Männliche Gewalt, Parfüm und Cabeceo
Mit
großen Worten kündigt der Münchner
Tanzschulbesitzer Oliver Fleidl in
der Facebook-Gruppe „Tango München“ (wo sonst?) ein hehres Thema an:
„Jetzt ist ja die
Zeit zur inneren Einkehr und Reflektion. Ein wichtiges Thema, dass für mich
ehrlich schwer auszuhalten ist. Aber männliche Gewalt ist Alltag für Frauen und
der Tango bildet da keine Ausnahme.“
Vorsichtshalber
schränkt Fleidl jedoch die Schuldbemessung
gleich ein:
„Ich unterstelle den
meisten Männern, dass es eher Unachtsamkeit ist. Die meisten Männer tun das
nicht vorsätzlich. Ebenso ‚stellen‘ sich die meisten Frauen ‚nicht an‘. Jede*r
von uns kennt die Gruselgeschichten und wir alle wissen, dass der Tango eine
Schlangengrube sein kann.“
Das
mit dem Terrarium stimmt sicherlich – ein Grund, warum ich den Münchner Tango
seit Jahren meide. Nur: War es nicht die Schlange,
welche Eva auf die blöde Idee brachte, Adam zum Veganer zu machen? Stellte die Fleischeslust sich völlig ein, würden Menschheit sowie Tango aussterben. Nicht alle halten das für einen Fehler...
Auf
jedem Fall schmettert Apostel Oliver der
versammelten Tangogemeinde zwei Fragen
entgegen:
„Männer, Hand aufs
Herz. Wo erkennt ihr Euch wieder und wo seid ihr ganz ehrlich anderer Meinung?“
(Zur Sicherheit darf ich hinzufügen: Gemeint ist die eigene Hand aufs eigene Herz!)
„Frauen, ist die
Liste übertrieben? Oder fehlt was? Welche Erlebnisse könnten uns Männern die
Augen öffnen?“
Trompetenfanfare Ende. Na,
da kann man sich als Satiriker auf eine reichhaltige
Sammlung freuen! Wobei: Erlebnisse, die uns Männern die Augen öffnen, haben
häufig was mit Sex zu tun…
Nein,
es geht ja um eine Aufzählung, für die Tabea
Schwirblat und MFT Movimiento
Feminista de Tango verantwortlich zeichnen und die Fleidl mit abgebildet
hat. Unter der eindrucksvollen Überschrift „Gewalt
im Tango“ erfahren wir dann im Kleingedruckten:
„Frauen, die
regelmäßig an Milongas teilnehmen, berichten von verschiedenen Arten von
Gewalt, welche sich während des Tanzens abspielen.“
Ich
fürchte nur, die regelmäßige Teilnahme an Milongas ist für Frauen hierzu keineswegs
nötig, nicht einmal das Tanzen. Sie können auch zu Hause bleiben. Dort erledigt das dann zuverlässig der (Ex)Partner im „Home Office“. Hier eine
Statistik zur „Partnerschaftsgewalt 2018“
des Bundeskriminalamtes, herausgegeben vom Bundesfamilienministerium:
„2018 wurden laut der
BKA-Statistik insgesamt 140.755 Personen (Vorjahr: 138.893) Opfer versuchter
und vollendeter Gewalt (Mord und Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung,
sexuelle Nötigung, sexuelle Übergriffe, Bedrohung, Stalking, Nötigung,
Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution) - 81,3% davon sind
Frauen, 18,7% Männer. Somit waren insgesamt 114.393 (2017: 113.965) Frauen und
26.362 Männer (2017: 24.928) von Partnerschaftsgewalt betroffen.
Bei Vergewaltigung,
sexuellen Übergriffen und sexueller Nötigung in Partnerschaften sind die Opfer
zu 98,4% weiblich, bei Bedrohung, Stalking, Nötigung in der Partnerschaft sind
es 88,5%. Bei vorsätzlicher, einfacher Körperverletzung sind es 79,9%, bei Mord
und Totschlag in Paarbeziehungen sind 77% der Opfer Frauen.
Die Statistik
beinhaltet noch weitere alarmierende Zahlen: 122 Frauen wurden 2018 durch
Partnerschaftsgewalt getötet (durch Mord, Totschlag und Körperverletzung mit
Todesfolge; 2017: 147). Das bedeutet: an jedem dritten Tag. Mehr als ein Mal
pro Stunde wird statistisch gesehen eine Frau durch ihren Partner gefährlich
körperlich verletzt.“
Die
Liste, welche Oliver Fleidl
veröffentlicht, nennt aber weitgehend andere Tatbestände:
Unter
der Rubrik „physische Gewalt“ geht es unter anderem um „schroffe Bewegungen aufzwingen“, „Tritte“
und „erdrückende Umarmungen“.
Als
Beispiele „sexueller Gewalt“ werden aufgeführt: „Anfassen jeglicher Körperteile, die nichts mit der Umarmung zu tun
haben“ oder „Bedrängen, Insistieren,
mehr wollen als nur Tanzen ohne dein Einverständnis“.
