Milonga-Codes Hardcore-Version
Wenn man es sich zur Aufgabe macht, abartige Tangovideos zu besprechen, ist Schmerzresistenz Voraussetzung. Normalerweise stecke ich das locker weg – die folgende Produktion aber hat meine seelischen Widerstandskräfte auf eine harte Probe gestellt.
„Dancing Argentine Tango Socially. A Talk on Milonga Codes" nennt sich das Konstrukt, in welchem wir dumme Laien über die Dos und Don’ts beim Ochozwirbeln aufgeklärt werden. Unternommen wird dies von einem anscheinend berühmten Lehrerpaar. Recherchiert habe ich diese Behauptung nicht – die beiden kümmern sich ja auch nicht um meine Vita. Für Neugierige:
https://dancershape.com/josefina-bermudez-fabian-peralta
Am Anfang sehen wir die Meister einige Sekunden herumwirbeln, damit uns klar wird, in welcher Haushaltung wir uns befinden. Dann Einblendung:
„Das Universum der Milonga. Oder der Platz, wo wir Kontakte knüpfen und tanzen.“
Schön, dass uns diese Alternative gleich vorgestellt wird!
Den Text des fast 36-minütigen Videos – weitgehend eine ziemlich redundante englische Kompilation, habe ich, so gut es geht, übersetzt und zusammengefasst.
Es gehe um die sehr wichtigen „Milonga Codes“, so der grau bebartete Chef im eleganten Dreiteiler, welche einem Ordnung und Freiheit vermittelten, eine Perspektive, wie man die Milonga genießen könne. Und natürlich die anderen Tanzenden respektiere. Diese Regeln seien strikt zu befolgen.
Seine Partnerin darf gelegentlich auch etwas sagen, so lange sie nicht im Sitzen an ihrem geschlitzten Rock herumzuppelt.
Den Damen falle dabei die Aufgabe zu, die Tänzer einzunorden, so der Maestro. Man stelle sich mal vor, ein Mann, der erst seit drei Monaten beim Tango ist, besuche eine Milonga und tanze hintereinander mit einer ganzen Reihe von Frauen. Dann bilde der sich ein, er könne schon alles und verzichte auf weiteren Unterricht und Übung (gaanz schlecht für Geschäft!).Die Tangueras könnten den Typen aber mit einem ganz wichtigen Wort auf die Spur bringen: nein. Wahrscheinlich merkt dann der Nasenbohrer, wie viel ihm noch fehlt!
Und ein Korb sei ja keine schlimme Sache, sondern eine berechtigte Antwort, die ganz unterschiedliche Gründe haben könne. Musik, Stimmung, Müdigkeit oder halt die Tatsache, von einem No Name aufgefordert zu werden und somit nicht zu wissen, ob man es genießen könne. Lieber erstmal beobachten, wie einer tanzt. Wozu hat man schließlich Tangofreundinnen, die ihn mal vortanzen? Und man könne den Hansel ja im Fall des Falles nach zwei Stücken wieder in die Wüste schicken. Eine ganze Tanda müsse man sich nicht geben.
Weiterhin gehe es nicht an, die Musik so laut einzuspielen, dass man sich nicht mehr unterhalten könne. Die Milonga sei schließlich ein sozialer Ort, wo man auch Kontakte knüpfen, mit anderen reden wolle. Man müsse nicht den ganzen Abend tanzen – es reiche durchaus, nur eine Tanda (oder zwei) auf dem Parkett zu verbringen. Qualität gehe schließlich vor Quantität.
Dann kommt natürlich das Cabeceo-Thema. Führten den ausschließlich die Männer aus? Nun, ganz falsch sei das nicht. Allerdings hätten die Frauen dabei das letzte Wort: Wenn sie nicht wollten – einfach weggucken! Direkt zu ihnen hinzugehen und zu fragen provoziere ein Nein. Dass Tänzerinnen oft lange herumsitzen, weil sie keiner anschaut, wird natürlich nicht erwähnt.
