Gastbeitrag: Fabian Peralta

Zu meinem Artikel „Milonga-Codes – Hardcore-Version“ erhielt ich eine Nachricht meines Lesers Peter Wagler: Er teile viele meiner Positionen nicht und erachte manche als kontraproduktiv für die Tango-Entwicklung. Daher bat er mich, einen Gastbeitrag von ihm zu veröffentlichen.

Da ich mich gerne mit konträren Auffassungen beschäftige, hier also der mir zugesandte Text:

***

Dancing Argentine Tango Socially. A Talk on Milonga Codes nannten Fabian Peralta und Josefina Bermudez ihr Video, welches Gerhard Riedl in seinem Blog bespricht. Zu beidem möchte ich gern ebenfalls einen Kommentar schreiben und meine Besprechung mit einem Zitat Gerhard Riedls beginnen:

„Dancing Argentine Tango Socially. A Talk on Milonga Codes" nennt sich das Konstrukt, in welchem wir dumme Laien über die Dos und Don’ts beim Ochozwirbeln aufgeklärt werden. Unternommen wird dies von einem anscheinend berühmten Lehrerpaar. Recherchiert habe ich diese Behauptung nicht – die beiden kümmern sich ja auch nicht um meine Vita. Für Neugierige: (…)

Josefina tanzte in vielen bekannten Shows, sie startete mit dem Tanzen als Fünfjährige, ihre Tangokarriere mit 11 Jahren. Fabian Peralta war zusammen mit Natacha Poberaj 2006 Weltmeister im Tango Salon, was sicher nur ein erster Höhepunkt seiner langen erfolgreichen Karriere als Tangotänzer und -lehrer war.  2008 tanzte er zur Weltmeisterschaft eine Show mit Virginia Pandolfi, die zeigt, dass er den Tango und seine Klischees durchaus kritisch betrachten kann, es war eine reine Parodie. Und es war und ist ein Genuss, sich das anzusehen.

https://www.youtube.com/watch?v=_MUqOeq9fAk

Ja, es wäre schon sinnvoll, die Personen zu kennen, deren Produkt man als Grundlage für eine Satire verwenden will, es könnte doch zu Überlegungen Anlass sein, ob man dem gewachsen ist. Und eine Form des Respekts, der in Argentinien durchaus gelebt wird und den man in Deutschland oft schmerzlich vermisst. Ich habe Peralta nur einmal im Unterricht erlebt, 2014 in Perugia für ein Wochenende. Leider war er zumeist nicht in Argentinien, wenn ich dort war, und so kreuzten sich unsere Wege erst spät in meinem Tangoleben. Dafür bewunderte ich schon früh viele seiner Videos mit verschiedensten Tänzerinnen, besonders mit Lorena Ermocida. Ganz sicher sind beide Schlüsselfiguren in der Entwicklung des traditionellen Tangos seit 2006. Ja, denn es gibt eine Entwicklung des traditionellen Tangos. Das wäre ein eigenes Thema.

Ich möchte mit dem Wichtigsten anfangen, was Fabian Peralta in diesem Video nebenbei erwähnt, am Eingang des Erfahrungsberichtes über seinem Lehrer Mingo Pugliese. Dass dieser kurze Hinweis in der Besprechung Gerhard Riedls nicht erwähnt wird und er ihn quasi übersieht, ist bezeichnend, da er ja Tango im Wesentlichen als in der Milonga erlernbar ansieht und Unterricht zumindest für völlig überwertet hält.

Fabian Peralta erwähnt, dass er in seinen Technikstunden kaum Männer sieht, sondern nur Frauen, und dass es doch ganz gut wäre da mal hinzugehen … YESSSSS! Auch ich erlag diesem Irrtum der Männer, als ich 2006 zum ersten Mal nach acht Jahren Tango tanzen in Buenos Aires war und mit meiner Freundin die Technikstunden von Aurora Lubiz besuchte. „Das ist was für Frauen, das brauche ich nicht“ war meine Reaktion, ein sehr großer Irrtum, den ich dann ab 2010 korrigieren durfte, als ich von da ab während mehrerer Jahre viele Tage bei Aurora Lubiz Blut und Wasser schwitzte, mit sehr vielen Frauen und sehr wenigen Männern, die im Übrigen sofort in der Milonga auffielen, weil sie alle ausnehmend gut tanzten.