Dann
gibt es noch „psychologische Gewalt“, was nicht bedeutet, sich aufs Sofa
legen zu müssen, sondern: „Beleidigen, Demütigen,
Ausgrenzen, Eifersucht, Überwachen“.
Ach
ja, und dann noch „symbolische Gewalt“ wie anzügliche Witze, Unterrichten während
des Tanzens und „Auffordern ohne
Blickkontakt“.
Womit
wir wieder bei der schönsten Cabeceo-Debatte
wären, zu der Oliver Fleidl allen Ernstes feststellt:
„Ich
persönlich glaube, dass im Tango eine verbale Aufforderung klare Nötigung ist,
weil viele Männer es einfach nicht wahr haben wollen, dass eine bestimmte Dame
nicht mit ihnen tanzen will. Und das ist dann maximal übergriffig. Mag nicht
für alle Männer gelten, ist aber meine Beobachtung.“
Ich hatte ja neulich den Verdacht
geäußert, der Münchner Tanzschulbesitzer könnte Vernunft annehmen. Glücklicherweise ist das nicht wirklich zu
befürchten.
Nein, lieber Oliver, zur Nötigung gehört schon mehr:
StGB § 240: Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem
empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die
Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
Ich weiß schon was jetzt kommen dürfte: Nein, so
direkt juristisch habe man das ja
nicht gemeint. Sorry, aber dann muss man es halt anders nennen…
Auf jeden Fall bietet diese Auflistung fetten Debattierstoff. Wer mag, darf
sich gerne durch die über hundert Kommentare kämpfen: Da ist alles dabei, von
Körpergeruch, schlechtem Parfüm über bekiffte Tänzer bis zu erigierten
Geschlechtsteilen. Oder, wie Meister Tucholsky es einst genannt hat: „Beethoven, Erotik
und Stachelbeerkompott“.
Mit
Verlaub, diese Liste ist eine bunte
Mixtur von Straftatbeständen, unpassendem Benehmen, ungeschicktem Verhalten
und purem Mumpitz. Und das unter dem reißerischen Titel „Gewalt“. Was man wirklich darunter versteht, hat das
Bundeskriminalamt in der obigen Statistik gut umrissen.
Damit
kein Zweifel bleibt:
Wer
eine Frau an gesellschaftlich verpönten Stellen antatscht, weiß – im Gegensatz
zu Oliver Fleidl – genau, was er tut.
Die Mär von „unabsichtlicher Berührung“
ist eine. Und das kann richtig böse enden:
StGB § 184i: Sexuelle Belästigung
(1) Wer eine andere
Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn
nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe
bedroht ist.
Fast
alles andere, was diese tolle Liste aufführt, rangiert für mich zwischen ungeschicktem und saudämlichem Benehmen.
Das
bleibt gerade bei einem so komplizierten Tun wie dem Gesellschaftstanz kaum aus. Aber klar: Dagegen darf und soll man
sich wehren.
Am
einfachsten dadurch, solche Veranstaltungen nicht zu besuchen. Ich bin mir sicher: Die Veranstalter würden sich bei deutlichem Publikumsrückgang endlich einmal um das kümmern, was ich für essenziell halte – Leute fernhalten, denen es nicht um Tango, sondern nur um Anbaggern oder Dominanzgebaren geht. Aus meinen früheren Münchner Tangozeiten weiß
ich, dass manche Milongas allgemein als Jagdrevier
von Sexualneurotikern bekannt waren. Das wissen auch die Frauen nach
spätestens einem Abend und rennen dennoch in Scharen immer wieder hin. Toll!
Andere
Tangotreffs werden dagegen gemieden, weil da ja „nichts los“ ist. Nicht
mal ein sexueller Übergriff…
Und
ansonsten, meine Damen: Wenn ihr euch auf einer Milonga unziemlich behandelt fühlt – sprecht es offen aus, falls ihr meint,
euer Gegenüber sei durch Worte noch erreichbar. Vieles lässt sich in einem offenen Gespräch klären. Wenn
nicht: Tanzt nicht mehr mit solchen Typen oder redet schlimmstenfalls mit dem
Veranstalter. Und sollte auf einer Milonga mal die Polizei auftauchen, um die Personalien eines Hintern-Betatschers aufzunehmen, wäre eher Ruhe, als wenn man auf Facebook moralische Traktätchen postet..
Aber
glaubt bitte nicht, die Männer würden euch die Emanzipation auf dem Silbertablett hinterhertragen. Darum müsst ihr
euch schon selber kümmern. Und habt keine Angst, niemand würde mehr mit euch
tanzen, weil ihr offen eure Grenzen ansprecht. Ich sage da aus persönlicher
Erfahrung: Fake News!
Und
noch zur biologischen Information: Der Mensch gehört zu den Säugetieren. Die riechen alle
irgendwie.
Was
ich aber schrecklich finde: Das wirklich wichtige Thema „sexuell motivierte Gewalt“ mit solchem Killefitz ins Banale bis
Lächerliche zu ziehen. Das ist für Frauen kontraproduktiv. Sicherlich hat Oliver Fleidl ein wichtiges Thema angesprochen, nur: Gut gedacht ist halt nicht immer gut gemacht.
