So kleben wir alle Tage

Ich habe mir seit längerer Zeit überlegt, ob ich zu dem Thema einen Artikel schreiben soll – schließlich kann man in den professionellen Medien haufenweise mehr oder weniger Kluges dazu sehen und lesen.

Seit Kurzem hat die Debatte weiter Fahrt aufgenommen: Vor allem die bayerische Justiz drückt nun – nach einem Jahr des Klebens – mächtig auf die Tube. Mit Hausdurchsuchungen, Sperrung von Konten, Abschalten der Website und Ermittlungen wegen der Gründung einer „kriminellen Vereinigung“. Es wird also spannend.

Lustig finde ich, dass uns nun Soziologen erklären, es handle sich bei den Aktionen der „Letzten Generation“ um „zivilen Ungehorsam“. Nur werden dadurch halt nicht Castor-Transporte an der Weiterfahrt gehindert, sondern Mütter, welche ihre Kinder von der Schule oder dem Kindergarten abholen müssen. Oder Arbeitnehmer auf dem Weg zum Job – manchmal auch Patienten, die einen dringenden Klinik-Termin haben.

Dabei verlangen die „Aktivist:innen“ (mein Rechtschreibprogramm hat’s gerade unterringelt) ganz schön viel „zivilen Gehorsam“. Man hat notfalls stundenlang zu warten, bis man über den drohenden Weltuntergang informiert ist. Und die Polizei darf sich mit Trennschleifer, Meißel und Olivenöl handwerklich betätigen – und kommt, im Gegensatz zum Installateur (der vielleicht im Stau steht) stets pünktlich.

Mit Kritik an den jungen Empörten sollte man vorsichtig sein, sonst wird man schnell abgestraft – und zwar ohne die Möglichkeit der Berufung: Das Urteil wird sofort vollstreckt. Als selbst der zurückhaltende Kanzler Scholz die Aktionen neulich als „bekloppt“ bezeichnete, wurde umgehend die Berliner SPD-Zentrale mit Farbe beschmiert. Nun gut, mit Angriffen auf ihre Parteihäuser haben die Sozialdemokraten in ihrer 160-jährigen Geschichte genügend Routine…

Ebenso wurde das Grundgesetz-Denkmal mit schwarzer Farbe und Tapetenkleister verunstaltet. Es zeigt die 19 Grundrechts-Artikel, welche 1949 von den Überlebenden des Kriegs und der Nazidiktatur formuliert wurden. In der Hoffnung, dass niemals mehr ideologische „Wahrheitseigentümer“ Menschen drangsalieren, deren einziges „Verbrechen“ in einer abweichenden Meinung besteht.

So ganz die reinen Idealisten sind da wohl nicht am Werk. Die Klima-Bewegung verfügt über ein stattliches Budget, das nicht nur aus Kleinspenden, sondern vor allem aus Zuwendungen des „Climate Emergency Fund“ stammt, hinter dem zum Beispiel (bitte festhalten!) die Ölerbin Aileen Getty steckt. Daher kann man bezahlte Mitarbeitende anwerben: Bis zu 1300 Euro monatlich sind offenbar fürs hauptberufliche Weltretten drin.     

https://www.focus.de/politik/deutschland/bieten-1300-euro-fuers-vollzeit-kleben-klimaaktivisten-werben-mit-arbeitsvertraegen-um-nachwuchs_id_181892238.html

Klar, dass da Spontaneität und Gruppendiskussion nicht reichen. Die Sekundenkleber-Firma ist straff organisiert. Aktionen werden oben geplant und unten ausgeführt. Auf Werbeveranstaltungen nordet man Interessenten apokalyptisch ein und trimmt sie auf Gehorsam.

