Schwarz-Weiß-Rot
In
meinem Artikel zu den Berliner Demonstrationen
am Wochenende schrieb ich:
„Auf die Entscheidung der Gerichte darf man
gespannt sein. Möglicherweise wird man die Demonstration unter vielen Auflagen zulassen, welche dann aber
vorhersehbar kaum eingehalten werden.
Also landet der Schwarze Peter bei
der Polizei, welche in der Folge per
samstägliche Überstunden das Ganze wieder auseinandertreiben soll, was
wahrscheinlich nur ansatzweise gelingen wird – siehe: „Deeskalation“ und „Verhältnismäßigkeit“...
Und die Drahtzieher haben den Staat wieder mal am Nasenring durch die Manege geführt…“
Ich
hätte mich wirklich gerne geirrt – aber nun hat die Welt die Bilder, die wir nicht brauchen:
Rechtsradikale mit schwarz-weiß-roten
Fahnen auf den Stufen des Berliner Reichstags. Ganze drei Polizisten
stellten sich mutig dem Mob entgegen.
Vermutlich
wissen viele nur andeutungsweise, was Fahnen mit diesen Farben konkret bedeuten. Ich bin zwar kein Historiker, aber
man kann das ja recherchieren:
Schwarz-Weiß-Rot war von 1867 bis
1871 die Flagge für Kriegsschiffe und Handelsschiffe des Norddeutschen Bundes, von 1871 bis 1919 die Flagge des Deutschen Reiches (Kaiserreich, ab 1892
offizielle Nationalflagge) und von 1933 bis 1935 übergangsweise zusätzlich die
Flagge des Dritten Reichs, ehe die Hakenkreuzflagge als alleinige
Nationalfahne eingeführt wurde.
Unter
Führung des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck wurde, nach der Auflösung des Deutschen Bundes 1866,
aus 22 norddeutschen Staaten der Norddeutsche
Bund gebildet. Nach dem Beitritt der Südstaaten wurde das Land 1871 in „Deutsches Reich“ umbenannt.
Nach
dem Sieg über Frankreich in diesem Jahr wurden diese Farben zum Symbol eines
erstarkenden Nationalismus – bis hin
zum 1. Weltkrieg, in den die
Monarchie unter Wilhelm II. das
Deutsche Reich trieb.
Während
der Weimarer Republik wurde diese „Reichsflagge“
von Monarchisten und anderen Rechten verwendet, welche den neuen
Staat ablehnten. Auch in militärischen
Kreisen wurden diese Farben – teils verbotswidrig – weiterhin verwendet.
Man
darf sich das Kaiserreich nicht als Demokratie heutigen Zuschnitts
vorstellen. Der vom Kaiser ernannte Reichskanzler war nur ihm und nicht etwa
dem Reichstag verantwortlich. Ersterer ernannte auch die „Staatssekretäre“ der
einzelnen Ressorts – stark überrepräsentiert waren Adelige.
Es
herrschte auch ein starker Antisemitismus
– Juden in höheren Staatsämtern oder als Richter gab es nur wenige, und von der
damals sehr begehrten Offizierslaufbahn
waren sie ganz ausgeschlossen. Wir können uns diese Zeit als Obrigkeitsstaat vorstellen, in dem Bürokratie, Aristokratie und vor allem das Militär
das Sagen hatten und die nationale
Verblendung wuchs.
Ergänzt
wurde dieses System durch eine wachsende Kolonialpolitik
– nach England und Frankreich war Deutschland die drittstärkste Kolonialmacht. Es
herrschte beispielsweise in Togo, Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Kenia und auf
zahlreichen Südseeinseln.
Bürgerliche Freiheiten waren – zumal für
die Arbeiter und kritische Intellektuelle – stark eingeschränkt. Zwar schaffte das 1874 beschlossene Pressegesetz formal die Zensur ab, jedoch musste von jeder
Ausgabe ein Exemplar der zuständigen Polizeibehörde vorgelegt werden. Gerade
bei Kritik an der Obrigkeit oder gar „Majestätsbeleidigung“
wurden die Strafgesetze sehr einseitig und streng ausgelegt.
Die
stärkste Einschränkung bedeutete das Sozialistengesetz,
das die Betätigung der Sozialdemokraten
in der Zeit von 1878 bis 1890 größtenteils verbot. Etwa 800 Politiker wurden als
„Agitatoren“ ausgewiesen, zirka 1500
erhielten teils längere Haftstrafen.
