Códice de tango de Gerardo


In Corona-Zeiten geschehen noch Zeichen, aber keine Wunder:

Im Münchner Tango, so erfahren wir nun, herrschen Sodom und Gonorrhoe! Erigierte Geschlechtsteile werden an Tänzerinnen gerieben, man traktiert einander mit verschwitzten Klamotten und üblen Gerüchen – und, noch schlimmer: Fordert Frauenzimmer aus fremden Haushalten ohne Huldigung des St. Cabeceo auf, was zwar in den Standardtänzen erlaubt und üblich, im Tango jedoch eine Todsünde ist.

Ein bekannter Tango-VIP aus der Metropole hat es wohl aufgegeben, wie früher mit einer Schar von Bewunderern*innen durch die Milongas zu ziehen und dort Ego-Shows zu zelebrieren. Stattdessen predigt er nun im Büßergewand Sitte, Moral sowie kontaktloses Auffordern. Ja, er schließt nicht einmal die Möglichkeit aus, sich aus seiner „Komfortzone“ zu begeben, um unbekannten (oder gar unattraktiven) Tänzerinnen die Gnade eines Tanzes mit dem Maestro zu erweisen.

Ohne Zweifel: Die Lukaschenkos haben es zunehmend auch im Tango schwer!

Nun könnte man sich in der Münchner Szene zwar auch die dort durchaus wohlbekannten Saukerle einmal persönlich zur Brust nehmen, statt auf Facebook sittliche Traktätchen zu veröffentlichen – aber man ist ja schon für kleinste Ansätze dankbar.        

Unbescheiden darf ich darauf verweisen, dass mir durchaus Milongas bekannt sind, wo sich alle Gäste einer respektvollen Aufmerksamkeit erfreuen. Cabeceo, Ronda, Beinhebeverbote und sonstiges Regelungs-Gedöns spielen allerdings dort keine Rolle, dafür aber – man traut es sich ja heute kaum auszusprechen – anständiges und freundliches Benehmen.

Wenn es in München schon drunter und drüber geht, kann die Rettung also durchaus von Pörnbach nahen. Auf unseren zirka 65 Dorf-Milongas gab es ein einziges Mal einen Fall von schlechtem Benehmen. Der Herr wurde umgehend des Hauses verwiesen. So einfach ist das.

Daher nehme ich gerne eine Anregung meines Berliner Tangofreundes Fridolin Lützelschwab auf, der zu meinem betreffenden Artikel schrieb:

„Wolltest Du nicht schon lange mal einen Standardvertrag zum Thema, was erlaubt und vereinbart ist – Dos and Don‘ts im wirklichen Tango – schreiben? Der wäre vor jeder Tanda zu verhandeln und zu unterschreiben... Mit einer Ankreuzliste: Welche Körperteile ja, welche nein... Damit wäre der imaginäre Tangovertrag, hoch transparent und absolut halal/koscher, geschlossen.“

Ja freilich – sehr gerne doch! Auf das Markieren von Körperteilen möchte ich jedoch verzichten. Sieht doch eh jeder…

Daher habe ich mir überlegt, wie denn mein persönlicher Tango-Kodex niedergeschrieben aussähe – Verzeihung, er muss uns ja spanisch vorkommen:

Códice de tango de Gerardo

1.    Mit der Bezahlung des Eintrittspreises erwirbst du die stets widerrufliche Erlaubnis, auf einem Tangotanzabend in der angekündigten Zeit anwesend zu sein. Sonst gar nix. Insbesondere werden Glück in der Liebe, tänzerische Ausnahmeerlebnisse sowie Aufbrezelung deiner verknüllten Persönlichkeit ausdrücklich nicht zugesagt, da diese Dinge unbezahlbar, vielleicht sogar unmöglich sind.

2.    Eine Milonga ist ein Ort, an dem sich Menschen treffen, um Tango zu tanzen. Andere Beschäftigungen wie lautes Gegacker, Verkündung von Expertenweisheiten, Plünderung des Büfetts sowie Seelengespräche möchtest du bitte unterlassen beziehungsweise so diskret wie möglich gestalten.