Den Typus des entrechteten Proleten findet man in diesen Kreisen weniger – eher stammt man aus dem Walmdach-Viertel und hat Abitur sowie ein abgebrochenes Studium vorzuweisen. Und bei vielem, was die Herrschaften von sich geben, schließe ich als einstiger Pädagoge auf eine Erziehung, welche das Knicken der sensiblen Kinderseele tunlichst vermied. Da wurde dem Vater schon mal mitgeteilt: „Ich will ein Eis, du Arschloch!“ Wenn man es nicht bekam, warf man sich halt schreiend auf den Boden und trommelte mit den Fäusten. Und je lauter man plärrt, desto mehr Publikum kriegt man.

Dass eine Demokratie nicht auf der Basis kindlicher Tobsuchtsanfälle funktioniert, sondern ein zähes Ringen um Kompromisse erfordert, kam wohl im Sozialkunde-Unterricht nicht ganz rüber. Vor allem aber, dass man gegen Mehrheitsentscheidungen nicht mit Gesetzesbrüchen reagieren darf, sondern einen lediglich das zähe Werben für den eigenen Standpunkt weiterbringt.

Auch das Prinzip der Gewaltenteilung wird wohl nicht wirklich verstanden. Die Justiz muss bei ihren Entscheidungen politisch neutral bleiben. Das erfuhr auch die Pressesprecherin Carola Hinrichs, die in Frankfurt wegen diverser Nötigungen vor Gericht stand. Die nicht ganz zu Ende studierte Juristin war entsetzt, als ihr der Amtsrichter zwei Monate auf Bewährung aufbrummte und ihr mitteilte: Weswegen sie mutwillig den Straßenverkehr blockiert habe, sei rechtlich ohne Belang. Jedem sei es unbenommen, weswegen er das Ende der Welt prophezeie – auch Rechtsradikale oder Abtreibungsgegner könnten auf solche Ideen kommen. Das ändere aber nichts am Straftatbestand.     

https://www.t-online.de/region/frankfurt-am-main/id_100174328/-letzte-generation-klimaaktivistin-carla-hinrichs-verurteilt-.html

Das Schlimmste an dem Ganzen ist aber nicht irgendwelches Robin Hood-Getue, sondern die Diskreditierung eines wichtigen Themas: des Klimaschutzes.

Wie man aus Umfragen weiß, sind die Menschen hierzulande mehrheitlich durchaus bereit, Sinnvolles dazu beizutragen – sich beispielsweise eine Solaranlage zuzulegen – vor allem, wenn man die Bürokratie dabei in Grenzen hielte. Wogegen sich die Bürger allerdings sträuben, sind Zwänge. Die Debatte ums Heizungsgesetz ist ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.

Neuerdings habe ich den Eindruck, dass dem durchschnittlichen Wähler beim Begriff „Klimaschutz“ die Galle hochkommt – vor allem, wenn er schon mal länger im Stau stand und dann den Arzttermin verschieben musste. Herzlichen Dank dafür!

Um nun den Tango-Zusammenhang noch zu retten:

Ende letzten Jahres habe ich vorgeschlagen, mit einer „Tangokleber-Aktion“ Encuentros zu blockieren. Ich schrieb damals zur „Letzten Tangogeneration“:

„Steinzeitliche Musik, prähistorische Verhaltensnormen und elitäres Getue haben die Atmosphäre auf den Tangoveranstaltungen zu Eiseskälte gefrieren lassen und den Tango der alten und noch älteren Bevölkerung übereignet. Die Jugend wendet sich ab. Wenn es so weitergeht, werden wir die letzte Generation sein, welche die Vielfalt des Tangos noch kennengelernt und gelebt hat. (…)

Wir kommen zusammen und leisten entschlossen gewaltfreien Widerstand gegen den fossilen Wahnsinn im Tango. Wir sind der Überlebenswille der Szene! Wir haben noch zwei bis drei Jahre, in denen wir den fossilen Pfad der Vernichtung moderner Tangomusik noch verlassen können.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/12/ein-klebriger-protest.html

Ich finde diese Idee immer noch herrlich – schon da sie auch nicht bekloppter ist als das klimapolitische Vorbild. Und wir würden damit weder einen Patienten von einem OP-Termin abhalten noch Arbeitnehmer vom Berufsweg, sondern nur Rentner von dem, was sie für Tanzen halten.

