Sexuelles Fehlverhalten in der Milonga


Über Artikel der US-amerikanischen Bloggerin Janis Kenyon („Tango Chamuyo“) habe ich schon dreimal berichtet:

Unter dem TitelSexual misconduct at the milonga” beschreibt sie nun sexuelle Übergriffe beim Tango. Was ich besonders spannend finde: Die Dame lebt seit 1999 in Buenos Aires.

Schon 2017, so die Autorin, habe sie mit dem vorliegenden Text begonnen, ihn aber erst jetzt – im Zeichen größerer Medien-Aufmerksamkeit und der #MeToo-Bewegung – veröffentlicht.

Sie bekennt (aus dem Englischen übersetzt):

„Ich habe in den Milongas viele Jahre lang auf vielfältige Weise sexuelles Fehlverhalten erlebt. Das Problem war, dass ich nicht angemessen reagiert habe, als es passierte. Ich lachte nur darüber und entschuldigte das Verhalten in meinem Kopf damit, es sei ja kein Schaden entstanden. (…)
Sexuelle Übergriffe finden in den Milongas von Buenos Aires statt. Natürlich gibt es Männer, die angemessen handeln, aber auch einige, die es ausnutzen, nur zehn Minuten lang intim von einer Frau umarmt zu werden, selbst an einem öffentlichen Ort. (…)
Unangemessene Berührungen und sexuelle Kommentare sind häufig. (…)
Sehr wenige Frauen sprechen darüber. Sie wissen, dass zukünftige Aufforderungen zum Tanzen nicht stattfinden werden, wenn sie keine Einladung zum ‚Kaffee‘ (ein Euphemismus für sexuelle Beziehungen) annehmen.
Wie ich selber weiß, gibt es eine allgemeine Akzeptanz für diese Art von Verhalten. Ich habe es jahrelang akzeptiert. Ich ließ meinen Hintern tätscheln, als ich zum Tisch zurückkehrte. Ich hatte beim Tanzen unerwünschte Zungen im Ohr. Ein Kuss auf meinen Nacken ist nicht die Art, wie ich die Tanda beenden möchte, aber meine lachende Reaktion war nur Ermutigung.“

Sie wisse nun: Nein zu sagen sei die einzige erfolgreiche Möglichkeit – anstatt sich damit zu trösten, es sei ja nicht so schlimm gewesen. In Wahrheit finde sie das alles inakzeptabel.

Ein Milonguero erzählte ihr, er habe beim Tanzen die Brust einer Frau berührt, ohne dass sie sich wehrte. In seinen Augen sei dies ein Einverständnis gewesen. Wirklich? Vielleicht habe sie auch nur das Aufsehen gefürchtet, wenn sie ihn weggestoßen und sich das verbeten hätte.

Die Autorin jedenfalls greife nun zu einem klaren Nein („No mas!“), wenn beispielsweise ein Tänzer statt des üblichen Bussis an ihrem Ohrläppchen sauge. Und wenn man hartnäckig bleibe, verstehe es der Typ dann schon…

Hier der Originaltext:

Besonders spannend finde ich es, dass hier von Milongas im Tango-Mekka berichtet wird, und dort – so hat man es uns seit Jahren eingetrichtert – herrschen doch dank der hundertjährigen Códigos ganz strenge Sitten und Gebräuche! Gibt es im Lande der Tangoträume nicht – statt der nötigenden direkten Aufforderung – den Cabeceo? Und einmaliges Nicken führt dann zu der Lizenz, der Tanguera das Ohr abzuschlecken oder sie gleich nach Hause mitzunehmen? Echt?

Schon lange und bisher ziemlich vergeblich habe ich auf die Alternative hingewiesen: Entweder man hat ein natürliches Gespür für Anstand oder man braucht strenge Regeln

Wie sieht es damit auf den hiesigen Milongas aus? Natürlich kriege ich als Mann sicherlich nur einen Teil mit und wäre daher für weibliche Erfahrungsberichte sehr dankbar. Oft beobachte ich solche männlichen Verhaltensweisen nicht. Gelegentlich fallen mir aber schon etwas seltsame Herren (gerne auch höheren Alters) auf, die eine ziemlich klebrige Performance hinlegen:

Warnzeichen sind für mich stete Beteuerungen, eine bestimmte Tanguera sei für sie eigentlich die einzig Wahre, man würde am liebsten nur noch mit ihr tanzen. Zudem fällt eine ziemlich sexualisierte Sprache auf – bis hin zu platten „Herrenwitzen“. In der  Folge wird dann ein endloses Gespräch aufgedrängt, der Mindestabstand unterschritten und alles Mögliche getätschelt.