Ja, man kann in der Milonga Tango üben und Routine gewinnen, und nein, man kann in der Milonga nicht Tango lernen. Warum? Weil mindestens 95 Prozent der Männer in der Milonga noch nie eine Technikstunde besucht haben und demzufolge durchaus sehr vieles nicht sehr gut machen. Egal, wie lange sie tanzen und wieviel Routine sie haben. Die Takte treffen die meisten Tänzer, und sie tanzen tolle Figuren, das ist nicht allzu schwer. Die Zeit zwischen den Taktschlägen in die Bewegung des Körpers aufzuteilen, davon wissen die meisten Tänzer noch nicht mal, dass da etwas zu lernen wäre. Abgesehen von vielem anderen. Das ist der Grund, dass alle guten Lehrer so viel Zeit darauf verwenden, um zu gehen, und das wollte Mingo Pugliese seinem Schüler (unter anderem) beibringen. Dann erzählt Fabian Peralta, dass er als professioneller Tänzer kein Problem damit hatte, Schritte und Kombinationen zu tanzen, aber dass er fühlte, dass es nicht Tango war, was er tanzte, und er deshalb ihn, Mingo, gern als Lehrer hätte.

Und damit sind wir beim Kern des Problems, denn alle Schritte des Tangos kommen auch in anderen Tänzen vor, sei es Foxtrott, Swing, Cha-Cha-Cha, Salsa, Rumba oder andere. Die Technik der Bewegung ist aber eine andere als in diesen Tänzen, und dies ist der Grund, dass viele Menschen in Europa zwar auf Tangomusik tanzen, aber eben keinen Tango. Viele Standardtänzer tanzen nach Jahren mit dem Tango immer noch Standard, zwar mit typischen Tangokombinationen in den Schritten oder mit dem, was sie dafür halten. Aber sie tanzen ohne Tangotechnik, also mit falschen Bewegungsabläufen und falschem Timing (Entschuldigung, dafür habe ich kein entsprechendes deutsches Wort gefunden). Fabian Peralta erkannte also seine Defizite (was sehr wenige Tänzer können), und sein Lehrer half ihm effizient, diese zu beheben. Ein Jahr ist dafür sehr wenig, und es nützte ihm sicher, dass er erstens noch sehr jung war und zweitens schon Profitänzer, also viel Körpererfahrung hatte.

Damit kommen wir zum nächsten Thema, Respekt und Hierarchie. In vielen nichtwestlichen Ländern gibt es für kulturelles Lernen ein explizites Meister-Schüler-Verhältnis, sei es im Yoga, in Kampfsportarten, in Religionen und eben auch im Tango. Der Lehrer versucht, seinen Schüler besser zu machen als er selbst ist und ihm die Türen zu zeigen, durch die er gehen kann. Es ist eine sehr tiefgehende Wissensvermittlung, deren Inhalt oft wesentlich mehr als den eigentlichen Lehrgegenstand umfasst. Institutionalisierte Reste davon gibt es in Europa zum Beispiel in dem Doktorvater-Doktoranden Verhältnis. In unseren Wochenend-Workshops ist davon kaum etwas übrig, und deshalb helfen sie auch im Wesentlichen nicht beim Tango tanzen lernen, darin gebe ich Gerhard Riedl recht. Aber man kann sich Anregungen holen, die Lehrer beobachten und dann entscheiden, ob man bei ihnen Unterricht nehmen will. Man kann zweihundert Wochenendworkshops buchen und sich nicht wesentlich entwickeln. Mit zweihundert Technikstunden kann man in einen neuen Bereich des Tanzens aufsteigen, das habe ich 2010 selbst in Buenos Aires erlebt.

