Der Aufmarsch der Covidioten


„Das Ende der Pandemie - Tag der Freiheit": Unter diesem Motto demonstrierten gestern in Berlin etwa 20000 Teilnehmer (nach Veranstalter-Angaben 1,3 Millionen) für ihr vermeintliches Recht, andere mit dem Corona-Virus zu infizieren. Der Titel war sinnig gewählt: „Tag der Freiheit" hieß auch ein Propagandafilm der Nazi-Ikone Leni Riefenstahl über den Parteitag der NSDAP 1935. Und Freiheiten gab es ja damals massenhaft:

Aufgerufen zur Ansteckungs-Fete hatte die Initiative „Querdenken 711“ des schwäbischen Unternehmers Michael Ballweg. Auf der Seite der neuen Bewegung wird versichert:

„Wir sind gegen Extremismus, Gewalt, Diskriminierung und Fanatismus. Für Demokratie, Frieden, Menschlichkeit, Freiheit, Respekt und Liebe!“

Mit Interviews für die klassischen Medien hat es Ballweg aber nicht so – stattdessen fordert er, Journalisten hätten auf seinen Kundgebungen unterschriebene Erklärungen mit der Verpflichtung mitzubringen, „wahrheitsgemäß, unparteiisch und vollständig zu berichten". Mit solchen Aktionen handelte er sich bereits eine Rüge vom Deutschen Presserat ein. Tja, für die gute Sache darf man Grundrechte schon mal einschränken…   
  
Sein Pressesprecher Stephan Bergmann hat wiederholt rassistische Videos gepostet – so der Berliner „Tagesspiegel“, dem Screenshots von über 30 solcher Beispiele vorliegen. Darin wird vor der „Vermischung der Rassen" und der Züchtung einer „hellbraunen Rasse in Europa“ gewarnt. Durch die Vermischung solle der Intelligenzquotient der weißen Bevölkerung gedrückt werden. Ich kenne da noch andere Möglichkeiten...

Im früheren Leben war Bergmann „Trance-Coach, Trommelbauer, Sonnentänzer sowie Gründer eines ‚Vereins für indianische Lebensweisen‘.“
Zitat: „Scheiss auf das Abstandsgebot!“  

Mit dabei ist auch der Verschwörungstheoretiker Heiko Schrang, der sich weigert, Rundfunkgebühren zu zahlen und dazu auch ein Buch verfasst hat („Die GEZ-Lüge“). Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Potsdam, welches er verlor, bezeichnete er als „GEZ-Mafia Prozess“.

Der Autor Thorsten Schulte war vergangenen Monat noch Redner bei Pegida, warnte dort vor einem multikulturellen Europa und vor Masseneinwanderung unter jüdischem Einfluss.

Die Werbetrommel rührt auch das rechtsextreme Magazin „Compact“ von Jürgen Elsässer, das der Verfassungsschutz als Verdachtsfall einstuft. Es gilt als Sprachrohr für AfD und Pegida.

Und natürlich darf auch die neue Partei „Widerstand 2020“ des HNO-Arztes Bodo Schiffmann nicht fehlen. Über dieses besondere Völkchen habe ich schon einmal berichtet:

Es gäbe noch etliche Köpfe der Bewegung zu recherchieren – aber ich mache hier Schluss: Erstens ist der Begriff „Köpfe“ stark übertrieben, und zweitens ist mir schon übel genug.

Um gleich den üblichen Vorhaltungen zu begegnen: Klar läuft auf diesen Veranstaltungen auch die sprichwörtliche Oma mit, die keine Maske mehr tragen und wieder öfter von ihrer Familie besucht werden möchte. Ebenso klar ist aber auch: Gesteuert wird das Ganze von politisch höchst verdächtigen Figuren. Das Konglomerat von Weltverbesserern, Spinnern, Traumtänzern und Extremisten ist nicht nur medizinisch hoch gefährlich.

Und zwar gerade deshalb, weil es eigentlich keine wirklichen politischen Ziele oder gar Programme gibt, auf welche sich auch nur größere Teile dieses kruden Gemenges einigen könnten. Verbunden fühlt man sich lediglich in der Einstellung:

Der Staat kann mich mal!

Irgendwelche Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit werden schonungslos bestritten. Letztlich sind es verhetzte Kleinbürger, die ihre ansonsten ziemlich bedeutungslose bis verkrachte Existenz nun mit dem Robin Hood-Anspruch krönen, den bedingungslosen Rebellen zu geben.

Natürlich mit sozialer Absicherung: Sollte gestern dem einen oder anderen „Freiheitskämpfer“ in der Hitze der Kreislauf zusammengebrochen sein, hat er sicher erwartet, binnen weniger Minuten von einem Sanitäter betreut zu werden, auf dass es ihm wieder besser gehe. Und sollte bei ihm doch noch Corona ausbrechen, wird er auf ein reserviertes Bett in der Intensivstation pochen.

