Einfach selber machen?

 

„Bist du ein Naturtalent oder ein Autodidakt?“ „Ich glaube, das hängt dann zusammen. Wenn man ein bisschen Talent hat, kann man sich auch leisten, ein Autodidakt zu sein.“

https://www.tango-talk.de/podcast/

Heute erinnerte ich an einen Artikel über Autodidakten In Kunst und Wissenschaft – und auch im Tango:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/04/erfahrung-statt-information.html

Meinem Blogger-Kollegen Helge Schütt bin ich sehr dankbar, dass er immer wieder Kommentare veröffentlicht, die mich auf neue Themen bringen – insbesondere, wenn unsere Meinungen mal auseinandergehen.

Er schrieb zu meinem Artikel:

„Da sind meine Erfahrungen ganz anders. Manchmal, wenn mir eine Tanda besonders gut gefallen hat, frage ich meine Tanzpartnerin, wo sie Tango gelernt hat. Die Antwort ist immer dieselbe: Eine bestimmte Tanzschule hier in der Gegend (…). Guter Unterricht ist Gold wert.

Umgekehrt kenne ich auch genügend viele Tänzerinnen, die versuchen, auf eigene Faust Tango zu lernen. Nach einer Weile gibt es dann zwei Optionen: Entweder bleiben sie auf einem bestimmten Niveau stehen oder sie fangen doch mit Unterricht an, um weiterzukommen.

Das ist für mich auch völlig nachvollziehbar: Wenn man nicht weiß, worauf man beim Tanzen achten muss, wie soll man sich dann ‚aus sich selbst heraus‘ verbessern?“

Sehr häufig schon war man empört über meine Ansicht, man müsse im Tango nicht unbedingt Kurse besuchen, um gut zu tanzen. Vergröbert hieß es oft, ich lehne Unterricht ab. Und wie könne ich das, wo ich doch selber Lehrer gewesen sei?

Man müsste mir dann schon mal erklären, ob man im Tango offizielle Bildungsabschlüsse anstrebt – wie Mittlere Reife oder Abitur. Oder ob es vielmehr darum geht, mit einer Freizeitbeschäftigung, einem Hobby Spaß zu haben.

Und erschöpft sich Unterricht darin, dass einer was erklärt, und der Rest zuguckt und es eins zu eins nachmachen soll? Kann man nicht auch durch Üben mit anderen dazulernen? Oder einfach selber etwas probieren? Aber private „Tango-Selbsthilfegruppen“ sind äußerst selten.

Im oben verlinkten Artikel habe ich nicht gefordert, man solle sich das Tangotanzen gefälligst selber beibringen. Natürlich ist der übliche Unterricht (ob gruppenweise oder einzeln) eine Option. Wer meint, dass ihn das weiterbringe, soll gerne einen Kurs oder Workshop buchen.

Ich habe aber an vielen Beispielen dargelegt, dass es gerade im künstlerischen Bereich eine Vielzahl von Autodidakten gibt. Nicht jeder erfolgreiche Autor, Musiker, Komponist oder Maler kann eine offizielle Ausbildung  vorweisen – im Gegenteil!

Gerade im Tango vergangener Zeiten hatten viele Musiker, Texter oder Komponisten keinen anerkannten Abschluss, sondern entwickelten sich durch Abschauen und Probieren. Im obigen Artikel habe ich etliche Beispiele aufgeführt. Etwas überspitzt könnte man sagen: Heute lernen die meisten unter fachmännischer Anleitung zu einer Musik zu tanzen, welche Autodidakten schufen.

Freilich kenne ich keine Statistiken zu diesen Fragen, daher sind wir alle auf anekdotische Beweise angewiesen – auch Helge Schütt. Was er über Tänzerinnen schreibt, die auf eigene Faust Tango lernen, bedarf einer Ergänzung: Eine größere Zahl hört wohl mit dem Tango weitgehend oder ganz auf – allerdings auch viele von denen, welche Kurse besuchen.

Ich schätze, dass die Mehrzahl derer, die mal mit dem Tango begannen, es früher oder später wieder lassen. Wieso eigentlich, wenn es derartig tolle Ausbildungsformen gibt?

Nie war es, dank Internet, so einfach, an eine schier unermessliche Auswahl von Informationen und Anleitungen zu kommen wie heute. Dennoch wird der Bedarf an „Coaching“ immer größer: Ob gesunde Ernährung, Erfolg im Beruf oder Glück in der Partnerschaft – offenbar vermögen immer weniger, sich darum selber zu kümmern. Stattdessen werden oft sehr teure Seminare für oder gegen so ziemlich alles angeboten. Ich bin sicher, dass man irgendwann einen Kurs „korrektes Nasebohren“ buchen kann!

Als ich vor 24 Jahren mit dem Tango anfing, war „Unterricht“ eher Mangelware – und an berühmte argentinische Tangolehrkräfte war nicht zu denken. Dennoch lernte ich auf den Milongas Tanzstile kennen, die mich begeisterten und zum Nachmachen anregten. Man musste sich auf jeden Tanzpartner, jede Musik neu einstellen. Das war nicht nur spannend, sondern brachte uns entscheidend weiter.

Heute fahre ich mit vielen Tangueras am besten, wenn ich das Programm „Salontango“ einstelle und die nächsten Minuten auf „Autopilot“ agiere. Klar – alle machen das, was sie im Kurs gelernt haben. Und das zu einer Musik, die – freundlich gesagt – wenig Interpretationsspielraum bietet.

In unseren Anfangszeiten war Tango wenig populär, eher eine Minderheiten-Beschäftigung für „Freaks“. Ich glaube, dass damals vor allem tänzerisch Begabte dieses Hobby wählten. Als der Hype dann begann, kamen viele Leute, für die Tango wegen seiner „Angesagtheit“ attraktiv war. Nicht tänzerisches Talent zählte, sondern das exklusive Hobby.

Daher hat Helge Schütt wohl recht: Viele in der heutigen Szene benötigen eine heftige Schulung, um etwas zustande zu bringen, das einigermaßen nach Tango aussieht.

Wer sich aber nicht wirklich selber mit dem Tango auseinandersetzt, tanzt bestenfalls so wie seine Lehrer. Ein individueller Stil, die eigene Kreativität entsteht auf diese Weise garantiert nicht. Und die meist gebotene Musik fördert diese Entwicklung in keiner Weise.

Ob man nun Kurse nimmt oder nicht – die persönliche Auseinandersetzung mit der Musik und dem Tanzpartner kann keine Schulung ersetzen. Und das alles kostet viel Zeit und durchgetanzte Schuhe.

Helge Schütt fragt in seinem Kommentar:

Wenn man nicht weiß, worauf man beim Tanzen achten muss, wie soll man sich dann ‚aus sich selbst heraus‘ verbessern?“

Nun, beim Paartanz ist man meist zu Zweit und könnte daher Informationen austauschen. Und man kann durchaus ein eigenes Gespür entwickeln. Oder soll mir der Tangolehrer sagen, wie ich es fühle und ob es mir gefällt? Oder ob ich es mir gefallen lassen muss?

Also, einfach mal selber machen – zur Not kann man immer noch einen Kurs buchen!

Vollkasko-Tango * www.tangofish.de

      

Kommentare

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