Mehrdenken mit Florian Schröder
Bekanntlich bin ich ein Rhetorik-Junkie: Mit einer glänzenden Rede kann man mich nachts um
Vier wecken, bei einer schlechten könnte ich weinend unter den Teppich
kriechen.
Daher bekenne ich: Was der Kabarettist Florian Schröder bei der Demo „Querdenken 711“ letzten Samstag in
Stuttgart abgeliefert hat, war ein Meisterstück.
Vielleicht ist die Vorgeschichte weniger bekannt: Im „NDR Comedy Spezial“ vom 18.7.20 stellte Schröder in einer
„Figurenrede“ einen Corona-Skeptiker
dar, der sich eine Viertelstunde lang genüsslich an den Fehlern und Schwächen
der Mainstream-Medien, Politiker und Medizin-Experten abarbeitet. Auch die
Kabarettisten hätten viel zu lange „die da oben“ unterstützt, anstatt
aufzubegehren.
Wer halbwegs zuhört (oder halt Florian
Schröder kennt), weiß natürlich von Anfang an, dass er alles andere als ein
Verschwörungsmystiker ist. Seine Suada trieft von satirischen Anspielungen. Ab 16:47 kommt dann die Auflösung:
„Wichtig ist nur:
Glaubt keinem. Auch mir nicht. Ich bin nur ein Spieler, der sich die Masken
aufzieht – nicht, um euch zu schützen vor Infektionen, sondern um euch zu
infizieren. Um euch zu impfen mit dem Wahnsinn. Um euch zu immunisieren gegen
die Propheten, die euch Wahrheiten versprechen.“
So richtig zugehört dürften ihm nicht alle
haben: Auf den Seiten der Kämpfer für die Freiheit, andere anzustecken, wurde
ein Video der Sendung massenhaft
geteilt – und Florian Schröder erhielt daraufhin das Angebot, auf der Berliner „Tag der Freiheit“-Demo zu sprechen.
Leider scheiterte das Projekt an den
Polizeiabsperrungen – die Ordnungshüter ließen Schröder und seine
Security-Leute nicht mehr auf das Gelände: zu gefährlich.
Die Hintergründe
zeigt dieses Video:
Daher nahm der Kabarettist eine Woche später
die Einladung des Stuttgarter Veranstalters Michael Ballweg an, dort vor seinen „Querdenkern 711“ eine Rede zu
halten. Das Publikum begrüßt Schröder mit frenetischem Applaus – er ist ja
scheinbar „einer der ihren“.
Scheinheilig gibt der Kabarettist den Affen
zunächst Zucker: Er habe seinen Auftritt im NDR genutzt, um „die Wahrheit zu sagen“ (heftiger
Applaus!). „Man hat mir gesagt: Hier in
Stuttgart ist die Freiheit“ (Jubel!).
Spätestens bei diesem Satz hätte man
misstrauisch werden müssen:
„Wenn in Berlin 1,3
Millionen waren, dann sind hier heute 130000!“
Nein: noch größerer Jubel.
Nun zieht er allmählich die Kurve: Stuttgart
sei ja die Stadt des vor 250 Jahren dort geborenen Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Was folgt, ist ein Dialektik-Seminar
für Anfänger: „These, Antithese, Prothese“.
Ob unsere Medien „gesteuert“ seien? Schröder zitiert listig Fehler und Versäumnisse
der Regierenden und des Robert Koch-Instituts. Diese Informationen habe er
allerdings von den Mainstream-Medien wie „Spiegel“ und „Zeit“. Wenn die also
gesteuert wären, stünde dies dort wohl nicht.
Ob wir in einer „Corona-Diktatur“ lebten? Er glaube das nicht, denn sonst dürften
alle hier gar nicht stehen – und er nicht sprechen. Und sein Beruf lebe von der
Meinungsfreiheit.
Mit der konfrontiert er nun seine Zuhörer:
Für ihn sei Corona eine „hochgefährliche,
ansteckende Krankheit“, daher seien „Maskentragen
und Abstand halten“ das Beste, was man derzeit tun könne.
Nun kippt die Stimmung, aber Schröder hat den Ausgang schon verriegelt: „Wenn ihr für
Meinungsfreiheit seid, müsst ihr meine Meinung aushalten.“
Er legt noch einen drauf: Vielleicht sei die
Lage mit dem Deutschland 1929 vergleichbar, und wir bräuchten noch eine fette
Wirtschaftskrise, um 1933 zu erreichen. Und zwar dadurch, dass man Corona heute
verharmlose.
Seine Botschaft:
„Meinungsfreiheit heißt, Zuhören, sich einlassen
auf einen, der nicht das sagt, was ihr hören wollt.“ Er beleidige sein
Publikum auch nicht mit Begriffen wie „Idioten“ oder „Verschwörungstheoretiker“.
Wir lebten in einem Land, um das uns viele andere beneideten – auch wenn die
Regierung Fehler gemacht habe.
Freiheit
aber sei nicht Verantwortungslosigkeit,
sondern setze Respekt voraus.
Der Veranstalter Michael Ballauf war klug genug, sich beim Redner herzlich zu
bedanken. Dies sei ja ein wunderbares Beispiel dafür gewesen, dass man bei „Querdenken“ andere Meinungen akzeptiere.
Was hätte er auch sonst sagen sollen, ohne
sich vollends unglaubwürdig zu machen?
