Wie es dem deutschen Humor gerade so geht


Auf den nachfolgend besprochenen Artikel kam ich als regelmäßiger Leser der Facebook-Seite des Kabarettisten Dieter Nuhr. Dort zitierte er gestern aus einem Beitrag von Jens-Christian Rabe in der Süddeutschen Zeitung:

„Die 27-jährige, in Leipzig lebende, in Österreich geborene Lisa Eckhart wiederum, bis vor wenigen Monaten noch mit Preisen bedachter Kabarett-Jungstar, geriet in die Kritik, als vor einiger Zeit Äußerungen von ihr über Harvey Weinstein und Roman Polanski in einer Folge von Nuhrs ARD-Kabarettsendung Mitternachtsspitzen vom September 2018 wieder ausgegraben wurden – Äußerungen, die nur mit Mühe nicht als antisemitisch zu verstehen sind.“  

Nuhrs Kommentar:

„Können die nicht wenigstens so tun, als würden sie die Sendungen, die sie kritisieren, vorher angucken?“

Weiß Gott: Die „Mitternachtsspitzen“ gibt es im WDR seit 1988, es handelt sich somit um die am längsten existierende Kabarettsendung im deutschsprachigen Fernsehen, und sie wird bis heute von Jürgen Becker geleitet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mitternachtsspitzen_(WDR)
Da wir die „Süddeutsche“ ziemlich ebenso lang abonniert haben, konnte ich meine liebe Frau den Artikel gleich zum Frühstück in Papierform lesen lassen. Zu meiner großen Freude hat sie mir gerade einen Gastbeitrag dazu geschickt, den ich sehr gerne veröffentliche:

Karin Law Robinson-Riedl: Zu „Haha!“ (Jens-Christian Rabe) 
(SZ, 14.-16. August 2020, S. 15)

Acht „Ätsch-Fotos“ sollen Jens-Christian Rabes Grundgedanken zum Problem des deutschen Humors verbildlichen, der sich seiner Meinung nach fast ausschließlich in Schadenfreude erschöpfe. Unglücklich gewählte Fotos übrigens, denn die dort gezeigten Menschen mit der entsprechenden Geste sind offensichtlich nicht alle deutschen Ursprungs. Sollte das Phänomen Schadenfreude doch ein allgemein menschliches sein?

Rabe erläutert am Beispiel von Dieter Nuhr und Lisa Eckhart, dass sich die heutigen „Comedians“ dieser beklagenswerten Neigung des Publikums geflissentlich bedienen, indem sie das Wir-Gefühl hätscheln und so die Guten gegenüber den unbelehrbaren, dummen Anderen abgrenzen, um diese „genüsslich zu deklassieren“.

Rabe jedoch scheint kein Wir-Gefühl gegenüber Lisa Eckhart empfinden zu können, deren Bühnenrolle er wie folgt beschreibt: Sie tritt als „aristokratisch-arrogante (…) so strenge wie maliziöse Madame“ auf und „feiert in der ostentativen Wiederholung die allerbilligsten Klischees“.
Wen könnte so eine Figur – noch dazu mit politisch fragwürdigen bis obszönen Textelementen – auf seine Seite ziehen?
So hätte Lisa Eckhart das oben unterstellte Ziel wohl verfehlt.

Hat Dieter Nuhr mit seiner Bühnenrolle vielleicht eher Glück? Aber auch hier müsste doch der Zuschauer erkennen, dass es sich bei ihm – so Rabe – um reine „Anbiederung ans Publikum im Namen eines vermeintlich gesunden Menschenverstandes“ handelt.

Beide fragwürdige Bühnenfiguren können folglich, entgegen Rabes Eingangsthese, gar kein echtes Wir-gegen-die-Anderen-Gefühl erzeugen, weil sich die Zuschauer doch nicht im Ernst mit diesen unechten Kunstfiguren identifizieren wollen!

Rabe mag diese Bühnenfiguren (oder sogar die Personen?) schlicht und einfach nicht.

Neben deren Auftreten bemängelt er ihre Themen: Klischeehaft werde der „gute alte Alltag der Vergangenheit gegen den degenerierten Alltag der Gegenwart ausgespielt“.

Leider aber erkennt man Defizite meist erst im Vergleich. Dies, sollte man meinen, gehört zum Thema „Ambiguitätstoleranz“, die Rabe vermisst. Und wer meint, Eckhart oder Nuhr idealisierten Vergangenes naiv und verdammten gnadenlos die Gegenwart, der hat wirklich nicht genau zugehört.

Dieser Verdacht keimt nicht erst bei der irrtümlichen Behauptung Rabes auf, die „Mitternachtsspitzen“ des WDR seien eine Sendung von Dieter Nuhr (in der Online-Version inzwischen korrigiert).

Bedauerlich ist auch, wie komplett sorglos Rabe die Begriffe Humor, Satire, Comedy, Kabarett usw. in einen Topf wirft.

Lisa Eckhart und Dieter Nuhr sind Kabarettisten, ihre Texte Satire. Wer sich hier gemütlich-humorvolle Lacherlebnisse erwartet, der ist in der falschen Vorstellung!
Freilich wird die bittere Pille der Erkenntnis mit Ironie, mit Witz verpackt, aber Letztere sind Mittel zum Zweck.

Seien wir froh, dass Hader, Polt und Florian Schröder, hervorragende Künstler in ihrer jeweiligen Bühnenrolle, des Autors Ansprüche erfüllen können und in seinen Augen die Ehre des deutschen Kabaretts retten.
Ob aber diese ganz frei davon sind, die Schadenfreude des Publikums zu bedienen, wage ich zu bezweifeln!

Rabes Darstellung ist eine Abrechnung speziell mit Eckhart und Nuhr, deren Art und Herangehensweise an Themen ihm (persönlich) missfallen und nicht eine Auseinandersetzung mit dem „wirklichen Problem des deutschen Humors“.

Der „deutsche Humor“ hat kein Problem, so lange er vielfältig sein darf!

Hier die Online-Version des Artikels in der SZ:

Herzlichen Dank für diesen Gastbeitrag, der – jenseits des peinlichen Schnitzers – den Artikel inhaltlich kritisiert.

Auf Dieter Nuhrs FB-Seite geht es etwas weniger differenziert zu: Da ist von „Bayern-Prawda“ die Rede, und man vermutet, den Artikel könnte „der Praktikant“ verfasst haben.

Nein: Der gelernte Journalist Jens-Christian Rabe arbeitet seit 2007 für das Feuilleton der SZ. Nur: Kabarett und Satire scheinen nicht gerade zu seinen Spezialgebieten zu gehören (eher Literatur und Pop) – sonst wäre ihm weder der Fauxpas mit den „Mitternachtsspitzen“ passiert noch hätte er Humor, Comedy und Satire in einen Topf geworfen.

Aber es besteht ja Hoffnung: In einem Vortrag auf Einladung des Goethe-Instituts im finnischen Tampere forderte er „vielfältigere und intelligentere Kritik“. „Langweiliges Klammern an Tatsachen und festsitzende rechthaberische Einstellungen“ seien die schlimmsten Beispiele gewesen, die er in seiner Ausbildung erlebt habe.

Na ja, sich an Tatsachen zu orientieren kann manchmal hilfreich, ja sogar aufregend sein!

Kommentare

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