Mit den Spinnern tanzen?


Über die Saarbrücker Tangolehrerin, DJane, Veranstalterin und Buchautorin Melina Sedó zu berichten ist stets höchst interessant. Insbesondere, da ihre Ausführungen überhaupt nicht von Konsequenz oder gar festen, unerschütterlichen Überzeugungen getrübt sind.

Sintemalen war sie bekanntlich eine der härtesten Vertreterinnen der rigiden Beschränkungen tänzerischer Freiheiten im Tango, was Musik und Verhaltensregeln angeht – unterstützt natürlich von ihrem Kampfgenossen Cassiel, der auf seinem Blog gegen Freigeister predigte und Melina in höchsten Tönen pries.

Als das Geschäft mit den Encuentros wegen diverser Schwierigkeiten nicht mehr so richtig lief, postete sie zunehmend relativierende Ansichten zu Musik sowie Tangotraditionen und entdeckte plötzlich ihr Herz für Rollenwechsel und Emanzipation.  

Hier eine aktuelle Auswahl – weitere Artikel findet man per Eingabe ihres Namens in die Suchfunktion meines Blogs.


Gestern nun veröffentlichte sie auf ihrer Facebook-Seite einen weiteren Text, der viel zu schön ist, um dem Vergessen anheimzufallen.

Nachdem sie sich zunächst um die Schrumpfung der Tangowelt Sorgen macht und hinsichtlich der Reisetätigkeit des Tangovolkes ökologische  Bedenken anerkennt, kommt sie zum eigentlichen Quell ihrer Schmerzen:   

„Aber am wichtigsten: Viele von euch werden nicht mehr imstande sein, miteinander zu kommunizieren / zu tanzen, weil ihr aufgrund unterschiedlicher Meinungen zum Umgang mit der Virus-Situation in Streit geraten seid. Vielleicht gehst du nicht zu einer Veranstaltung, bei der ‚diese Idioten‘ tanzen oder möchtest nicht am selben Tisch mit ihnen sitzen. Vielleicht ist es gut, besser informierte Entscheidungen darüber zu treffen, mit wem man sich mischen möchte, aber die einzige Sache, auf die wir aus sind – Tango – wird seine Bedeutung verloren haben.
Ich habe es immer geliebt, Tänzer aus verschiedenen Konfessionen, Kulturen, mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen zu sehen, die sich gegenseitig umarmen. Und obwohl ich sehr starke (oft radikale) Meinungen habe, könnte ich sie trotzdem ‚für die Sache‘ beiseitelegen, weil ich wirklich glaube, dass dies – auf lange Sicht – die Welt zu einem besseren Ort macht. Aber das könnte vorbei sein. Für Organisatoren könnte es schwierig werden, in Zukunft schöne Veranstaltungen zu gestalten. (…)
Also denkt besser darüber nach, wen ihr als Covidiot oder hirnloses Schaf beleidigt. Manchmal ist es besser, den Mund zu halten – zumindest auf Facebook.
P.S.: Und wenn sich jemand wirklich gegen deine Grundphilosophie verhält / spricht, denk einfach darüber nach, ihm / ihr nicht mehr zu folgen oder sie zu entfreunden. Das bringt euch definitiv mehr Seelenfrieden als hitzige Diskussionen auf Facebook, die nie die Meinung von jemandem geändert haben.“

Hier der volle (oben von mir übersetzte) Text:

Ja, wenn das Geschäft nicht mehr läuft, sollte man „radikale Meinungen“ lieber hintan stellen. Nicht, dass sich wegen der ganzen Streitereien noch weniger Kunden zu zahlungspflichtigen Events verirren…

Mich verwundert allerdings die Schnelligkeit des Gesinnungswandels: Früher wurde in diesen Kreisen schon die Verletzung der Ronda als Grund für einen Rausschmiss befürwortet – jetzt aber darf man durchaus an Reptiloide oder Zwangssterilisation durch Impfung glauben, ohne dass man des liebevollen Abrazo verlustig geht. Das ist doch wahrhafte Toleranz!  

Bei den zahlreichen Diskussionsbeiträgen zum Text stehen letztlich zwei Meinungen gegeneinander: „Mir geht es nur um Tango – da tanze ich notfalls mit jedem Deppen“ versus „Es gibt Einstellungen, die einen Kontakt auch im Tango verbieten“. Letztere stellt eher die Minderheit dar.

Persönlich bin ich sicherlich der beste Kronzeuge, was den gesinnungsmäßigen Ausschluss vom Tango betrifft. Kein anderer wurde hierzulande in den letzten zehn Jahren derartig angefeindet wie ich. Immer wieder forderte man, keine Frau solle mehr mit mir tanzen, wenn ich derart abweichlerische Ansichten zu Musik, Traditionen und Aufforderungsweise verträte. Wegen meiner Texte wurde ich (virtuell) sozial ausgegrenzt, beschimpft, kriminalisiert und mit Hausverboten überzogen. Die Kommentarfunktion meines Blogs musste ich zeitweilig schließen, um mich der Attacken von Trollen zu erwehren. Auf „Amazon“ wurde versucht, mein Tangobuch mit gehässigen Besprechungen unglaubwürdig zu machen.

