonga sei?
Solche Sätze wärmen mein Herz, da ich nun seit mehr als einem Jahrzehnt gegen die vielen Reglements im Tango ankämpfe.
„Sozialer Tanz“ – auch da hat er völlig recht – bedeutet lediglich „Gesellschaftstanz“. Also ohne moralischen Zeigefinger.
Ich gestehe, dass wir dieser Verwechslung auch unterlegen waren, als wir 2007 unseren „Tango an der Ilm“ aus der Taufe hoben:
„Sozialer Tango, bei dem keine(r) sitzen bleibt“ verkündeten wir damals mutig.
Alsbald kriegten wir dann die männliche Anfrage: „Muss ich dann mit jeder tanzen?“ Heute würde ich antworten: „Es ist sogar noch schlimmer: Jede muss dann mit dir tanzen!“
https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/01/social-tango.htm
Und auch wir kennen die Mühen, mit einem riesigen Equipment anzureisen, einen Tanzsaal zu dekorieren und bis nachts um eins eine Veranstaltung zu betreuen, dann wieder aufzuräumen und sich um liegen gebliebene Fächer und Tanzschühchen zu kümmern. Übrigens ohne jeglichen materiellen Ausgleich!
Oder später über 70-mal das halbe Haus umzuräumen, um dann für eine teilweise einstellige Besucherzahl unsere „Wohnzimmer-Milonga“ abzuhalten.
https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/10/das-wars-dann.html
Wendel schildert eindrucksvoll die Leiden und Entbehrungen seiner Tango-Karriere. Immerhin, so hoffe ich, musste er zu seinen Veranstaltungen wenigstens nicht im Netz jede Menge abfälligen Stuss lesen – so wie wir zu unserem „Dorf-Tango“, wo einige Verrückte glaubten, zur Musik Piazzollas tanzen zu können!
Aus früheren Jahren kenne ich auch viele Erlebnisse, wo ich von gewissen älteren, talentfreien Damen regelrecht gestalkt wurde, um einen Tanz mit mir zu ergattern. Ich konnte mich dem kaum entziehen – wir hatten ja „sozialen Tango“ versprochen!
Dennoch ist für mich diese Bilanz positiv: Ich habe damals gelernt, mit jeder Partnerin einen halbwegs akzeptablen Tanz hinzukriegen. Und das lediglich um den Preis von Muskelkater und Gelenkschmerzen. Ich musste dafür nicht bis zur drohenden Pleite Geld investieren!
Und mich schützt ja heute weitgehend der Cabeceo – einfach wegschauen genügt inzwischen meist. Es lebe die argentinische Tradition!
Dennoch bringe ich es trotz meiner gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin nicht übers Herz, eine Aufforderung abzulehnen. Und oft entstehen so Tänze, welche meine Erwartungen übertreffen. Selbst zur üblichen langweiligen Musik. So spannend kann Tango sein!
Ich kann es durchaus nachvollziehen, dass Tanz-Lehrkräfte nach einem harten Berufstag wenig Lust haben, „Pflichttänze“ zu absolvieren. Was ich aber noch nie verstanden habe: Dass sie auf Milongas oft teilnahmslos herumsitzen, ohne überhaupt zu tanzen. Dabei wäre es doch die beste (fast kostenlose) Werbung, sich wenigstens gelegentlich aufs Parkett zu bequemen – meinetwegen mit einer jungen Schönen oder wenigstens der Lebensgefährtin!
Etwas schmunzeln muss ich dann schon über die Feststellung: „Es gibt in der Tangowelt viele ungeschriebene Regeln. Sie sind nirgends offiziell festgelegt – aber wehe, du hältst dich nicht daran.“
Sorry, aber diesen Schmus haben ja andere erfunden! Schon seltsam, dass man beim Tango alle möglichen komischen Reglements etabliert hat – aber mit wenig begehrenswerten Frauen tanzen? Das grenzt ja an Zwang – da hört sich der Spaß auf!