Ganz schlecht sei es auch, ratschende Paare oder größere Gruppen von außerhalb zu unterbrechen. Diese Bubble wolle halt reden statt tanzen – das sei zu respektieren. Ausnahmen gebe es höchstens unter guten Freunden.
Ganz böse sei es, eine Dame aufzufordern, während der Partner grade beim Bieseln sei – bloß nicht!
Der Meister erzählt nun von früher, als er jeweils spezielle Lieblingspartnerinnen hatte, um zu den einzelnen Orchestern bzw. Vals oder Milonga zu tanzen. Das sei völlig berechtigt, da es ja ganz verschiedene Energien gebe. Dass dann die armen Frauen alle mit ihm tanzen mussten, kommentiert er nicht.
Es folgt der berühmte „Cabeceo unter Führenden“ beim Betreten der Tanzfläche – und die sogar mal richtige Einschätzung, eine Ronda dürfe nicht statisch sein. Und bitte die Ecken nicht besetzen, um dort ortstreu zu brummkreiseln!
Zur Schluss-Beeindrucke erzählt der Maestro dann noch eine Geschichte: Als professioneller Tänzer habe er gleichwohl das Gefühl gehabt, außer Schritten und Figuren doch nicht wirklich Tango zu tanzen. Er suchte sich also einen Lehrmeister, der ihm zunächst das Versprechen abnahm, noch keine Milongas zu besuchen.
Das durfte er nach vielem Caminar erst nach einigen Monaten – aber mit der Anweisung, nur zu sitzen und nicht zu tanzen. Er solle sich aber allen vorstellen, besonders den älteren Tänzern. Nach einem weiteren Jahr schließlich durfte er am Abend eine einzige Tanda vollführen! Hurra – für ihn der schönste Moment in seinem bisherigen Tangoleben!
Müssen wir noch erwähnen, dass unser Held in der berühmten Milonga „Almagro“ schließlich in der ersten Sitzreihe platziert wurde?
Für englischsprechende Tango-Masochisten hier das Video:
https://www.youtube.com/watch?v=Y2lYP_V9TTk
Nun kann man natürlich über verschiedene „Tangoregeln“ unterschiedlich denken – das ist gar nicht mein Problem. Aber man muss im Video wirklich genießen, wie sich hier ein Tangolehrer nach Pfauenart aufspielt und uns von ober herab beibiegt, was man gefälligst zu beachten habe! Die ganze Inszenierung trieft vor Hierarchie. Besonders schön sind die anbetenden Blicke, mit denen das zugehörige Weibchen ihren Helden bedenkt. Klar: Frauen wählen nach Rangordnung.
Der Tango ist vertikal strukturiert – der Ober sticht den Unter. Und er ist ein Tanz, bei dem man vor allem viel falsch machen kann. Daher ganz wenig tanzen – am besten gar nicht! Und Anfängerinnen und Anfänger müssen sich erstmal hochdienen – nein, besser: auf dem Bauch in die Milongas robben.
Man könnte einem solchen Wichtigtuer allerdings auch einmal sagen, was er verzapfe, sei ausschließlich seine private Meinung… Aber dann würde man von der „ehrenwerten Gesellschaft“ ausgeschlossen.
Dazu passt einer meiner Lieblingswitze:
Ein Kunde möchte in einem Zoogeschäft einen Papagei kaufen. Der Händler zeigt ihm ein grünes Exemplar: „Der kennt 20 Wörter.“ Der Preis? 300 Euro. „Und der rote daneben?“ „Der kann sogar ganze Sätze und kostet 600 Euro“. Dem Kunden ist das zu viel – er fragt: „Und der kleine graue hinten in der Ecke?“ „Der kostet 2000 Euro.“ „Echt? Was kann denn der?“ „Das wissen wir auch nicht – aber die beiden anderen sagen immer ‚Chef‘ zu ihm.“
P.S. Zum Weiterlesen:
http://milongafuehrer.blogspot.com/2021/05/wir-da-oben-ihr-da-unten.html
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