Als ich Aurora Lubiz bei meiner ersten Stunde auf 9 Zentimeter-Absätzen freihändig Rückwärtsachten mit Verzierungen im doppelten Tempo tanzen sah, hielt ich das für unerreichbar. Nach zwei Monaten hartem täglichen Training kam Aurora Lubiz im Unterricht zu mir und sagte: „Peter, du hast alles verändert!“ Als zwei Jahre später im Sommer ihr Studio so voll war, dass die Leute hinten sie nicht mehr sehen konnten, holte sie mich vor zum Spiegel und sagte „Okay, du links, ich rechts, dann sehen alle, was wir machen!“ Das ist das, was ein Meister/Schüler-Verhältnis ausmacht, harte Arbeit und gegenseitiger Respekt, den sie mir auf diese einmalige Weise zollte. Ein solches Verhältnis entsteht nicht durch Geld, auch wenn der Lehrer natürlich Geld verdienen muss und darf. Es entsteht zum Beispiel, wenn man nach drei Monaten immer noch jeden Tag durch die gleiche Studiotür kommt, beim gleichen Lehrer arbeitet, egal wie weit man von seinem Ziel entfernt ist.

Überhaupt ist Argentinien das Land des Respekts, zumindest im Vergleich mit Deutschland. Man sieht überall, wie die Leute im Bus aufstehen und alten Menschen ihren Platz anbieten. Ihre Lebenserfahrung wird ganz allgemein geschätzt, ein Phänomen, das sich im Lehrer-Schüler Verhältnis noch verstärkt. Man muss nur mal den Weltmeister von 2010, Sebastian Ariel Jimenez, über seine Lehrer und ihre menschlichen Qualitäten reden hören, um davon einen bleibenden Eindruck zu bekommen.  

In den Monaten, in denen wir mit unserer kleinen einjährigen Tochter in Buenos Aires waren, haben wir nie in Bus oder U-Bahn gestanden, egal wie voll es war. Und es war sehr voll, in Buenos Aires leben auf dem gleichen Raum viermal so viel Menschen wie in Berlin. In Berlin wurde mir in drei Jahren mit meiner kleinen Tochter genau zweimal ein Platz angeboten, und ich bin in beiden Städten mehrmals täglich gefahren.

Kommen wir von der langen Einleitung zu den Milongaregeln, die durchaus sehr viel mit Respekt zu tun haben. In einer Milonga, in der man nach jeder Seite 20 Zentimeter Platz zum Tanzen hat, sind diese auch durchaus angebracht. Nein, man kann in diesen Milongas als Anfänger nicht tanzen, a., weil man es nicht hinbekommen würde und b., weil man keinen fremden Tanzpartner finden würde. Dafür gibt es dann spezielle Milongas oder Prakticas, wo mehr Platz ist.

Ja, es lohnt sich in den traditionellen Milongas, zu sitzen und die Leute zu beobachten, wenn man wirklich tanzen lernen will. Oft habe ich mich gefragt, ob der alte Typ da tanzen kann, und dann tanzte seine Frau eine Kombination, und ich hatte nichts gesehen an seinem Körper und fragte mich, ob er das geführt hat … Später dann nur, noch WIE er das geführt hat. Und es ist tatsächlich ein Ausdruck des Respekts, wenn man in einer Milonga beim zweiten Besuch vom Türsteher auf die privilegierten Plätze gesetzt wird oder einer der respektierten Milongueros am Ende der Veranstaltung kommt und einem auf die Schulter klopft. Das ist etwas, was ich in Argentinien öfter erlebte, in Deutschland nur von Argentiniern. Es ist hierarchisch, aber jeder kann in dieser Hierarchie aufsteigen, es hat nichts mit Alter, Geld, Aussehen oder Geschlecht zu tun. Das geht über gutes Tanzen und ist dadurch sehr objektiv.

Die Tanz- und Aufforderungsregeln sind tatsächliche Praxis in Argentinien, sie waren es schon 2006, als ich zum ersten Mal da war, und sind für derart überbevölkerte Räume sicher sinnvoll. Zu diesem Respekt gehört es auch oder sogar zuallererst, dass man seine Partnerin durch den Raum navigiert, ohne jemanden zu behindern, oder zumindest so wenig wie möglich. Davon sind wir in Deutschland, wo selbst eine volle Milonga immer noch Längen unter argentinischen Verhältnissen liegt, meilenweit entfernt. Wenn man in Argentinien jemanden auf der Tanzfläche anstößt, entschuldigt man sich selbstverständlich. In Deutschland findet das meist nicht statt, weil sehr oft die Schuldfrage die erste Rolle spielt und jeder der Meinung ist, der andere wäre der Trottel, der nicht tanzen kann.

