Früher war weniger Lametta
Der Advent naht – und wir Ehemänner wissen, dass unsere Frauen jetzt Dinge in die Wohnung schleppen, welche selbst die Tiere im Wald liegenlassen. An die Feuer- und Hausratversicherung denken lassen nun die zahlreichen Kerzen, Laternen und Teelichter, mit welchen die Gattin sämtliche unzugängliche Ecken der Wohnung erhellt. In der Speisekammer werden die Lebkuchen- und Spekulatius-Reserven erhöht.
Persönlich graut mir bei der Aussicht, auf „Adventsmilongas“ vom Duft schlechten Glühweins umweht zu werden und in trockene Kekse beißen zu sollen. Manchmal hoffe ich, stattdessen im Stil Loriots ein kleines Kernkraftwerk zünden zu können…
Aber es geht noch schlimmer:
Zufällig stieß ich auf die Einladung zu gleich drei Adventstreffen mit Tango-Alibi:
Sterne, Gold und Lichterglanz – Die Adventszeit im Zero wird magisch
Erster Advent: Lichterglanz
Bringt alles mit, was glitzert und schimmert (bitte auch ein Utensil, das ihr für einen Moment abgeben könnt). Tragt Pailletten und Lametta, glitzernde Stoffe und glänzende Schuhe. Seid euer eigenes Glanzstück. Wir setzen euch mit entsprechender Beleuchtung in Szene.
Zweiter Advent: Sterne
Bringt viele Sterne mit (…). Von Zimt- bis Strohsternen ist alles gerne gesehen und wird an diesem Abend das ZERO in einen Sternenhimmel verwandeln. Fürs Licht und himmlische Tanzmusik sorgen wir.
Dritter Advent: Gold
Bringt mit, was golden glänzt (…). Tragt golddurchwirkte Kleidung und Goldschmuck, seid goldig, oder das Goldstück des dritten Advents. Wir lassen euch in warmem Licht schimmern und auf satter Musik schweben.
https://www.zerokassel.de/index.php?id=255
Na, wenn das nicht die einschlägigen Händler von
Tangokleidern, Schuhen, Modeschmuck und Weihnachtsbedarf freut! Deren Umsatz
dürfte sich schlagartig erhöhen. Ebenfalls die Belastung mit Mikroplastik.
Von der gebotenen Musik ist weniger die Rede – wir erfahren lediglich, dass jedes Mal eine DJane namens „Tine“ auflegt. Was, ahne ich dunkel. Aber seit wann geht es auf den Milongas um die Musik? „Zero Tango“ halt…
Dafür beschäftigt die Firma wohl einen hauptberuflichen Lyriker.
Aber schon Ende November dürfen wir dort ein unglaublich affektiertes Tanzpaar bewundern: „mit Show (new!)“ Natürlich aus Buenos Aires. Dresscode: „Glamour“. Na ja, da kann man eventuell einiges auch für den Advent umwidmen.
https://www.zerokassel.de/index.php?id=193
Bei einem solchen Gedöns denke ich wehmütig an die Zeiten zurück, als wir uns in Jeans, T-Shirt und mit alten Tanzschuhen in Jugendzentren, Hinterzimmern und Kunstateliers austobten. Zu trinken gab es meist Mineralwasser.
Früher war weniger Lametta!
Statt Glitzersternen, Pailletten und güldenen Röckchen funkelte aber die Musik – und tänzerisch flogen die Funken. Tempi passati…
Ich weiß nicht, wieviel Geld man mir geben müsste, um auf
solchen Talmi-Tangos mit Lurex-Hemd, Satinhose und Glitzerpuschen übers
Parkett zu schleichen. Wäre wohl unbezahlbar.
Auch aus Trotz trage ich inzwischen zum Tanzen wunderbar bequeme Jogginghosen und T-Shirts der Burladinger Trikotagen-Manufaktur Trigema, wunderbar passend zu meinen Sneakers. Nicht importiert ans Bangladesch, sondern hundert Prozent made in Germany. Statt Gruppenzwang also lieber Grupp-Konfektion!
Und zum Affen macht sich dort nur der Schimpanse in den Werbefilmen:
https://www.youtube.com/watch?v=CG9vjB5xLp8
P.S. Als besonderer Leser-Service noch mein Rezept für einen g‘scheiden Glühwein:
* eine halbe Flasche Rotwein (nicht unter 6 Euro – das wäre Körperverletzung!)
* einige Teelöffel Zucker
* der Saft einer größeren Orange
* ein Beutel Fertig-Glühwein-Gewürz
* eine Zimtstange
* einige Nelken
Das Ganze kurz aufkochen und dann mindestens fünf Minuten ziehen lassen. Abschließend einen guten Schuss Strohrum (80 %) hinzufügen. Durch ein Sieb gießen und servieren!
Nach dem Austrinken umfallen und einschlafen.
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