Dialog mit Tartuffe

In meiner Berufszeit habe ich meine Frau öfters bei Schultheater-Aufführungen unterstützt. Unter anderem bearbeitete ich einmal die Textfassung der Molière-Komödie „Tartuffe“. Benannt ist sie nach einem Schwindler, welcher unter dem Deckmantel besonderer Frömmigkeit eine bürgerliche Familie beinahe ins Unglück stürzt. Seine Kritik an religiöser Heuchelei bereitete dem französischen Dichter große Probleme: Die ersten beiden Fassungen wurden verboten, erst die dritte – deutlich entschärft – fand 1669 die Gnade von Ludwig XIV.

Die Geschichte fiel mir jetzt wieder ein, als ich ins Gespräch mit Matthias Möbius kam – seines Zeichens Chef der Firma „Danza y Movimiento“ und Vorsitzender der Partei „Die Meditierer“.

Durch einen Leser wurde ich auf deren Website aufmerksam, auf der Möbius neben anderen Texten den Artikel „Corona – wo bleibt der Dialog?“ veröffentlicht hatte. Darin beklagt sich der Autor darüber, dass die Corona-Krise zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt habe. Es sei ihm wichtig, „mit Andersdenkenden im Dialog zu bleiben“.

Da fühlte ich mich angesprochen: Ich meine, wenn man einander nur noch verteufelt und daher das Gespräch einstellt, kann dies zu nichts Gutem führen. Daher verfasste ich am 23.7.20 einen Offenen Brief an den Verfasser und informierte ihn per Kommentar auf seiner Seite von dieser Tatsache.

Am selben Tag noch reagierte Möbius per Mail an mich. Es entspann sich eine längere Diskussion, wo seine Antwort denn stehen solle. Schon damals war seine Tendenz erkennbar, die Debatte eher auf seiner Webseite halten zu wollen. Ich bot ihm schließlich einen Gastbeitrag auf meinem Blog an, den ich am 28.7.20 veröffentlichte und zu dem ich im Kommentarbereich Stellung nahm. Einen ähnlich lautenden Text veröffentlichte der Autor auf seiner Partei-Seite (meinen natürlich nicht).

Ich stellte am selben Tag einen Kommentar auf der „Meditierer“-Seite ein, in dem ich auf die Veröffentlichung auf meinem Blog sowie meine Stellungnahme dazu verwies. Dieser wurde allerdings bei heute nicht freigeschaltet. Am 5.8.20 erhielt ich dann von Herrn Möbius eine Mail mit der Information, er habe auf meinem Blog zu seinem Gastbeitrag noch einen Kommentar eingestellt. Ich teilte ihm mit, ich würde diesen freischalten, wenn er ebenso mit meinem Kommentar bei ihm verfahre. Darauf behauptete er zunächst, keinen gesehen zu haben. Wo der denn stehe? Nach meiner entsprechenden Auskunft sagte er mir am 5.8.20 zu, diesen freizuschalten. Das ist – wie gesagt – bis heute nicht geschehen.

Ich weiß: Klingt sehr kompliziert. Die Situation ist halt jetzt die: Auf der Seite des Herrn Möbius steht seine Antwort mit dem Schluss: „Gerne höre ich, wozu Ihrerseits weitere Fragen offen sind.“ Danach kommt – wegen der fehlenden Freischaltung – nichts mehr. Der Eindruck: Ich hätte also keine Anmerkungen mehr, sei daher mit den Ausführungen einverstanden – oder wolle zumindest keine weitere Diskussion.

Sorry, aber so haben wir nicht gewettet: Matthias Möbius hat von vornherein die Ansicht verbreitet, als gehe es lediglich um Fragen an ihn, die er mir beantworten solle. Das stimmt natürlich nicht: Vielmehr habe ich zu seinem Artikel einen Gegenposition vertreten, über die man sich kontrovers austauschen könnte. Stattdessen versucht er, innerhalb seiner Meinungsblase den Eindruck zu erwecken, er habe meine Fragen zufriedenstellend beantwortet.

In einer Mail vermutet er nun, ich würde „Spielchen spielen“. Nein, der Herr: Die Spielchen spielen Sie!

Da ich aber auch nicht wieder mal in den Verdacht kommen möchte, Gegenargumente zu unterdrücken, veröffentliche ich hier seinen letzten Beitrag, werde mir aber erlauben, diesen direkt zu kommentieren:

„Sehr geehrter Herr Riedl,

wie gesagt gehe ich gerne an dem Ort weiter auf Ihre Fragen ein, an dem das Thema in die Welt gebracht wurde. Hier mich verabschiedend nur zwei Bemerkungen:

Da Sie offensichtlich nicht weiter auf den Webseiten der Meditierer in die Tiefe vorgedrungen sind, was Ihnen viele Ihrer Fragen beantworten würde, empfehle ich Ihnen gerne die Lektüre des Buches ‚Corona Fehlalarm‘ von Professor Dr. rer. nat. Karina Reiß und Dr. med. Sucharit Bhakdi. Danach werden ebenso die meisten Ihrer Fragen beantwortet sein – von Fachleuten. Das Buch ist einfach und informativ geschrieben und besitzt bei aller Tragik des Themas sogar einen gewissen Unterhaltungswert-..

