Gründe, nicht mit dem Tango anzufangen

Früher habe ich öfters mal Bekannte gefragt, warum sie mit dem Tango begonnen hätten. Natürlich hört man dann eine Reihe verschiedenster Geschichten – aber die wesentlichen Motive kann man ungefähr so zusammenfassen:

Häufig sind es persönliche Begegnungen: Man habe Freunde, die Tango tanzen – und die waren so begeistert, dass man sie einmal auf eine Milonga begleitet habe. Was man dort erlebte, habe die Neugier erweckt. Besonders eindrucksvoll war dann wohl die Nähe und Sinnlichkeit dieses Tanzes – ein Trigger insbesondere für Frauen. Meist wirkt auch das Empfinden, sich in einem freundlichen Umfeld aufgehoben zu fühlen.

Aber der Tango macht es speziell den Damen nicht einfach: Bald stellt man fest, dass schönes Tanzen alles andere als einfach ist, man auch im Tangokurs nur wenig weiterkommt und auf den Milongas mehr herumsitzt als daheim (wo man die Zeit nützlicher beim Kochen oder der Gartenarbeit verwenden könnte). Und für die Herren tritt genau das ein, was sie befürchtet haben: Sich nach Jahrzehnten der Bewegungs-Legasthenie tänzerisch elegant bewegen zu sollen. Und – so stellt man irgendwann fest – in der Tangoszene gibt es nicht nur nette Menschen, sondern auch veritable Stinktiere, die oft die höheren Etagen der Hierarchie bewohnen.  

Gerne ist es auch der (meist weibliche) Partner, der zur Wiederherstellung von Gemeinsamkeiten auf die Kateridee kommt, als Paar einen Tangokurs zu buchen. Oder, Gipfel der Infamie, dem Männe zum Geburtstag einen entsprechenden Gutschein schenkt. Die Ehefrau kann meist darauf warten, dass der Gatte die alte Sportverletzung reaktiviert und somit dem Tanzen entflieht. Sollte sie dann allein Milongas besuchen wollen, scheitert das häufig an der Eifersucht des Gemahls.

Öfters treten die Probleme noch spezieller und dadurch vernichtender auf: Man lernt jemanden kennen, der Tango tanzt. In der ersten Verliebtheit möchte man natürlich an allem teilhaben, was dem (oder der) Angehimmelten wichtig ist. Den so akquirierten Männern geht es aber meist schnell auf den Geist, ihre Geliebte mit anderen Partnern verzückt übers Parkett schweben zu sehen, während sie selber noch kaum drei Schritte geradeaus laufen können. Weibliche Neulinge werden durchs Herumsitzen frustriert. Die erste Beziehungskrise ist also fest gebucht und führt häufig nicht nur zum Verlassen des Tango, sondern auch des Partners.

Es geht aber noch schlimmer: Gerade noch jüngere und hübsche Anfängerinnen geraten nicht selten in die Fänge eines älteren Sugardaddys, welcher sie routiniert mit seinen tänzerischen Fähigkeiten beeindruckt und mit seinem Charme traktiert, bis sie glauben, sich in ihn verlieben zu müssen. Und nachdem Frauen auf Ranghöhe stehen, wird daraus nicht selten die Liaison mit einem Veranstalter, Tangolehrer oder DJ. Dass die Mindesthaltbarkeit der Beziehungen mit diesem Personal noch die von Hackfleisch unterschreitet, kapieren sie erst hinterher, dafür aber umso schmerzlicher.

Was mich auch immer wieder fasziniert: In der Tangoszene ist der Anteil von Singles erstaunlich hoch. Gerade Frauen versuchen oft, den Schmerz einer Trennung im Tango zu ersäufen. Und scheinbar gibt es doch dort genau die „achtsamen“ Mannspersonen, auf die man im Leben stets vergeblich gewartet hat! Männer sehen das meist pragmatischer: Da die Olle nun weg ist (oft unter Zurücklassung von Unterhalts-Forderungen), sucht man eine preiswerte Möglichkeit für baldigen Ersatz. Einer festen Bindung oder gar Heirat steht man in der Regel ablehnend gegenüber: Das war beim ersten Mal schon teuer genug!

Meine Erfahrung ist immer wieder: Dass man auf dem Parkett himmlisch miteinander harmoniert, lässt nur in seltenen Ausnahmefällen darauf schließen, dies könne im restlichen Leben auch der Fall sein. Ich kenne etliche hervorragende Tangueras, mit denen es beim Tanzen großen Spaß macht. Allerdings würde ich – auch als Single – nach Aufnahme einer Beziehung mit ihnen bereits nach wenigen Tagen schreiend das Weite suchen. Und sie vermutlich ebenso.