Hier das Video
mit dem kompletten Auftritt:
Was Florian Schröder geboten hat, war
nicht nur mutig, sondern für mich eine Sternstunde
des Kabaretts.
Meine Erfahrungen als Blogger gehen genau in
diese Richtung: Man argumentiert heute zunehmend ad personam. Wenn wir meinen, einer gehöre zu unserer
Ideologie-Blase, darf der den größten Mist verzapfen – der Jubel seiner Anhänger
ist ihm dennoch sicher. Ebenso darf einer aus dem „Feindeslager“ die vernünftigsten
Ansichten publizieren – es kann ja nur Unsinn sein.
Öfters beschränkt man sich nicht nur hierauf:
Der Mensch selber soll dann weg –
aus der Partei werfen, Auftritte absagen, Lesungen sprengen, kriminalisieren,
Arbeitsplatz kündigen, Strafanzeige erstatten – cancel culture.
Was man geflissentlich übersieht: Meinungsfreiheit heißt nicht Widerspruchsfreiheit. Freiheit, so
belehrte uns schon die Sozialistin Rosa
Luxemburg, ist immer die Freiheit der Andersdenkenden – ob sie
nun an Jesus Christus oder Wolfgang Wodarg glauben.
Daher bin ich nicht nur ein Rhetorik-Junkie,
sondern auch ein leidenschaftlicher Verfechter der Argumentation ad rem, also zur Sache – egal, wer es sagt. Ich habe auf meinem Blog schon Leute
gelobt, die mich vorher übel beschimpft oder mir Hausverbot erteilt haben. Na
und? Gerade wenn ich jemandem zustimmen möchte, der mir persönlich heftig zum
Ekel ist, bin ich mir sicher: Es muss an den Aussagen liegen. Und dann lobe ich die auch.
Hallo Gerhard,
AntwortenLöschenIch habe damals den Auftritt von Florian Schröder selbst von Anfang bis Ende verfolgt.
Ich gestehe: Damals war ich hin und her gerissen, ob Schröder nun der einen- oder doch eher der anderen Position näherstünde.
Insofern: Ein wirklich großartiger Beitrag von ihm, der in höchstem Maße den Intellekt seiner Hörer forderte. Er hat nicht nur einfach draufgeschlagen, sondern das eigene Grübeln und Abwägen abverlangt.
Spitze!
Ohne deinen Blog hätte ich von der Auflösung nichts mitbekommen… sein Auftritt in Stuttgart wäre mir sonst nicht zu Ohren gekommen. Also Danke für deinen Post.
Weil ich auf Deine Fachkenntnis in Sachen Satire vertraue, wollte ich Dich fragen, ob es sich beim Kommentar von Milosz Matuschek in der Neuen Züricher Zeitung („Kollabierte Kommunikation: Was, wenn am Ende «die Covidioten» recht haben?“ – vom 01.09.2020) nun womöglich ebenfalls um Satire handelt? Ist Satire in einer Kolumne „Meinung“ überhaupt am richtigen Platz?
Besonders unsicher bin ich mir bei dem IM Artikel verlinkten VIDEO des französischen Bauern („Conseils d'un Berger pour Tondre le Peuple“).
Waren die Ausführungen des Bauern nun von diesem als Satire gedacht? Hat Milosz Matuschek wiederum diese (Satire?) des Bauern kongruent übernommen? Oder hat er den Bauern lediglich als eine von ihm falsch verstandene Satire missbraucht?
Man kennt das ja aus Beiträgen vom Postillon: Immer wieder werden selbst DORT erschienene Beiträge von vielen Menschen als „ernst gemeint“ falsch verstanden.
Kein Wunder also, dass selbst der Schweizer Starsatiriker Marco Rima ganz offen zugibt: „Ich weiß es nicht…“
Für mich noch rätselhafter ist ein viel zitierter Artikel, in dem behauptet wird, in Griechenland sei nun bereits die „Corona-Leugnung“ strafbar und würde durch ein „Bürgerschutzministerium“ verfolgt.
Die Kommentare unter diesem Artikel sind sehr asymmetrisch verteilt und den im Artikel verlinkten Beitrag nach Griechenland kann ich leider nicht lesen (dafür fehlt mir das notwendige Latinum).
Satire? Nur ein blöder Witz? Vielleicht ja – ich konnte darüber bislang jedenfalls keine bestätigenden Berichte in zuverlässigen Medien finden. Und der Großteil des Artikels kommt mir ohnehin recht wenig satirisch vor.
Liebe Grüße,
Matthias Botzenhardt
(https://www.nzz.ch/meinung/kollabierte-kommunikation-was-wenn-am-ende-die-covidioten-recht-haben-ld.1574096)
(Marco Rima Ich weiß es nicht... - https://www.youtube.com/watch?v=A-JDXg0nSkI)
(https://www.heise.de/tp/features/Corona-Leugnung-in-Griechenland-strafbar-4881977.html)
Lieber Matthias Botzenhardt,
Löschendeine Aussagen zu Florian Schröder kapiere ich nicht ganz: Hast du den Auftritt in Stuttgart live verfolgt und die Auflösung nun mitbekommen oder nicht?
Ansonsten freue ich mich stets über eine Diskussion zu meinen Texten. Mit den Recherchen dazu bin ich ausreichend beschäftigt. Fachliche Gutachten zu anderen Artikeln kann ich daher nicht liefern. Ich bitte um Verständnis.
Beste Grüße
Gerhard Riedl