Man kann sich natürlich fragen, welche der Regeln, die in völlig überfüllten Milongas in Buenos Aires Sinn machen, in einer halbleeren Milonga in z.B. Landshut nötig sind. In Frankreich wurde ich einmal sanktioniert, als ich in einer Milonga mit riesiger Tanzfläche mit drei Paaren darauf eines davon mit sehr viel Abstand überholte. Das zu reglementieren bezeichne ich als Tangofaschismus.

Aber ich glaube nicht, dass Fabian Peralta seine Ausführungen speziell für deutsche oder europäische Milongas gehalten hat. Er sprach in dem Video englisch, und ich glaube, zunächst richtet sich sein Text an die vielen Menschen aus aller Welt, die oft nach Buenos Aires reisen. Dass diese sich an die Regeln der Einheimischen halten, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Es gibt also keinen Grund, sein Video als „abartig“ zu bezeichnen und es verbal hinzurichten.

Auch werden die Regeln keinesfalls stoisch befolgt, und ich wurde zum Beispiel von Frauen aufgefordert, besonders in Milongas, in denen ich öfter war. In einem Fall fragte mich in einer sehr traditionellen Milonga die Einlassdame beim Karten verkaufen, ob ich mit ihr tanzen würde, und als ich bejahte und später mit ihr getanzt hatte, forderten mich noch alle ihre Freundinnen auf. Zu der sehr respektvollen Weise des Umgangs gehört, dass man die Regeln befolgt, oder wenn es nicht sinnvoll ist, sie zu befolgen, eben etwas anderes tut, aber es so aussehen lässt als hätte man sie befolgt. Das ist ausreichend. Aber es ist angenehm, in einer vollen Milonga über Blickkontakt den Eintritt in die laufende Ronda zu ermöglichen, es ist angenehm, wenn alle in ihrer Spur bleiben und nicht während des Tanzens hin- und herwechseln. Ebenso wie es in einer vollen Milonga sinnvoll ist, nicht zu eng auf den Vordermann aufzutanzen, ihm also immer einen Rückschritt zu ermöglichen, aber auch selbst nie mehr als maximal einen Rückwärtsschritt zu tanzen, am besten aber … keinen. Es ist respektvoll, in einer vollen Milonga keine Ganchos und Boleos zu tanzen.

Ich glaube auch nicht, dass die Frauen leiden, wenn sie mit Fabian Peralta tanzen, was das Wort müssen von Gerhard Riedl in diesem Zusammenhang nahelegt. In Perugia kam er abends in die Milonga, kam auf mich zu und fragte, ob er meine Partnerin um eine Tanda bitten dürfte. Sie hat sich hinterher nicht beschwert. Er tanzte dann noch mit zwei anderen Damen und ging wieder. Es war seine Form des Respekts für die harte Arbeit vieler Technikstunden, die er an unserem Tanzen gesehen hat und wortlos honorierte.

Zu dem gesamten Text von Gerhard Riedl passt eine meiner Lieblingsgeschichten, die ich gern erzähle. In Buenos Aires wurde ich öfter von Freunden und Bekannten besucht, die die Gelegenheit nutzten, nicht allein die Stadt erkunden zu müssen. Kehrt man dann nachts von der Milonga zurück, ist meist die Stadtreinigung unterwegs. Erst zieht eine Truppe durch die Straße, die den gesamten Müll auskippt, den die Leute tagsüber in Beuteln neben die Tür gestellt haben. Dann ziehen nacheinander verschiedene Trupps durch die Müllhaufen, die erst Metall, dann Papier, dann Kunststoffe, dann organische Materialien bergen und abtransportieren. Alles ist sehr gut organisiert, und es ist klar abgeteilt, wer wo was sammeln darf. Gegen drei wird der Restmüll von der letzten Truppe von der Straße gekehrt. Eine deutsche Bekannte hob bei diesem Anblick zu einer Tirade an, wie primitiv dies doch sei und endete mit der Aufforderung, dass die Argentinier sich doch mal das moderne deutsche Müllsystem zum Vorbild nehmen könnten. Ich nenne das DGW – Deutscher Größenwahn. Sicher hat auch dieses argentinische Müllabfuhrsystem problematische Seiten, aber Tausende Familien leben von diesem System, und der Wiederverwertungsgrad ist ungleich höher als in Deutschland. Auch hat Argentinien meines Wissens noch nie Müll nach China, Malaysia oder in die Türkei exportiert.

