Auswärts auflegen?

Gelegentlich erhalte ich – trotz meines schlechten Rufes – Angebote, mich einmal in fremden Gefilden als DJ zu betätigen.

Obwohl ich solche Anfragen als Kompliment empfinde, lehne ich stets höflich ab. Erstens fühle ich mich alters- und krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, dazu durch halb Deutschland zu reisen und mir die Nächte um die Ohren zu schlagen. Noch dazu kann ich mir das Gesicht des Veranstalters vorstellen, wenn ich darum bäte, mir eine CD-Anlage zu stellen…

Ich habe viele Jahre auf den eigenen Milongas und auch als auswärtiger Gast aufgelegt. Nicht selten staunte ich dabei über Wortmeldungen von Besuchern: Mal sollte ich den Sound leiser drehen, weil man sich sonst nicht unterhalten könne. Oder man sang mir in Ermangelung des Titels die Melodie des Gewünschten vor, fragte nach einer Runde Salsa oder hielt mir die CD eines schwedischen Countertenors vor die Nase, der auch sowas ähnliches wie Tango darböte. Wahlweise forderte man mehr Traditionelles oder fragte, wann denn was Modernes käme – obwohl gerade Aufnahmen liefen, die vor wenigen Jahren herausgekommen waren. Gerne belästigte man auch meine Mitstreiterinnen mit Kritik in der Hoffnung, dass sie so bei mir lande.

Oder man belehrte uns, dass wir von „gültigen Milongas“ Gäste abzögen. Und Tangolehrer informierten ihre Kursteilnehmer, dass es bei uns „problematische Musik“ gebe.

Der DJ, so merkte ich bald, müsse als eine Art „eierlegende Wollmilchsau“ auftreten. Und es vor allem aushalten, dass die meisten Tangoleute wenig Ahnung von Musik haben.

Ab 2015 sorgte ich dann meist auf unseren Wohnzimmer-Milongas für die Beschallung. Allmählich bildete sich da eine Gästeschar heraus, die meine Art von Musik mochte. Oder sie jedenfalls klaglos hinnahm, selbst wenn ich mal eine Runde Piazzolla auflegte. Die Kritik kam dann nur noch aus der Ferne von Leuten, die nie bei uns waren und dennoch genau wussten, was bei uns schlecht war. Und die mir gerne vorwarfen, dass ich über Encuentros schrieb, obwohl ich nie eines besucht hätte…

Ich beschloss dann bald, nur noch in Pörnbach aufzulegen. Das tue ich übrigens bis heute, obwohl wir das Format einer regelmäßigen Veranstaltung aufgegeben haben. Aber es gibt immer wieder kurzfristige Verabredungen mit Freunden, wo wir dann mit wenigen Gästen und viel Spaß zu Musik tanzen, die man uns nirgendwo sonst bietet: Subkultur vom Feinsten!

Neulich war ein Veranstalter sehr unzufrieden mit meiner Ablehnung und meinte, ich kneife und liefere nur mehr „Worte statt Taten“.

Ich finde diesen Vorwurf bemerkenswert. Viele Jahre habe ich mich als Veranstalter und DJ für den Tango engagiert, ohne damit einen Cent Gewinn zu machen. Und die 81 Playlists auf meinem Blog sind keinen „Pipe Dreams“, sondern wurden in genau dieser Fassung vor Publikum gespielt. Da steckt also eine Menge praktischer Erfahrung drin.

Ich habe immer wieder angeregt, dass man doch aus dieser Fülle an Material ein Milonga-Programm gestalten könnte, ohne dass meine physische Anwesenheit erforderlich sei. Darauf habe ich, trotz wiederholter Aufforderung, nie eine Antwort erhalten. Wieso eigentlich?