Gut, der Sekundenkleber würde vielleicht das Parkett beschädigen. Alternativ könnte man ja Schmierseife einsetzen und so für etwas temperamentvollere Aktionen auf der Piste sorgen.

Und der Rettungswagen hätte dann ungehinderte Zufahrt!  

P.S. Eine interessante Reportage zum Thema:

 https://www.youtube.com/watch?v=oa0uxcoGlvc

Kommentare

  1. Soeben erreichte mich ein Kommentar von Klaus Wendel:

    Geehrter Herr Riedl,

    ein interessanter Artikel, der mir aber nicht ausgewogen genug erscheint, was ich im folgenden Kommentar begründen möchte.
    Einig sind wir uns wohl bei der Beurteilung der Mittel, welche die Klima-Aktivisten wählen, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich halte die bewusste Inkaufnahme von Kollateralschäden bzw. Behinderungen, das Beschmieren von Kunstwerken usw. für nicht geeignet, um sich Zustimmung in der Bevölkerung für eine vernünftige Klimapolitik zu erstreiten. Im Gegenteil, ich halte diese Mittel für kontraproduktiv, weil die Mutter zur Kita, Krankenwagenfahrer und normale Arbeitnehmer nicht die Adressaten für Klimaschutzmaßnahmen sind, sondern die Politiker, die Industrie usw.
    Die Aktivisten nehmen die Bevölkerung als Geisel für Ihre Forderungen und werden im ohnehin schwierigen Unterfangen, die Bevölkerung zu notwendigen Einschränkungen zur Erreichung der Klimaziele zu gewinnen, nur noch schwieriger machen. Man sieht Anhand der Heizungsgesetze, wie genervt die Menschen darauf reagieren. Insofern, haben uns diese Aktivisten einen Bärendienst erwiesen.
    Aber das schreiben Sie ja alles.

    Was mir aber widerstrebt, sind die unverhältnismäßigen Mittel, zu denen die Bayrische Regierung greift, weil sie das Prinzip der Unschuldsvermutung missachtet hat. Dazu kein Wort von Ihnen.
    Nun ist es auch ein Unterschied bei „zivilem Ungehorsam“, um Klimaziele zu erreichen, ob die Zeit zur Verfügung steht, den langen „Marsch durch die Institutionen“ anzutreten, ist fraglich, denn dazu ist es angesichts der zu erwartenden Klimakatastrophen zu spät. (Andererseits glaube ich auch nicht, dass das geforderte Tempolimit und das 9-Euro-Ticket nennenswerten Einfluss auf die Klimaveränderungen haben werden.)
    Die Mittel der „Letzten Generation“ erscheinen mir deshalb nicht verhältnismäßig zu sein. Das gibt aber dem Staat nicht das Recht, bestehendes Recht zu brechen. Der Richterbund hat sich schon in einem Protestschreiben an die bayrische Regierung, insbesondere Markus Söder, gewandt.

    In Ihrem Artikel werfen Sie den Aktivisten vor, sich zum Teil für ihre Aktionen bezahlen zu lassen. […] Bis zu 1300 Euro monatlich sind offenbar fürs hauptberufliche Weltretten drin. […]
    Das ist wohl angesichts der Waffenungleichheit bezüglich der hohen Gehälter der Pro-Petrochemie-Lobbyisten nicht zu verurteilen.

    Polemisch halte ich auch Ihre Beurteilung des Bildungsstands und Typisierung der Aktivisten, auf den Sie nur aufgrund Ihrer Berufserfahrung heraus glauben schlussfolgern zu können: […]„Den Typus des entrechteten Proleten findet man in diesen Kreisen weniger – eher stammt man aus dem Walmdach-Viertel und hat Abitur sowie ein abgebrochenes Studium vorzuweisen. Und bei vielem, was die Herrschaften von sich geben, schließe ich als einstiger Pädagoge auf eine Erziehung, welche das Knicken der sensiblen Kinderseele tunlichst vermied.[…]“ Die Bandbreite bezüglich Alter, Berufsgruppe und Herkunft innerhalb der Klimaaktivisten ist zu breit gefächert, um solche Vorurteile zu bestätigen.