Ich bin mir inzwischen sicher, dass die ganzen Códigos auf männliche Ansprüche zurückgehen. Natürlich in der edlen Absicht, die Frauen zu schützen… vor allem vor Tanzgelegenheiten sowie der Konkurrenz!
Schon das Titelbild des betreffenden Artikels spricht Bände: Warum sitzt da nicht ein alter Zausel, dem eine junge Schöne was in den Kaffee wirft? Wäre doch mal eine Abwechslung!
Klaus Wendel verfasst eine beeindruckende Philippika, in der er mit verbaler Donnergewalt die Entbehrungen schildert, die das Leben für einen Tangolehrer und Familienvater bereithält. Gut gebrüllt, Löwe!
Nur, und das muss ich ohne übermäßiges Mitleid feststellen: Es wird niemand gezwungen, einen bestimmten Partner zu wählen, Kinder in die Welt zu setzen oder gar Tangolehrer zu werden!
Als ich mit knapp Siebzehn meinen ersten Tanzkurs besuchte, wollte ich eine Zeitlang Tanzlehrer werden. Oder zumindest Turniertänzer. Etwas später dann Psychologie studieren – wovon mir die Psychologin am Arbeitsamt im Rahmen eines Berufseignungs-Tests glücklicherweise abriet. Sie wusste sicher, warum.
Ich entschloss mich dann, etwas zu studieren, das mir eine gesicherte Beschäftigung, einen annehmbaren Lebensunterhalt versprach. Immerhin meine Lieblingsfächer. Mein BAföG besserte ich mit Fördergeldern auf, die ich meinen guten Noten verdankte. Urlaub zu machen war für mich im Studium nicht drin, da mir dazu die Mittel fehlten und ich in den Semesterferien Nachhilfestunden gab. In meiner Studentenbude würde man heute bestenfalls Asylbewerber unterbringen. An der Kellertür prangte noch das Schild „Luftschutzkeller“.
Es war auch kein Zuckerschlecken, mich dann über 30 Jahre mit anderer Leute Kindern rumzuärgern. Etwaige Neidkomplexe sind da völlig fehl am Platz! Und seit längerer Zeit sind wir pensioniert und ohne materielle Sorgen. Offenbar ist das heute bereits kritikwürdig.
Meine Leidenschaften Tanzen, Schreiben und Zaubern verlegte ich viele Jahre in die Freizeit. Ich bin heute der festen Überzeugung, dass dies richtig war. Wenn man seine Lieblingsbeschäftigungen kleinkriegen möchte, sollte man sie zum Beruf machen!
Meine Frau hat sich ebenso entschieden: Statt Musik hat sie Deutsch und Französisch studiert. Ihre Liebe zu anderen Noten übt sie mit Geige, Gesang und Chorleitung aus – und ist immer noch sehr glücklich damit.
Schön, dass sich Kollege Wendel nun ebenfalls als „Sesselfurzer am Bloggerbildschirm“ (Fremdzitat!) betätigt, wobei ich inständig hoffe, dass er seine Darmwinde unter Kontrolle hält!
Kehren wir zur Ausgangsfrage zurück: Wie „sozial“ sollte man im Tango sein, ohne auf den eigenen Spaß zu verzichten? Ich möchte sie mit einem entschiedenen „Kommt halt darauf an“ beantworten.
Sicherlich darf man mit den Partnerinnen tanzen, die einem besonders zusagen – und hoffen, dass diese es ähnlich empfinden. Aber ohne sich wie der letzte Stiesel aufzuführen.
Tja, immer diese Ambivalenz – aber ohne die wäre es halt kein Tango!
Quelle: https://www.tangocompas.co/tango-ein-social-dance-oder-wann-wird-etwas-wirklich-sozial/
Hallo Herr Riedl,
AntwortenLöschenda ich jetzt nicht schon wieder eine Replik auf einem Blog schreiben möchte, hier mein kurzes Statement:
Warum ich Ihre versuchten Rezensionen meiner Beiträge für unerträglich halte, liegt in der Tatsache, dass Sie die eigentlichen Inhalte einer durchaus ausgewogenen Argumentation entweder weglassen, nicht verstehen oder dermaßen verdrehen, dass sie in Ihr Tango-Weltbild passen und Sie sich darin bestätigt sehen möchten.