Ich fürchte, manche Kollegen haben doch die Befürchtung, sie könnten mit meiner Musik kräftig anecken. Bei Tangos von Piazzolla oder Rovira hätten sie binnen weniger Minuten die Reaktionäre am Pult, welche mit sofortigem Weggang drohten (wäre für mich eher ein Hoffnungsschimmer). Und auf Neo-Events dürfte es nach dem Erklingen von Lidia Borda und Ariel Ardit gegensätzliche Probleme geben. Motto: „Warum spielst du jetzt Tango?“

Oder versucht man, mit meinem Namen Gäste anzulocken? Ich fürchte, das könnte gewaltig schiefgehen! Und das Argument, dass man keine vorgefertigten Playlists abspielen wolle, lasse ich nicht gelten: Wer aus meinem Angebot nicht ad hoc auflegen kann, sollte sich nicht DJ nennen.

Interessant finde ich Aussagen, man veranstalte ein „Non Profit Event“ – daher solle der DJ gefälligst seine ganzen Auslagen (Fahrt, Übernachtung, Verköstigung) selber tragen. Vor Ort werden dann als „Spenden“ kaschierte Eintrittsgelder verlangt. Wenn man Glück hat, kommt man als DJ vielleicht umsonst rein…

Ich kann jungen Kolleginnen und Kollegen nur davon abraten, sich auf einen solchen Deal einzulassen. Ich habe fürs Zaubern meist bescheidene Gagen verlangt, bei guten Freuden trat ich gerne auch gratis auf. Geld mitbringen zu müssen hätte ich aber als Zumutung abgelehnt. Wenn man durch halb Deutschland fährt und sich ein ganzes Wochenende um die Ohren schlägt, sollte zumindest ein Spesen-Zuschuss drin sein. Wo bleibt da eigentlich die im Tango so oft beschworene „Achtsamkeit“?

Stattdessen lockt man Publikum damit an, DJs aus halb Europa zu engagieren. Offenbar wird man in diesem Geschäft umso besser, je weiter weg man wohnt! Und traktiert die Netzhaut der Tanzenden mit „Video-Installationen“. Lecker!

Ich würde mich auch nicht darauf einlassen, nur eine oder zwei Stunden auflegen zu dürfen, weil man ja – zwecks „Vielseitigkeit“ – insgesamt zehn und mehr DJs engagiert habe. Pardon, aber wer diese Bandbreite nicht auch allein hinbekommt, sollte diesen Job meiden. Daher mein Rat an junge Nachfolger: Der Veranstalter muss euch schon die Möglichkeit geben, euer Programm, eure Auffassung von Tangomusik ausführlich darzutun. Schnellschüsse sind dem Tango fremd.

Daher halte ich auch „DJ-Battles“ mit abwechselndem Einsatz für eine Kateridee. Sie würden eine sehr sorgfältige Abstimmung und Vorbereitung erfordern. In der Praxis kommt dann eher irgendwas hintereinander.

Vor allem aber: Die Gäste müssen den Anstand besitzen, den DJ machen zu lassen. Ein Bild kann man auch erst nach dem letzten Pinselstrich beurteilen. Dem Maler bei seiner Arbeit reinzuquatschen halte ich für unterirdisch.

Ich bin als Milongabesucher wirklich schmerzgeprüft: In vielen Fällen fand ich die Musikauswahl (hier ein hehrer Begriff) wirklich gruselig. Niemals habe ich mich aber auf den Weg zum Mischpult gemacht, um den Täter über seine Verbrechen aufzuklären. Wenn man das für nötig hält, kann man dem DJ oder Veranstalter ja am nächsten Tag eine Nachricht zukommen lassen – oder einen bösen Artikel veröffentlichen.

Für die Dauer der Milonga gilt aber, was Kurt Tucholsky schon 1928 einem Geschäftsmann riet, der einen Künstler engagiert:

„Lass ihn in Ruhe!“

https://www.youtube.com/watch?v=VZftTstROO0

https://www.textlog.de/tucholsky/glossen-essays/zehn-gebote-fuer-den-geschaeftsmann-der-einen-kuenstler-engagiert

Kommentare

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