Diese Hilfe erfordert natürlich Menschen, denen das Schicksal anderer nicht am Gesäß vorbeigeht. Und leider ist die Erwartung auf Zuwendung dennoch berechtigt – der berühmte erste Artikel unseres Grundgesetzes sagt es unmissverständlich:

Die Wahrung der Menschenwürde gilt auch für Vollidioten.

Apropos – für diejenigen, welche ständig von der „Einschränkung der Grundrechte“ faseln und offenbar den Sozialkunde-Unterricht zugunsten des Kiffens im Park geschwänzt haben:

Es gehört zur Natur von Grundrechten, eingeschränkt zu sein, da sie oft miteinander konkurrieren. Schon längst vor Corona war die Freizügigkeit eines Bankräubers durch das Eigentumsrecht des Kreditinstituts begrenzt. Oder eben jetzt die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die sich nicht auf Virus-Übertragungen erstreckt.

Und klar, jeder kann doch die Meinung vertreten, die Hygiene- und Abstandsregeln seien unsinnig. Und er darf diese auch propagieren, indem er beispielsweise dafür öffentlich demonstriert. Allerdings muss er sich dennoch an die Bestimmungen halten, welche in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen zum Schutz aller gelten. Alles andere ist schlicht asozial: Man kann sich Rechte oder Pflichten nicht nach Gusto aussuchen.

Süß finde ich in dem Zusammenhang das Verhalten der Berliner Polizei: Während man bei linken Protesten schon gerne mal die Wasserwerfer auffahren lässt, durfte man die Beamten gestern als soziale Krisenmanager bewundern, die statt des Schlagstocks lediglich den Zeigefinger erhoben. Das dürfte Nachahmer nicht gerade abschrecken.

Aber schließlich liegt es an uns allen, mit diesem Wahnsinn umzugehen. Ich habe schon einmal vorgeschlagen, die Damen und Herren Corona-Verharmloser und -Leugner mögen doch eine Erklärung unterschreiben, beim Auftreten dieser Infektion keine schulmedizinische Behandlung zu wollen. Leider kollidiert das mit dem Artikel 1 unserer Verfassung.

Was bleibt also? Neben saftigen Strafen vor allem die soziale Ächtung. Für meinen Teil werde ich gerne weiterhin mit den Skeptikern diskutieren, sie allerdings fragen, ob sie gestern in Berlin an diesem Pöbel-Aufmarsch teilgenommen haben.

Und wenn ja, möchte ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Den Grund müssten sie doch einsehen:

Auch ich verteidige meine Freiheitsrechte.

Weitere Quellen:
https://web.de/magazine/regio/berlin/anti-corona-demo-polizei-holt-veranstalter-buehne-34944488

P.S. Die Infektionszahlen steigen wieder. Und dafür habe ich jetzt monatelang keinen Tango getanzt? Fuck you!

Kommentare

  1. Hallo Gerhard,
    selten so einen differenzierenden-, informativen- und absolut zutreffenden Blog zu diesem inszenierten Theater in Berlin gelesen ! Wenn man der Logik und den "Argumenten" dieses Konglomerats aus rücksichtslosen Ignoranten, ewig Unzufriedenen, Randale geilen Typen, Fake-Promotern, tumben Rechtsnationalen, so genannten Reichsbürgern, Mitläufern deren IQ sich wohl lediglich auf den Unterschied zwischen Schwarz und Weiß beschränkt, und leider - leider auch Lieschen Müller weil's einfach en voque zu sein scheint, da mitzulaufen, folgt - dann kann man nur den Kopf schütteln.

    Ich habe aus meinem internationalen Freundeskreis besorgte Anfragen bekommen, was denn da in Berlin los ist. Habe versucht über die Fakts "in a nutshell" zu berichten und ein paar Dinge klarzustellen. Musste dies allerdings in Englisch machen und hab' bedauert, dass Dein Blog nicht in Englisch zur Verfügung steht.

    Servus, Reinhard

    P.S. Deine Schlussbemerkung zum Tango : genau so !!

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    1. Lieber Reinhard,

      herzlichen Dank für das Lob!

      Die Recherche war ziemlich mühsam, aber auch lohnend.
      Weil es ja immer heißt: Da liefen ja auch ganz normale Menschen mit. Sicher - nur die Drahtzieher dieser Aktionen sind ziemlich dubiose Gestalten. Das muss man wissen, wenn man sich diesen Protesten anschließt.
      Und das Ganze ist natürlich eine gezielte Provokation, wenn man bewusst die Hygieneregeln missachtet. Damit erregt man Aufmerksamkeit, was man mit den spinnigen Aussagen allein nicht erreichen könnte. Und man fordert den Staat heraus. Gestern ist das leider voll gelungen.

      Nochmal danke und beste Grüße
      Gerhard

      P.S. Inzwischen habe ich mehr als 15 Prozent Leser aus den USA. Ich hab mir schon überlegt, ob ich wichtige Beiträge nicht übersetzen lassen soll.

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  2. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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    1. Anonyme Kommentare veröffentliche ich bekanntlich nicht. Zudem enthält der Beitrag nur aggressive Textbausteine, die sich nicht konkret auf meinen Artikel beziehen.

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