Abschließend den hehren Kämpfern für das kontaktlose
Auffordern: Dank Corona ist das
Tanzen mit vielen Partner ja für längere Zeit hoch riskant. Aber nicht wegen Versündigung gegen
den Cabeceo. Dass man jetzt keine anderen Probleme hat als über Rituale zu streiten, lässt tief blicken.
Manchmal glaube ich,
diese Szene hat das Virus redlich verdient.
(Sorry, das hätte jetzt wohl Lisa Eckhart gesagt...)
(Sorry, das hätte jetzt wohl Lisa Eckhart gesagt...)
Quelle: https://www.facebook.com/groups/tangomuenchen/permalink/10157470517981186/
Nun haben sich in der besprochenen FB-Diskussion zwei Damen zu Wort gemeldet, welche von gar drastischen bzw. häufigen männlichen Belästigungen berichten:
AntwortenLöschenDie eine Tänzerin kriegt offenbar die Typen kaum von der Pelle, die andere berichtet sogar von mehreren erigierten Penissen, welche sich beim Tanz schon an ihr gerieben hätten (also hintereinander, nehme ich an).
Nun weiß ich aus eigener Erfahrung, dass die beiden sich ziemlich drastisch gegen Männer wehren können, die auch nur Artikel schreiben, die ihnen nicht passen. Wieviel mehr müsste es ihnen doch bei wirklichen sexuellen Belästigungen gelingen!
Ich will niemandem etwas persönlich unterstellen – nur kenne ich gewisse Männer, die sich fortwährend rühmen, die „Miezen“ seine alle scharf auf sie. Ich hoffe daher, keine Konkurrentin fühlt sich nun abgewertet, wenn sie nicht im selben Maße geschlechtlich attackiert wurde…
Am (vorläufigen) Ende der Debatte hat Oliver Fleidl nun einen längeren Text angefügt, der von etlichen interessanten Einsichten geprägt ist.
AntwortenLöschenIch stimme ihm völlig zu, wenn er fordert, man dürfe bei sexuellen Belästigungen nicht wegschauen und die Frauen allein lassen. Vor allem aber:
„Wenn die Vernünftigen, Anständigen, auch viele Frauen, sich öfter aus der Komfortzone begeben würden und mehr mit unbekannten/weniger bekannten Tänzer*innen tanzen würden, hätten die Arschkrampen keine Chance. Weil frau sich nicht den berockten Hintern platt sitzen und froh sein muss, wenn überhaupt mal eine Aufforderung kommt.“
Tja, fordere ich seit vielen Jahren. Wenn das nun sogar in München angekommen sein sollte, würde es mich freuen. Nur frage ich mich halt beispielsweise: Warum muss der Hintern unbedingt berockt sein?
Man feiert ja auf den Milongas, um die es im Wesentlichen geht, die fröhlichen Urständ der 1940-er Jahre. Daher führt im Tango nicht nur der Mann, sondern bestimmt auch ansonsten die Regeln. Tänzerinnen, die sich nicht in das Schema „Röckchen und Highheels“ (Ausschnitt gerne inklusive) pressen lassen wollen, gelten als „Emanze“ und werden auf „traditionellen“ Milongas schlicht nicht aufgefordert.
Apropos - eine Tänzerin schreibt in der Debatte: „Und als Follower ist man (Frau) nun mal darauf angewiesen, aufgefordert zu werden.“ Nur: „Nun mal“ gilt da gar nichts – es sind die Männer, die sich mit einer unglaublichen Ignoranz dagegen wehren, dass auch Frauen auffordern dürfen – und zwar so, wie sie wollen (Nettigkeit vorausgesetzt).
Jahrelang hat man die Werbetrommel gerührt für den Rücksturz des Tango in die südamerikanischen Machozeiten der 40-er Jahre, „wo der Mann noch Mann sein durfte“, hat das Aneinanderpappen beim Tango zur Pflichtübung erklärt. Und dann wundert man sich, welches männliche Gesocks dies teilweise auf die Milongas zieht?
Übrigens hilft nach meinen Erfahrungen auch moderne, schwierigere Tangomusik. Dann kommen nämlich fast nur Männer, denen es wirklich ums Tanzen geht.
So lange man nicht den Mut hat, hier einmal umfassend die Sinnfrage zu stellen, kommt man nicht weiter. Aber ich werde mich auf diese Diskussion dort nicht einlassen. Oliver Fleidl predigt grad so schön, da will ich nicht stören – und viele werden mein Blog eh kennen und hier mitlesen.
Aber: Frauen machen solche Belästigungs-Erfahrungen in allen Lebensbereichen – ob nun im Beruf oder der Freizeit. Noch mehr erleben sie ständig Männer, die ihnen die Welt erklären. Daher bin ich immer wieder froh, für mein Blog weibliche Gastautoren gewinnen zu können.
Nur: Richtig gefährlich wird es für Frauen nicht beim Tango, sondern zu Hause bzw. im privaten Umfeld. Dort werden die meisten abgemurkst – in Deutschland zirka jeden dritten Tag eine.