Etwas mehr Demut wäre angebracht. Wir müssen nicht die Schweden (die viel besser durch die Coronapandemie gekommen sind als wir, worüber aber jetzt nicht mehr so gern gesprochen wird) wegen ihres Umgangs mit Corona madig machen, wir müssen keine Demokratie nach Afghanistan exportieren, es klappt einfach nicht, und wir müssen den Argentiniern nicht ihren Tango erklären. Wir sollten uns auch nicht darüber lustig machen, weil wir manches daran nicht sofort verstehen. Ja, es ist nützlich, nach Argentinien zu fahren und sich für längere Zeit da aufzuhalten, wenn man Tango tanzt. Aber nur, wenn man bereit ist, seine Vorurteile aufzugeben …

Kommentare

  1. Karin Law Robinson-Riedl27. November 2023 um 10:23

    Der Text entfernt sich aus meiner Sicht sehr weit von seinem Anlass: der Besprechung eines speziellen Videos von Fabian Peralta und Josefina Bermudez.

    Die Botschaft dieses Videos vermittelt auch aus meiner Sicht ein stark überhöhtes Bild des Tangotänzers und –lehrers.
    Selbstverständlich wird ein Lehrender, der Unterricht anbietet, die Vorzüge seiner Methoden, Erfahrungen und Leistungen hervorheben. Widerstand regt sich bei mir allerdings, wenn die Werbeabsicht allzu dick aufgetragen ist.

    Zudem wirkt ein ausgeprägtes Hierarchiedenken und –empfinden im Zusammenhang mit Lehren und Lernen auf mich befremdlich.
    Dabei geht es nicht darum, einer Person, die etwas sehr gut kann und dieses auch sehr gut an Schüler vermittelt, den nötigen Respekt zu verweigern.
    Dieser sollte sich von selbst ergeben.

    Aber wenn er in eine Art „Unterwürfigkeit" ausartet, halte ich das eher für schädlich.

    Wirklich große Meister in Wissen, Können und Persönlichkeit wollen eine solche von anderen Menschen auch nicht.

    Weiterhin bespricht Herr Wagler u.a. das Thema der Authentizität des Tango:

    Nicht gelöst sehe ich durch seine Darstellung die Frage, ob denn die Argentinier den Tango quasi „erfunden" haben.
    Er hat sich dort in besonders intensiver Form entwickelt – genährt aus vielen Quellen.
    Aber das ist ja auch in anderen Ländern geschehen.
    Die heutigen Tänzer/innen – ob in Argentinien oder woanders - tanzen ja auch nicht mehr wie in den Anfängen des Tangos. Und in Argentinien gibt es ebenfalls unterschiedliche Tanz-Stilrichtungen.

    Also: Was ist dann "echt" oder "authentisch"?

    Überzeugend finde ich den Appell Herrn Waglers, eine tolerante Haltung, Respekt vor dem Denken, Tun und Empfinden anderer Menschen und Völker walten zu lassen.
    Das Scheitern vieler politischer, ideologischer oder religiöser „Missionen“ im weitesten Sinn zeigt, dass ein solcher Ansatz falsch war und ist.

    Im Übrigen: Tolerantes und Hierarchiedenken stellen einen Widerspruch dar!

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  2. Ich meine ebenfalls, dass wir unsere Auffassungen nicht anderen Völkern aufdrücken, sondern fremden Kulturen mit Respekt begegnen sollten. Daher würde ich nie einem Argentinier den Tango erklären. Ich möchte ihn im Gegenzug aber auch nicht von dort erklärt bekommen! Gerade das tut Fabian Peralta aber – und zwar in englischer Sprache, damit seine Auffassungen eine möglichst große Reichweite erlangen. Für mich ist Tango ein Tanz, der sich in ganz unterschiedlichen Formen weltweit verbreitet hat – so wie es die UNESCO 2009 festgestellt hat, als sie ihn zum Weltkulturerbe erklärte.