In diesem Zusammenhang hat die heute geradezu vorschriftsmäßige enge Umarmung verheerende Folgen: Jeder noch so dreiste Annäherungsversuch habe ja tanztechnische Gründe – eine Sacada müsse zwangsläufig (ein schönes Wort) in Beckennähe angesetzt werden, und eine Dame ständig auf dem eigenen Knie zu platzieren sei eine reine Folge der Musikinterpretation sowie Ausweis hoher künstlerischer Befähigung…

Wer sich für die speziellen Methoden von „Pickup Artists“ interessiert:

Auf eine Antwort können sich Frauen, welche bei solchen Avancen ein klares Nein aussprechen, fest verlassen: Es sei alles ein reines Missverständnis – letztlich werden sie als überempfindliche Zicke hingestellt. Ich kann allen Tänzerinnen nur raten, sich hierbei ausschließlich auf das eigene Bauchgefühl zu verlassen: Alles, wobei sie sich unwohl fühlen, hat zu unterbleiben. Punkt. Notfalls würde ich den Kerl mitten im Stück auf der Tanzfläche stehen lassen. Und dass der einen nie mehr auffordert, empfände ich als reine Gnade!

Was mich bei der Recherche sehr verwundert hat: Suchbegriffe wie „Tango – sexuelle Belästigung“ führten kaum zu Treffern. Ich fürchte nur, die Probleme existieren zwar, werden jedoch weitgehend verschwiegen.

Daher meine ich: Alle im Tango müssen sich endlich darüber klar werden, dass die Nähe des Tanzes und die sinnliche Atmosphäre selbstverständlich Zeitgenossen anlockt, welchen es kaum ums Tanzen, dagegen sehr ums Aufreißen geht. Wer sich dem nicht illusionslos stellt, glaubt auch daran, dass ein Hund und eine Bockwurst im gleichen Raum folgenlos koexistieren können…

Selbstverständlich ist nichts gegen Flirts und andere Annäherungsversuche zu sagen, solange beiderseitiges Einverständnis herrscht. Man merkt das Hauptinteresse dann oft schon an den mangelnden tänzerischen Fähigkeiten. Ich wäre in solchen Fällen allerdings dankbar, wenn der Weg ins Bett direkt und nicht über den Umweg des Parketts erfolgen würde. Es behindert mich ziemlich.

Sind unerwünschte Grapschereien eigentlich strafbar? Bis 2016 war das höchst problematisch – allenfalls konnte man sie in eindeutigen Fällen als tätliche Beleidigungen ahnden. Inzwischen gibt es den neuen § 184i StGB:
Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
 
Die Rechtsprechung dazu ist noch nicht allzu umfangreich. Grob kann man sagen: Oberhalb des Knies wird es gefährlich. So setzte es für dreimaliges Fassen an den Po bereits drei Monate Freiheitsstrafe (in der Berufung auf 90 Tagessätze reduziert).    

Der Griff an die Innenseite der Oberschenkel kostete 8 Monate und einer zusätzlich zwischen die Beine ein Jahr Bewährungsstrafe. Der Tarif scheint sich offenbar im oberen Preissegment einzupendeln…

Was kaum verwundert: Nach einer Umfrage beurteilen die Geschlechter die Bedeutung solcher Vorkommnisse ziemlich verschieden.
„Wird Ihrer Meinung nach über sexuelle Belästigung in unserer Gesellschaft zu viel oder zu wenig gesprochen?“ , wollte man wissen. Fast doppelt so viele Männer wie Frauen (31,6 gegen 16,2 Prozent) fanden es zu viel. „Zu wenig“ meinten 65,4 Prozent der weiblichen Befragten und 41,1 Prozent der männlichen. 