Erstens habe ich die Deutung von "Social Dance" eben nicht als reine Übersetzung ins Deutsche ausgelegt und nur als "Gesellschaftstanz" beschrieben. Denn in der Tango-Szene gibt es schon eine gewisse Anzahl unausgesprochener Umgangsformen – und die beschreiben eigentlich, wenn man es auf den Punkt bringen möchte, was den Tanzabend für alle zu einem Erfolg macht: Aufmerksamkeit für die anderen auf der Piste, die Einhaltung des "Verkehrsstroms" der Ronda, die aufmerksame Aufforderung, ohne dass die/der Aufgeforderte eine Ablehnung rechtfertigen muss, und das Tanzen mit Partnern auf etwa gleichem Tanzniveau – was hierzulande nicht bekannt ist, sich aber meistens ergibt. Die Leute, die es beherzigen, werden dann als "arrogant" betitelt. Das war meine eigentliche Kritik. Das, was Sie daraus machen und wie Sie meinen Artikel beschreiben, ist Ihre Auslegung.
Und noch ein Zusatz betreffend "Stuss": Ich habe mich damals auch nicht mangels Internet mit Bloggern herumstreiten müssen, die zwar gut schriftlich formulieren können, aber inhaltlich Stuss in neue Worte kleiden.
Wenn Sie schon meine Artikel loben wollen, dann überlassen Sie doch – kommentarlos und ohne Ihre Auslegungen – den Lesern das Urteil. Und zwar so, wie ich es schreibe, und nicht, wie Sie es gerne verstanden hätten.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel
Lieber Herr Wendel,
Löschenich habe mir große Mühe gegeben, Ihre Aussagen treffend zu beschreiben. Natürlich nicht alle – eine gewisse Auswahl muss man mir schon zugestehen. Ebenfalls natürlich Wertungen.
Warum Sie sich wieder einmal missverstanden fühlen, liegt eher daran, dass Sie Probleme mit den Formulierungen haben. Zwischen dem, was Sie glauben, gemeint zu haben, und dem tatsächlichen Wortlaut bestehen oft deutliche Unterschiede.
Wenn ich einen Artikel von Ihnen bespreche, steigert das die Aufmerksamkeit für Ihren Blog. An Ihrer Stelle würde ich das als Vorteil betrachten.
Beste Grüße
Gerhard Riedl
Lieber Herr Riedl,
Löschensie können doch schon rein technisch nicht eine Rezession in Kurzform schreiben, für Themen für die ich ganze Artikel benötige.
Und Auslegungen, wie Sie sie schreiben, müssen nicht unbedingt zum Vorteil gereichen. Ein einfacher Hinweis würde es auch tun, aber Sie beziehen ja mittlerweile fast ihre gesamte Beitrags-Ideen-Sammlung aus meinen Beiträgen. Diese Artikel über meine sind inzwischen wahre "Blog-Füller". Da kommt nur noch gelegentlich etwas anderes durch, meistens auch noch altbekannte Riedl-Themen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel
Ach, die Länge einer Rezension (!) ist nicht das Problem. Sonst könnten Kritiker nicht auf einem Zeitungsblatt einen Roman von ein paar hundert Seiten besprechen.
LöschenUnd nein, Kritiken müssen nicht durchgehend positiv sein. Auch daran muss man sich gewöhnen, wenn man Texte veröffentlicht.
Wie gesagt: Ich weiß nie, was ich als Nächstes schreiben werde. Aber an Ihrer Stelle würde ich aber mein Interesse als Wertschätzung betrachten.
Wenn Sie das stört, dann schreiben Sie doch einfach so langweilig wie Yokoito. Dann sind Sie vor Besprechungen geschützt!