Komplimente für meine Arbeit erhielt ich weitgehend in einer Fülle von privaten Nachrichten – aber häufig mit dem Vermerk: „Bitte nicht veröffentlichen!“ Nur ganz wenige mochten das Risiko eingehen, bei publizierter Unterstützung ebenso attackiert zu werden wie ich. Das betrifft vor allem Frauen, die erklärtermaßen befürchteten, dann kaum mehr aufgefordert zu werden.

Man könnte bei alledem meinen, im letzten Jahrzehnt hätte fast jeder Milonga-Besuch für mich zu einem Spießrutenlauf werden müssen. Das Gegenteil war der Fall: Nicht ein einziges Mal erlebte ich negative Reaktionen zu meiner Person in der realen Tangowelt. Und das, obwohl ich davon ausgehen konnte, dass sich auf den Veranstaltungen fast immer auch „Cassiel-Fans“ herumtrieben, welche durchaus die Hetzkampagnen auf dessen Blog befürworteten. Oder Menschen, die mir auf Facebook den baldigen Tod in Aussicht stellten...

Im Gegenteil: Auch knochentrocken konservative Veranstalter benahmen sich mir gegenüber stets freundlich, ja zuvorkommend. Und ich glaube nicht, dass sie vor allem von der Angst getrieben wurden, ich könnte sie im nächsten Artikel verreißen (was ich auch kaum tat). Eher glaube ich, dass ihnen das ganze Gedöns im Internet egal war – oder sie vielleicht sogar meinen Mut bewunderten, öffentlich zu meinen Ansichten zu stehen. Oft setzte sich ein unbekannter Gast plötzlich neben mich und offenbarte mir im Flüsterton, er (oder sie) kenne mein Buch sowie das Blog und fände es toll. Und einen „ideologisch gefärbten Korb“ habe ich nie erhalten (Körbe überhaupt nur ganz selten).

Allerdings habe ich Milongas auch nie als Bühne für meine Thesen benützt (offizielle Buchlesungen ausgenommen). Ich fühlte mich dort als Gast, der schlicht und einfach tanzen wollte – nicht mehr und nicht weniger. Und wer mich kennt, weiß eh, dass ich Gesprächen auf Tangoevents eher ausweiche. Sie stören mich erheblich dabei, der Musik zu lauschen.

Meine Strategie wird daher auch weiterhin sein: Satire gibt es von mir nur schriftlich – und das muss dann keiner lesen. Auf Milongas belästige ich niemand mit meinen Ansichten.

Daher tue ich mich mit dem Problem, das Melina Sedó in ihrem Text aufwirft, sehr leicht, weil ich seit vielen Jahren das Parkett mit Menschen teile, die für mich ziemlich aberwitzige Vorstellungen haben – beispielsweise, dass der Cabeceo absolut notwendig sei, man auf dem Parkett nicht überholen dürfe oder Piazzollas Musik nicht tanzbar sei.

Warum sollte es mich daher stören, wenn sie nun auch noch die Abschaffung der Demokratie durch Maskenzwang erwarten, Bill Gates als Kopf einer Weltverschwörung sehen oder die Vergiftung der Menschheit durch Chemtrails befürchten?

Da gilt mein alter Wahlspruch:
Wer noch alle Latten am Zaun hat, tanzt auch nicht Tango!

Die Flucht würde ich höchstens ergreifen, wenn man mich auf Milongas durch Vollgelabere zwangsbekehren möchte. Aber da kann ich ja meist aufs Parkett ausweichen – und wer schon mal mit mir getanzt hat, weiß: Zum Reden ist da keine Zeit mehr…

Zudem sind manche von denen, welche nun unseren Tanz mit Verschwörungsmythen beglücken, eigentlich nur arme Tröpfe: Sie haben es in vielen Jahren Tango nicht geschafft, eine feste Partnerschaft hinzubekommen. Dass dafür sie selbst und nicht chinesische Labors oder Jens Spahn verantwortlich sind, ist halt eine Realität, die sie nicht akzeptieren können.

Fraglich ist nur, ob ich solche Menschen zukünftig auf unsere Pörnbacher Milonga einladen würde – aber nicht wegen der geistigen Infektionsgefahr, sondern der körperlichen. Ich muss halt dann befürchten, dass sie es mit den Abstandsregeln bisher ziemlich locker genommen haben.

Und Impfung ist ja für viele von ihnen keine Option.
Apropos: Wenn ich die vielen Ausgrenzungsversuche gegen mich Revue passieren lasse – manchmal kam ich mir im Tango schon vor wie der letzte Geimpfte!


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