Eine öffentliche Parteiarbeit war verboten, lediglich die sozialdemokratischen
Reichstagsabgeordneten waren durch Immunität geschützt bzw. konnten als
Privatpersonen kandidieren.
Im
„Leipziger Hochverratsprozess“
wurden die Reichstagsabgeordneten August
Bebel und Wilhelm Liebknecht 1872 zu
zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Der Grund: Bei der Abstimmung über die
Kriegskredite im deutsch-französischen Krieg legten sie einen Friedensantrag vor.
Da
die Verbote letztlich zu einem starken Stimmenzuwachs
für die Sozialdemokraten führte,
wurden die Sozialistengesetze 1890 aufgehoben, der Kaiser entließ den
Reichskanzler Otto von Bismarck.
Warum
man heute überhaupt Fahnen aus einer Zeit
schwenken muss, die durch Aristokratie,
Militarismus und Obrigkeitsdenken geprägt
war, ist mir völlig unbegreiflich.
Das
Berliner Reichstagsgebäude wurde
1894 fertiggestellt. Dort tagten der Reichstag des Kaiserreiches und auch das
Parlament der Weimarer Republik. Das
Gebäude brannte in der Nacht zum 28.2.1933 ab – möglicherweise von den Nazis
selber angesteckt. Die angeblich kommunistische Brandstiftung führte noch am selben Tag zu einer Notverordnung, welche die Grundrechte der Weimarer Verfassung
aufhob und den Weg freimachte für die legalisierte
Verfolgung der politischen Gegner durch Polizei und SA.
Ersatzweise
tagten die noch nicht geflohenen oder verhafteten Abgeordneten im Gebäude der Kroll-Oper, wo am 24.3.1933 die
Diktatur durch das Ermächtigungsgesetz
vollendet wurde. Lediglich die verbliebenen 94 Abgeordneten der SPD stimmten – vor einer Hakenkreuzfahne
und umstellt von SA und SS – gegen die Abschaffung der Demokratie.
In
seiner legendären Rede rettete der
Fraktionsvorsitzende Otto Wels die
Ehre eines besseren Deutschlands:
„Wir deutschen
Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den
Grundsätzen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit, der Freiheit und des
Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und
unzerstörbar sind, zu vernichten. […]
Wir grüßen die
Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre
Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre
ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Erm%C3%A4chtigungsgesetz_vom_24._M%C3%A4rz_1933Otto Wels (1873-1939) |
Bis
1935 war die schwarz-weiß-rote Fahne,
neben der mit dem Hakenkreuz, das offizielle Emblem des Deutschen
Reiches. Wenn ich mir die Fratzen der „Erstürmer“ des Reichstagsgebäudes von 2020 ansehe, weiß ich: Es sind zwar nicht
dieselben wie 1933, aber die gleichen.
Ganze
drei Polizisten haben sich ihnen
zunächst entgegengestellt. Ob die sich als Helden fühlen? Wahrscheinlich nicht –
sie werden wohl sagen, sie hätten nur ihre Pflicht
getan.
Aber vielleicht ist
das ja in solchen Situationen gerade eine Heldentat.
Danke für diese kompakte Übersicht!
AntwortenLöschenBitte, gerne!
LöschenIch glaube, über das Kaiserreich ab 1871 wissen die meisten viel weniger als über die Nazizeit.
Vielleicht helfen bei manchen ja diese historischen Tatsachen.
Einige Troll-Beiträge unter verschiedenen Fake-Urheberangaben habe ich nicht veröffentlicht.
AntwortenLöschenWenn ich so einen Blödsinn schriebe, müsste ich auch ständig meinen Namen wechseln.
Danke für den Beitrag.
AntwortenLöschenIch hätte noch eine kleine Ergänzung:
Auch wenn die SWR Flagge unter den Nazis durch die Hakenkreuzflagge abgelöst wurde, so blieben doch die Farben bewusst erhalten. Darum sieht die Hakenkreuzflagge so aus, wie die aussieht.
Die SWR Flagge ist die Einzige nicht verbotene Flagge in Deutschland mit der rechtsextremes Gedankengut frei ausgedrückt werden kann. Daher kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass jeder, der diese Flagge in welcher Weise auch immer unterstützt auch rechtsextremes Gedankengut unterstützt.
Vielen Dank für die Ergänzung!
LöschenIch hatte bei der Recherche auch gelesen, dass die Farbwahl bei der Hakenkreuzflagge nicht zufällig war.
Und ich möchte nicht wissen, wie viele die schwenken würden, wenn es nicht strafbar wäre.