3.    Grundsätzlich erlaubt, ja erwünscht ist es, andere Personen des gleichen oder anderen respektive diversen Geschlechts um einen Tanz zu bitten. Wie du dies gestaltest, ist deine freie Entscheidung, so lange du dich eines freundlichen, respektvollen Verhaltens befleißigst.

4.    Ebenso ist es der persönliche Entschluss jedes oder jeder Gefragten, mit dir zu tanzen oder deine Aufforderung höflich abzulehnen. Auf eine Begründung hast du nicht den mindesten Anspruch. Nachfragen oder gar Insistieren beweist, dass du beim Tango völlig falsch bist. Geh also lieber selber, bevor man dich rauswirft!

5.    Personen, welche ausschließlich mit bestimmten Edel-Partnern tanzen wollen, haben Sinn und Zweck einer Milonga ebenfalls nicht verstanden (Ausnahme: Schutz vor Corona-Infektionen). Die Betreffenden werden daher gebeten, ausschließlich Veranstaltungen zu besuchen, welche ihren hehren Ansprüchen genügen.

6.    Auch im Tango gilt das grundgesetzlich geschützte Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Wenn du im Zweifel bist, welche Körperteile eines anderen Menschen du nach den gesellschaftlichen Konventionen anfassen darfst, frag nochmal bei Mutti nach. Die hat es dir doch schon im Kindergarten so schön erklärt!

7.    Dies gilt selbstverständlich auch für die psychische Unversehrtheit deiner Partner. Gerade für Männer der Tipp: Erinnere dich einfach daran, was du im Unterricht zu deiner Lehrerin sagen durftest – oder der Personalchefin beim Vorstellungsgespräch.

8.    Jeder Mensch darf, selbst beim Tango, seine persönlichen Grenzen selber definieren. Dabei gilt: Nein heißt nein. Weitere Debatten bedeuten nur, dass du nicht bereit bist, rote Linien zu respektieren. Dann musst du leider draußen bleiben.

9.    Daher hast du auch als Führender nicht den mindesten Anspruch darauf, dass die (oder der) Folgende das tanzt, was du dir vorstellst. Geh darauf ein, was du als Reaktion bekommst, oder tanze mit jemand anderem. Dominanzgebaren ist der Tod des Tango!

10. Dies gilt generell für die Bewegung auf dem Parkett. Du bist nicht der Ronda-Ordnungshüter. Wie andere tanzen, geht dich einen Schmarren an. Lerne auszuweichen oder such dir ein anderes Hobby.

11. Tango ist nicht das Metier, sich mit Begriffen wie „erlaubt“, „verboten“, „richtig“ oder „falsch“ wichtig zu machen, sondern stellt einen höchst individuellen Improvisationstanz dar. Bewege dich, wie du willst, solange dein Partner das akzeptiert und du niemanden behinderst oder rempelst.

12. Das gilt auch für die Musik: Der DJ allein entscheidet, was er auflegt. Du hast dir mit deinen lumpigen paar Euro Eintrittsgeld nicht den mindesten Anspruch erworben, hier Forderungen zu stellen.

13. Wenn du als Veranstalter Spaß haben möchtest, besuche eine andere Milonga! Auf deiner eigenen erwartet dich lediglich viel sowie schlecht bezahlte Arbeit: Du hast dich um deine Gäste zu kümmern, Probleme frühzeitig zu erkennen und Abhilfe zu schaffen. Wenn auf deinem Event gerade weibliche Gäste lange herumsitzen oder sonst wie schlecht behandelt werden, ist klar: Du kannst deinen Job nicht.

14. Eine Milonga ist nicht der Ort, Überheblichkeiten zu zelebrieren, Tangokämpfe auszutragen oder andere zu belehren. Wenn du dies anstrebst: Mach ein Tango-Blog auf!

Juristische Belehrung:

Wer Tango nachmacht oder verfälscht oder nachgemachten oder verfälschten sich verschafft und in Verkehr bringt, wird mit Milonga-Ausschluss nicht unter zwei Jahren bestraft! 

alter Geldschein-Aufdruck (gemeinfrei)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Bargeld_der_Deutschen_Mark#/media/Datei:DM-Straftext-Freiheitsstrafe.jpg

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