Politisch unkorrekt?

 

Bei meinem Podcast-Interview handelte ich mir von Sabine Holl einen Vorwurf ein, der mich nicht ruhen lässt. Immer wieder hatte sie mir vorgehalten, ich provoziere lediglich, um mehr Leser zu erreichen:

„Dass man dieses Prinzip auch kultiviert, wenn man sagt – also ich sag‘s jetzt mal ganz platt: Je mehr ich auf die Kacke hau, desto mehr Leute schau’n her und hören her…“

Diese Behauptung machte man dann ja zum Generalthema in den Ankündigungen des Gesprächs,

Besonders verdächtig erschien es meiner Gesprächspartnerin offenbar, dass ich in meinen Texten den „Altherrenwitz“ wieder kultiviere, auch werde etwas hintergründig „Gender- und Feminismus-Kritik geübt“, was nicht zu meinem Anspruch passe, „zur Speerspitze der Vielfalt“ zu gehören. Sie spiele auch auf einen Satz an, wo es um die „67 Geschlechter“ gehe.

Meine ReplikHat man ja gesehen, was das auslöst bei Wahlen, wenn man solches Kabarett spielt“ brachte mein Gegenüber nun vollends zum Kochen:

Also, mit Verlaub, das Sprechen über die Identität von Minderheiten, die vielleicht deinen persönlichen Normvorstellungen nicht entspricht, das als Karneval zu bezeichnen, das geht aus meiner Sicht überhaupt nicht.“

Die Verwechslung von Kabarett" mit Karneval" erscheint mit irgendwie typisch. 

https://www.tango-talk.de/podcast/

Gerhard Riedl also nun als finsterer Bekämpfer von Minderheiten? Das ließ mich natürlich nicht ruhen, nach dem Zitat (per Blog-Suchfunktion) zu forschen.

Die „67 Geschlechter“ kommen in einem einzigen Artikel vor, der am 1.4.2023 erschien und als Aprilscherz gedacht war: Ich behauptete darin, es werde nun in Berlin die erste „Topless-Milonga“ angeboten, in der Frauen wie Männer mit nacktem Oberkörper tanzen dürften.

Hintergrund des Gags war der kabarettistisch wertvolle Feldzug einer Aktivistin, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, an einem Berliner Wasserspielplatz oben ohne herumzuliegen. Der fällige Platzverweis durch die Ordnungsmacht führte zu einem politischen Beben, nach dem nun in allen Berliner Bädern „gleiche Brust für alle“ gilt. Inzwischen streitet die Dame sogar um ein Schmerzensgeld.

Ich schrieb damals:

„Inzwischen hat man wohl auf Verlangen der Gleichstellungsbeauftragten die dortige Nutzungsordnung geändert: ‚Tittenfrei‘ gilt nun für beide (und wohl auch die sonstigen 67) Geschlechter.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/04/obenrum-so-frei-wie-nie.html

Ich meine, dies beschreibt meine Arbeitsweise ziemlich gut. Schon da ich eine Minderheit im Tango vertrete, ist mir der Schutz aller Minderheiten heilig. Nur dort, wo das Ganze in bornierte Ideologie ausartet, halte ich es für satirisch verwertbar. Und klar, dass dies für die Aiwangers und Schlimmere ein gefundenes Fressen für ihren Populismus darstellt! Darauf wollte ich im Interview hinweisen.

Was den „Altherrenwitz“ angeht, bezog man sich wohl darauf, dass ich den Kabarettisten Dieter Nuhr wiederholt gegen unverdiente Etikettierungen in Schutz nahm. Gerade die „Frankfurter Rundschau“ tut sich hier immer wieder mit auch sachlich fehlerhaften Besprechungen hervor:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/09/post-von-moritz.html

Und was soll man eigentlich davon halten, dass man einen verdienten Sozialdemokraten wie Wolfgang Thierse fast zum Parteiaustritt nötigte, weil er sich kritisch über Verirrungen der „Identitätspolitik“ geäußert hatte? Zitat aus seinem Artikel in der FAZ:

Linke Identitätspolitik ist in der Gefahr, die notwendigen Durchsetzungs- und Verständigungsprozesse zu verkürzen und zu verengen. Aber es wird nicht ohne die Mühsal von Diskussionen gehen. Diese zu verweigern, das ist genau das, was als Cancel Culture sich zu verbreiten beginnt. Menschen, die andere, abweichende Ansichten haben und die eine andere als die verordnete Sprache benutzen, aus dem offenen Diskurs in den Medien oder aus der Universität auszuschließen, das kann ich weder für links noch für demokratische politische Kultur halten. Für die gilt seit der Aufklärung: Es sind Vernunftgründe, die entscheiden sollen und nicht Herkunft und soziale Stellung.

Wie wäre es, sich mal – statt um Gendersprache, blanke Busen oder Rastalocken – um die wirklichen Probleme zu kümmern, denen sich eine Mehrheit in diesem Land ausgesetzt sieht? Ich meine die Frauen: Zirka alle drei Tage wird hierzulande eine umgebracht, nur weil sie weiblich ist – meist von ihrem (Ex)Partner. Oder man könnte sich ganz allgemein um häusliche Gewalt sorgen, vielleicht sogar um die immer noch ungleiche Entlohnung der Geschlechter. Eventuell um die Frage, warum jeder zweite zum Unterhalt verpflichtete Vater nicht zahlt.

Oder – halten zu Gnaden – vielleicht sogar um die Benachteiligung der Tänzerinnen im Tango? Immer noch gibt es Veranstaltungen, wo ihre Anmeldungen wegen des Geschlechts abgelehnt werden – offen oder unter dem Vorwand einer „Balance“ zwischen Führenden und Folgenden. Ich halte das für sexuelle Diskriminierung. Und auf den Milongas stoßen Frauen immer wieder auf männliches Dominanzgebaren – von dummen Sprüchen und Belehrungen bis zu sexuellen Belästigungen. Ich habe in einer Vielzahl von Artikeln dagegen angeschrieben. Hier nur ein Beispiel:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/08/sexuelles-fehlverhalten-in-der-milonga.html

Mehr Texte zu solchen Themen (nämlich bislang über 100) findet man unter diesem Label:

https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Frauen%20und%20M%C3%A4nner

Seltsam: Bei diesen Fragen sind viele dann doch eher für die konservativen Spielregeln im Tango: „Der Mann führt, die Frau folgt“. Das alles steht ein wenig im Gegensatz zu Art. 3 (2) Grundgesetz:

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Aber alle meine Plädoyers zu einer wahren Gleichberechtigung der Geschlechter, zu einer offenen und gerechteren Gesellschaft werden immer wieder durch Etikettierungen überdeckt:

Ich sei halt ein ständiger Provokateur, ein Fan von Shitstorms, ein Liebhaber des Altherrenwitzes und Feminismus-Gegner, der Minderheiten verächtlich macht und Andersdenkende beleidigt. Und solche Märchen der Frau Holl finden sicherlich wieder Gläubige.

Bin ich „politisch unkorrekt“? Ja, manchmal mit großem Vergnügen – wenn es nämlich darum geht, ideologischen Zwängen und Absolutheitsansprüchen zu begegnen, indem ich Zweifel anmelde oder gar mit Freude Bretter vorm Hirn abschraube. Zu dem Zweck, welchen der Kommunarde Fritz Teufel einmal vor Gericht zu Protokoll gab:

„Wenn es der Wahrheitsfindung dient.“

Großen Spaß hatten wir einmal bei einem Video, in dem wir den großen Verkünder des „authentischen Tango“ auftreten ließen  noch dazu weitgehend mit dessen eigenen Zitaten. „Tango Taliban" at its best!

Für Tiefdenker hatten wir vorsorglich den Disclaimer eingestellt: Wir karikieren damit eine Geisteshaltung und nicht etwa eine Religionsgemeinschaft!

https://www.youtube.com/watch?v=2Nch85CVhDE

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