    Dennoch kann Fabian Peralta natürlich seine Sicht auf die Códigos und vieles mehr darlegen – er sollte nur nicht so tun, als ob er die Deutungshoheit darüber besäße.

    Peter Wagler gefällt die hierarchische Ordnung im Tango, die Unterordnung der Schüler, deren Abhängigkeit von „großen Maestros“. Für unsere Gesellschaft ist das, so finde ich, ziemlich aus der Zeit gefallen. Ich werbe eher für gegenseitige Achtung, für eine Kommunikation auf Augenhöhe.

    Natürlich plädiere ich ebenfalls für Rücksichtnahme beim Tanzen. Ich finde es aber nicht hilfreich, Tangoanfänger mit einem Wust an komplizierten Regeln zu versorgen, die im Endeffekt darauf hinauslaufen, besser gar nicht aufs Parkett zu gehen als vieles falsch zu machen.

    Der Autor versorgt uns mit zahlreichen Geschichten zu seiner eigenen Tangoentwicklung und sagt uns, wie man seiner Meinung nach Tango lernen sollte. Das ist völlig in Ordnung, hat aber kaum etwas mit dem Thema zu tun – ebenso wenig wie Berichte zur Höflichkeit in der Straßenbahn oder über die argentinische Mülltrennung.

    Auch habe ich mich nicht mit dem Lebenswerk von Fabian Peralta beschäftigt – das kenne ich viel zu wenig, um mir ein Urteil erlauben zu können. Gerne gestehe ich zu, dass er ein toller Profitänzer und sehr erfolgreicher Tangolehrer sein mag. Er hat nur ein – meiner Meinung nach – grottenschlechtes Video veröffentlicht. Genau das habe ich besprochen – und nichts anderes.

    Im Tango scheint häufig die Auffassung zu herrschen, Verdienste um unseren Tanz machten praktisch unfehlbar in jeglichen Bereichen – man müsse daher allen Aktivitäten mit Demut begegnen, um nicht „Majestätsbeleidigung“ zu begehen. Genau das glaube ich nicht. Auch hier gilt für mich eine Kommunikation auf Augenhöhe.

    Das Schlimme ist, dass von dieser Seite stets Definitionen kommen, was denn der „echte Tango“ sei. Geschmacksfragen werden so zu Wahrheiten überhöht. Tango gibt es in vielen historischen und örtlichen Ausprägungen. Wir sollten sie akzeptieren statt Ausgrenzungen zu betreiben.

    Daher werde ich mir weiterhin erlauben, auch Tango-VIPs zu kritisieren, wenn ich es einmal für nötig halte. Sorry, aber das wird so bleiben!

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  3. Es spricht für dich, dass du diese Gegenrede in deinem Blog veröffentlichst. Peter Wagler spricht ein paar wichtige Punkte an, die ich zum Teil auch richtig finde.
    Doch besonders der Begriff "Respekt" wird leider häufig missbraucht, um Privilegien und den Status Quo zu schützen und Veränderungen abzuwehren. Beim Tango führt das dazu, dass viele Milongas zu gerontokratischen Beerdigungen verkommen. Abschreckend für alle, die noch ein bischen Spass im Leben haben wollen. Das hat schon einmal fast zum Aussterben des Tango geführt, bevor er von jungen Regelbrechern (und nicht von den alten Maestros) wieder belebt wurde.

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  4. Noch eine Bemerkung zu diesem Punkt:
    "Fabian Peralta erwähnt, dass er in seinen Technikstunden kaum Männer sieht, sondern nur Frauen, und dass es doch ganz gut wäre da mal hinzugehen … YESSSSS! Auch ich erlag diesem Irrtum der Männer, ...."
    Meine ganz persönliche Erfahrung von Workshops mit (besonders argentinischen) Maestros ist, dass diese zwar Frauen immer sehr viel Respekt begegnen, mir als Mann jedoch eher abweisend, ja überheblich und in der Regel nur minimal helfend begegnen. Da verstehe ich natürlich sehr gut, dass auch beim ihm vor allem Frauen teilnehmen.
    Da arbeite ich lieber anders(wo) an meiner Technik.

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    1. Na ja. das fällt unter "übliches Macho-Getue". Frauen werden angebalzt, Männer eher als Konkurrenz gesehen.

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