Daher nochmal, liebe Tangueros: Ob ihr die Fummelei für harmlos haltet, ist leider völlig unwichtig – wenn’s die Tänzerin nicht will, hilft nur Griffel einziehen!

P.S. Das Nähere erklärt ein Anwalt:
 
 




Kommentare

  1. Nun ja, die einzige Lösung für das Problem hat die Autorin ja ergriffen:
    Verantwortung für sich selbst übernehmen und klar und deutlich sagen, wenn was nicht passt.

    Ansonsten: natürlich hat auch jeder Mann das Recht, sexuelle Kontakte da zu suchen, wo er hofft, erfolgreich zu sein. Unabhängig davon, ob das einem Moralapostel (sorry, aber als so einer kommst du grad allzusehr rüber ) nun gefällt, oder eine Frau, der das nicht gefällt, das Maul nicht aufbekommt und sich alles gefallen lässt. ;-)

    Dein Schlussatz "wenn’s die Tänzerin nicht will, hilft nur Griffel einziehen!" ist natürlich klar. Aber, wie gesagt, sie muss natürlich auch klar und deutlich ansagen, was Sache ist. Soviel erwarte ich von erwachsenen, emanzipierten Menschen!


    PS: #Metoo, weil das auch erwähnt wurde, war ne recht zwiespältige fast schon an Hexenjagd (besser Hexer-Jagd) grenzende Aktion, aber ne Diskussion hier im Kommentarbereich würde dann doch allzu weit gehen ...


    Ciao und bis demnächst mal wieder,
    Robert Wachinger

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    1. Lieber Robert,

      ich hatte inständig gehofft, meine Bitte, zur Sache und nicht zur Person zu kommentieren, würde erhört. Insofern halte ich Assoziationen zum Autor wie „Moralapostel“ – gelinde gesagt – für höchst überflüssig.

      Wer es vor, nach oder außerhalb von Milongas mit wem treibt, ist mir nämlich herzlich egal. Allerdings, das gebe ich zu, empfinde ich allzu heftiges geschlechtliches Werben auf Tangoveranstaltungen als nicht gerade sozialadäquat. Aber jeder, wie er mag…

      Die Suche nach sexuellen Kontakten gehört sicherlich – im Rahmen der juristischen Grenzen – zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Ich warne aber vor der Idee, man dürfe erstmal zulangen – die andere Person könne ja hinterher sagen, ob es ihr recht gewesen sei. In der Berufswelt jedenfalls könnte das zu einer Abmahnung oder Kündigung führen, im öffentlichen Raum eventuell zu Post vom Staatsanwalt.

      Wie wäre es denn mal andersrum: Erst fragen und dann zupacken? Sollte es sich bei Männern ebenfalls um erwachsene, emanzipierte Menschen handeln, die auch bei solchen Vorhaben mal das Maul aufbekommen, sollte dies machbar sein.

      Beste Grüße
      Gerhard

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    2. Hi Gerhard, ich dachte, ich wäre nicht persönlich geworden, sondern hätte dir nur ein Feedback gegeben, wie etwas bei mir angekommen ist (und die Assoziation von den "Moralaposteln", die sich über Fehlverhalten bei anderen mokieren, kam bei mir ganz automatisch).

      Das Problem mit "der Suche nach sexuellen Kontakten" ist halt, dass auch heute noch ein Durchschnittsmann warten kann, bis er schwarz wird, dass eine Frau aktiv auf ihn zukommt. Also bleibt ihm nichts anderes übrig, als selbst aktiv zu werden. Und natürlich kann es leicht vorkommen, dass er sich in der Wahl der Methoden "vergreift". Ist ja auch schwierig , weil Frauen alle anders sind und dann auch noch bei jedem Mann verschieden reagieren.

      Wär ja eigentlich auch kein Problem, dann sagt die Frau halt ein "Bratzn weg!" oder "Schleich di!" o.ä., evtl. auch etwas elaborierter.