    Was auch nicht angesprochen wird, ist die Trägheit bezüglich der erhofften technischen Entwicklungen zur Erreichung der Klimaziele, die von der FDP und CDU/CSU oft als „Technologieoffenheit“ deklariert wird.
    Zum Beispiel die der Autoindustrie: Anstatt Angesicht der schon lange zu erwartenden Klimamaßnahmen eine Weiterentwicklung der Motoren in Richtung Sparsamkeit und Effizienz einzuschlagen, verschleuderte die Autoindustrie diese Zeit mit der Entwicklung von Familien-Panzern á la SUVs und Sensor-Technik zur Täuschung von Abgasprüfanlagen. Angesicht dieser haarsträubenden Verzögerungen ist es nachvollziehbar, dass einigen Menschen der Geduldsfaden reißt, wenn weiterhin auf die Hoffnung auf die Industrie gesetzt wird. Auch dazu kein Wort.

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    1. (Fortsetzung)

      Die Autoindustrie in China wird sich melden angesichts dieser verschlafenen Entwicklungszeit. Dann wird die Autoindustrie wieder uns Bürger, bzw. den Staat bitten, mit Kurzarbeitergeld und Kaufprämien auszuhelfen.

      Zum Schluss versuchen Sie wieder, den Bogen zum „fossilen Wahnsinn im Tango“ zu schlagen.
      Aber dieser Versuch war wieder mal hanebüchen. Ansonsten ein plausibler Artikel.

      Mit freundlichen Grüßen
      Klaus Wendel

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  2. Lieber Herr Wendel,

    Thema meines Artikels war nicht die Gesamtbetrachtung der Klimakrise. Da wäre ich wirklich überfordert – und dazu gibt es wahrhaftig genügend Literatur und Presseartikel.

    Ich habe mich explizit nur mit den Methoden der „Letzten Generation“ beschäftigt. Wer nun recht hat – die Politik oder die „Aktivisten“, ist ein schwieriges Feld, das ich mich nicht endgültig zu beurteilen traue. Schon gar nicht in einem 1000 Wörter-Artikel.

    Ob die Protestierer eine kriminelle Vereinigung darstellen oder nicht, müssen Gerichte entscheiden. Natürlich war die „Vorverurteilung“ durch die Münchner Staatsanwaltschaft übergriffig. Daher hat man sie auch umgehend gelöscht.

    Danke auch für das angehängte Protestschreiben. Was Sie als „Richterbund“ bezeichnen, ist allerdings die „Neue Richtervereinigung“. Sie repräsentiert zirka 560 Mitglieder. Sie vertritt die Ansicht, dass die Ausübung des Amtes als Richter oder Staatsanwalt immer eine gesellschaftspolitische Relevanz habe und daher politisch sei. Der Deutsche Richterbund hat 17000 Mitglieder.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Richtervereinigung
    https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Richterbund

    Wovon ich vielleicht etwas mehr verstehe, ist die Attitüde der „Letzten Generation“. Klar gibt es da auch ältere Menschen und solche mit verschiedenem gesellschaftlichem Hintergrund. Aber nachdem ich mir rund ein Dutzend Dokumentationen zu dieser Frage angesehen habe, traue ich mir schon eine ungefähre Einschätzung zu.

    Als alter „68er“ finde ich es schon seltsam, dass man sich fürs Protestieren bezahlen lässt. Ich nehme an, andere Lobbyisten haben zunächst etwas Anständiges gelernt, bevor sie dieser Tätigkeit für würdig befunden wurden.

    Und was den Schluss meines Artikels betrifft: Da versuche ich meistens eine Pointe, die zum Schmunzeln anregt. Niemand muss tatsächlich befürchten, dass ich ihn mittels Anklebens am Tanzen hindere (obwohl es manchmal so aussehen mag).

    Besten Dank und viele Grüße
    Gerhard Riedl

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