Eine Bemerkung zum Thema, weshalb ich mich wie Sie es ausdrücken ‚vor den eigenen Keimen in der Maske grause‘. Als Biologe, der Sie doch sind, habe ich Ihre Bemerkung als reine Polemik verstanden. Der Austausch von Viren und Bakterien gehört zum Trainingsprogramm des eigenen Immunsystems. Die eigenen Viren und Bakterien in einem feuchten Klima zu züchten (und wieder einzuatmen) ist gesundheitsschädlich. Ich gehe mal davon aus, dass auch Sie Ihre Wohnung regelmäßig lüften ...

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Möbius“

Zunächst einmal: Das Gezerre, wo man nun was veröffentlichen dürfe, halte ich für abwegig. Ich habe mein Blog für Herrn Möbius geöffnet – er konnte einen Gastbeitrag verfassen. Im Gegenzug wird mein Kommentar dort zurückgehalten. Der Autor will mit mir an dem Ort diskutieren, „an dem das Thema in die Welt gebracht wurde“. Wollen wir uns dann in Wuhan treffen? Und: Ist Meinungs- und Pressefreiheit inzwischen auch bei uns geografisch begrenzt?

Ich habe den Dialog nicht deshalb begonnen, um mir nun Literatur-Empfehlungen abzuholen. Wenn ich jemanden persönlich anspreche, interessieren mich ausschließlich dessen individuelle Argumente – so wie ich auch meine darstelle, anstatt auf Bücher zu verweisen. Und wenn ich mich informiere, dann sicher nicht beim Zehntel-Promille von Wissenschaftlern, die von den derzeit veröffentlichten Ergebnissen und Erkenntnissen krass abweichen.

Und da Herr Möbius schon auf meine biologische Ausbildung anspielt: Mein Studium liegt schon einige Jahrzehnte zurück – das Fachwissen dürfte teilweise überholt sein, wenn ich es nicht eh vergessen habe. Und ich bin garantiert kein Virus-Experte. Das Schöne an einem Hochschulabschluss (und über 35 Jahren Unterricht am Gymnasium) ist aber: Man erkennt zumindest Bullshit auf den ersten Blick.

Was dem Schreiber hier zum Thema Masken einfällt, sollte sich eigentlich bereits durch den Biologie-Unterricht in der Sekundarstufe I erledigt haben. Wenn er die Dinger nicht dick mit Agar bestreicht, haben Bakterien dort (auf Zellulose bzw. Kunststoff) ganz schlechte Vermehrungsbedingungen. Und Viren schon gar nicht, da sie nur auf Zellkulturen wachsen. Körpereinwärts sieht es da für beide viel besser aus. Aber da kommen sie ja her – und sind dem Immunsystem daher längst bekannt.

Abzuraten wären Masken eventuell Rindern beim Wiederkäuen, da diese bei einem Rülpser tatsächlich Zellulose-abbauende Bakterien oder Einzeller ins Filtermaterial befördern könnten. Schaden wird's den Paarhufern dennoch nicht. Daher gebe ich die Empfehlung des Autors, die Wohnung zu lüften, gerne zurück. Vielleicht würden sich dann seine Gedanken etwas aufklaren.

Dennoch bin ich froh über diesen Versuch, mit der anderen Corona-Seite ins Gespräch zu kommen. Und ich möchte nun nicht Herrn Möbius mit allen gleichsetzen, welche die momentanen Einschränkungen skeptisch betrachten. Meine spezielle Erfahrung ist jedoch:

Ein wirklicher, kontroverser Meinungsaustausch ist eher nicht willkommen. Bestenfalls darf man an vorbestimmter Stelle Fragen stellen und sollte sich tunlichst mit den Antworten (so sie überhaupt erfolgen) zufrieden geben. Sonst wird das Gespräch bald eingeschränkt oder verweigert. Offenbar wird eine Debatte nur akzeptiert, wenn sie zur Bekehrung des anderen führen dürfte.

Vielleicht hat David Hugendick doch recht, wenn er auf „Zeit Online“ am 6.8.20 unter dem Titel „Nicht schon wieder zuhören“ schreibt:

„Und es gehört zu dieser Rhetorik (‚Mehr Zuhören!‘, ‚Sorgen und Ängste ernst nehmen‘ und so weiter), jede Abweichung, jede Irritation, jeden Konflikt einer Gesellschaft lediglich zum Produkt verfehlter oder ausgebliebener Kommunikationsprozesse zu erklären, dem man nun mit noch mehr Reden oder noch mehr Zuhören beikommen könne, als seien Menschen nicht auch ein wenig selbst dafür verantwortlich, was sie so denken und von sich geben. Im Fall von Corona könnte man sagen, dass es wohl weniger ein Versagen von Aufklärung ist, als vielmehr ein Erfolg der Gegenaufklärung, die dankbar auf schon vorhandene Ressentiments gefallen ist.“

Nicht nur bei Tartuffe ist der Unterschied zwischen Heiligkeit und Scheinheiligkeit gut zu beobachten. Daran hat sich in den Jahrhunderten wenig verändert. „Wo bleibt der Dialog?“ fragt Herr Möbius in seinem Artikel. Nun, das weiß ich auch nicht so genau. Bei ihm dürfte er jedoch nicht herumliegen.

Und wem Tartuffe nicht mehr ganz geläufig ist:


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