      Nur so, wie Janis Kenyon geschrieben hat, dass sie früher reagiert hat (es sich gefallen lassen, und dann sich deswegen schlecht fühlen) geht halt gar nicht. Aber da denke ich, renn ich auch bei dir offene Türen ein.

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    3. Sorry, Antwort vorhin war natürlich von mir, Robert ;-)

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    4. Lieber Robert,

      ich habe halt in vielen Jahren der Auseinandersetzung im Internet gelernt, dass Eskalationen immer dann drohen, wenn die Debatte von der Sache auf die Person umschwenkt – egal, wie „automatisch“ (oder reflexartig) das passiert. Man kann eine Ansicht für prüde, übertrieben oder sonst was halten. Bezieht man das auf eine Person, beurteilt man den ganzen Menschen. Im Regelfall kommt dann eine ebenso negative Charakteristik zurück. Um das eigentliche Problem geht es ab da meist nicht mehr.

      Ich halte es für unnötig zu erwarten, dass einer von beiden „selbst aktiv werden muss“. Wenn es passt, ist es doch eher eine gegenseitige Annäherung. Und dabei sollten beide Seiten nicht auf das Reden verzichten. So lassen sich Missverständnisse am ehesten ausräumen.

      Danke für Deinen Beitrag und beste Grüße
      Gerhard

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  2. Wie wäre es denn, bei einem gefühlten Übergriff, die Sache erst einmal
    ganz sachlich konkret zu benennen und laut auszusprechen?

    "Du hast mir an ...(Tabukörperteil deiner Wahl) gefasst."

    Dann kann Madame einen Schritt zurücktreten, sich besinnen, im Geist bis 5 zählen und seine Reaktion beobachten:
    War es ein Versehen? Entschuldigt er sich? Was in dieser Art... Oder grinst er recht hämisch?

    Auf jeden Fall ist dem Herrn in solchen Momenten ganz genau anzumerken, ob er sich der Grenzüberschreitung bewusst war! Falls es wirklich ein Versehen war, gibst du ihm so die Möglichkeit, sich zu entschuldigen.

    (Anmerkung: Meiner Erfahrung nach wissen Männer in ca. 95 % der Fälle, was sie da tun. Das kenn' ich gut aus der Pflege. Diese "sportlichen" Versuche gehen bis zu einem Alter, in dem es schwierig wird, den eigenen Urinbeutel zu tragen. Aber mann probiert's halt mal, gell? Ist ja okay, verlangt aber nach klarem Handeln!)

    Dann klipp und klar Grenzen ziehen!
    Sofort!
    Nicht lächelnd!
    Ohne blümelig-entschuldigende Achtsamkeits-Verschnörkelungen!

    Ob das mit einem scharfen "Griffel weg!" oder - falls angezeigt - einer Ohrfeige o.ä. passiert, bleibt der Dame überlassen.

    ...wobei, wenn einer ohne meiner Zustimmung an meinem Ohrläppchen saugt, würde ich den Sprechteil weglassen - da Motiv glasklar - und gleich zur Tat schreiten ;) Wie? Das willst du nicht wissen, Monsieur...

    Eine andere Möglichkeit, ist schon vorher so zu wirken, als ob frau noch zu ganz anderen Maßnahmen bei unerwünschten Antatschungen fähig wäre. Hilft erfahrungsgemäß prima und klärt den Abstand.
    Also nicht immer nur artig lächeln, meine Damen, auch mal Zähne zeigen...

    LG Manuela

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  3. Wie auch immer - die Sache muss klar angesprochen werden. Verschweigen nützt gar nichts und spielt solchen Strategien noch in die Hände.

    Und ja - Männer wissen in der Regel genau, was sie da tun. Und von Tänzerinnen höre ich immer wieder, sie könnten durchaus unterscheiden, ob eine Annäherung wirklich tänzerisch oder anders motiviert ist bzw. aus Versehen erfolgt.

    Ob es ein "Opfer-Schema" gibt, ist umstritten. Nach meinen Beobachtungen schon. Da wird vorab durchaus kühl kalkuliert, ob ein Widerstand erfolgen wird und wie dieser ausfallen könnte.

    Danke für den Kommentar und liebe Grüße
    Gerhard

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