Auch sonst ist meine Skepsis bei „Tangofreundschaften“ immer mehr gewachsen. Vieles ist, trotz teilweise großen Getues, doch oberflächlicher, als man zunächst meint. Man denke nur an die Auseinandersetzungen während der Corona-Krise! Sicherlich kann man auch bei unserem Tanz echte Freunde finden – aber halt höchstens genauso häufig wie im normalen Leben! Die Vorstellung, ich müsste bei internationalen Festivals eine dreistellige Zahl von „Tangofreundinnen“ herzen und küssen, erregt bei mir ein veritables Grauen.

Wenn ich eine unbekannte Dame auffordere, interessiert mich ausschließlich der gemeinsame Tanz, das körperliche Verständnis, das sich in einer knappen Viertelstunde entwickeln kann. Den Namen kann ich mir eh kaum merken, und auch weitergehende Informationen mag ich schon mit Rücksicht auf die Privatsphäre nicht wissen. Ich finde, ein paar nette Worte zu wechseln, reicht völlig.

Was mich immer wieder erstaunt: Bei den Gründen, warum man zum Tango kam, wird die Musik höchst selten genannt. Dabei sollte es doch das naheliegendste Motiv sein, wenn man tanzen möchte! Eine Tangobekannte erklärte mir einmal, sie finde Tangomusik eigentlich uninteressant bis furchtbar. Nur beim Tanzen gefalle sie ihr. Na, immerhin!

Ich kann daher allen, die es zum Tango zieht, nur raten:

Machen Sie Ihre Entscheidung nicht von Personen abhängig – weder vom Traumpartner noch den netten Leuten, welche man auf den Veranstaltungen kennenlernt! All das kann furchtbar täuschen und einen oft genug wieder aus dem Tango vertreiben. Und bitte: Lassen Sie unseren Tanz in Ruhe, wenn es Ihnen vor allem darum geht, irgendeine Vormachtstellung zu erobern! Da bietet Ihnen die Politik oder der Schützenverein mehr Möglichkeiten – und zumindest beim Letzteren wird auch zu Musik marschiert.

In meinem Tangobuch habe ich geschrieben:

„Wer aber das nimmt, was er ziemlich automatisch bekommt, nämlich einen Tanz zu diesen unglaublichen Klängen, wird (zumindest prinzipiell) nicht enttäuscht. Und wenn die ‚Tangodiva‘ gerade ihren guten Tag hat, kriegt man als Draufgabe vielleicht einen Hauch Sympathie und Zärtlichkeit, ein wenig Nestwärme, ein bisschen Schwerelosigkeit und Schweben – aber nur geschenkt, nicht geliefert!“

Illustration: www.tangofish.de

Kommentare

  1. Du schreibst:
    "Den Namen kann ich mir eh kaum merken, und auch weitergehende Informationen mag ich schon mit Rücksicht auf die Privatsphäre nicht wissen."

    Leider ist diese Aussage vollständig unglaubwürdig vor dem Hintergrund dass Du hier auf vollständiger Namensnennung insistierst und nicht nur das, Du googlest diese Namen (nach eigener Aussage!) um mehr herauszufinden. Soviel also zum Thema "Privatsphäre".

    Aber sei guten Mutes: Ich halte Deine Kompetenz in puncto Datenschutz für genauso gross wie die beim Thema "Tango".

    Amüsierte Grüsse aus Berlin

    T.C.

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    1. O mei‘, kommt diese alte Leier wieder…

      Na gut:

      Der Vergleich ist natürlich völlig daneben. Wenn ich auf einer Milonga mit jemandem tanze, gehört das zum Privatleben. Auch wenn ich den Namen wüsste, würde ich ihn nie in einem Artikel verwenden.

      Mein Blog dagegen ist öffentlich. Nach Möglichkeit versuche ich dennoch, konkrete Namen in den Artikeln zu vermeiden. Wegen des Zitierrechts muss ich aber oft meine Quellen angeben. Wer dann nachschaut, kann in solchen Fällen auf die Personen schließen.

      Wer wenigstens die Überschriften lesen kann, würde erkennen, dass mein Blog „garantiert unanonym“ ist. Ich stelle mich mit wahrem Namen (und sogar Impressum) vor. Das Gleiche verlange ich auch von den Kommentatoren. Da mir öfters falsche Namen angedreht werden, recherchiere ich diese Quelle. Ich wüsste nicht, dass dies gegen den Datenschutz verstößt.

      Auch Ihre Daten sind überhaupt nicht gefährdet. Um sie zu schützen, können Sie einfach auf Kommentare verzichten. Wenn doch, müssen Sie sich halt den hiesigen Spielregeln unterwerfen. Das ist hier nämlich mein Blog. Einen Anspruch, hier Anmerkungen veröffentlicht zu bekommen, haben Sie überhaupt nicht.

      Mit besten Grüßen
      Gerhard Riedl

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