Wie authentisch ist Ihr Tango?
Wie im vorletzten Artikel schon angesprochen, gibt es von besagtem US-amerikanischem Autor etwa 20 Tango-Videos, welche alle von Ironie und teilweise Sarkasmus nur so strotzen. „Tango-Zyniker“ („tangocynic“) nennt sich der Schöpfer, welcher wohl aus naheliegendem Grund seine wahre Identität nicht preisgibt. Schließlich ist die Regelversessenheit in den Staaten wohl noch größer als in Europa. Über 450000 Zugriffe insgesamt bestätigen, dass seine Schöpfungen durchaus beachtet werden.
Bemerkenswert, dass die Videos alle 10 Jahre und älter sind. Was mich verblüffte: Die Kommentare auf YouTube sind fast ausschließlich positiv bis begeistert. Wieso der Autor nach relativ kurzer Zeit seine Produktion einstellte, kann man nur vermuten. Möglich, dass ihn der zunehmend konservative Trend in der Szene frustrierte.
Heute habe ich den wundervollen Dialog zwischen einem Traditionalisten und einem Erneuerer übersetzt. Das Thema kenne ich persönlich aus vielen Auseinandersetzungen: „How authentic is your tango?“
Viel Spaß!
Mr. Krupke: He, du! Ja, ich meine dich! Ich wollte schon lange mit dir reden.
Anton: Hallo, Mister Krupke, mein Name ist Anton.
Mr. Krupke: Es ist mir egal, wie du heißt, aber ich weiß, dass du einer dieser Tango-Nuevo-Punks bist, die in letzter Zeit diese Milonga sabotiert haben. Das war mal ein schöner Ort hier auf der West Side Milonga: traditionelle Tangomusik, diskrete und gut gekleidete Leute, Anstand auf der Tanzfläche. Und dann kamst du daher, und was ist passiert? Es tauchten Leute mit Dreadlocks, Bärten und Schlabberhosen auf. Sie verlangen nach lächerlicher Musik und tanzen Boleos und Ganchos, als ob sie sich für einen arabischen Zirkus bewerben wollten. Es ist wie eine soziale Krankheit.
Anton: Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen folgen kann. Was ist das Problem dabei?
Mr. Krupke: Das Problem ist, dass es nichts mit authentischem Tango zu tun hat.
Anton: Können Sie mir den Begriff „authentischer Tango" definieren?
Mr. Krupke: Ja. Authentischer Tango ist Tango, wie er in Buenos Aires während des Goldenen Zeitalters in den 1930er und 40er Jahren getanzt wurde.
Anton: Sie wollen also sagen, dass der Tango tot ist?
Mr. Krupke: Wir versuchen, den Tango vor Delinquenten wie dir zu schützen. Ihr Punks habt keinen Respekt: Frauen tanzen mit Frauen und Männer mit Männern. Es ist wie im Puff.
Anton: Natürlich hat es das alles in der Geschichte des Tangos nie gegeben.
Mr. Krupke: Ihr Punks braucht einfach etwas Respekt vor den Traditionen!
Anton: Ihr glaubt also, nur weil ihr einen Anzug anzieht, ein Stück aus den 1940er Jahren spielt und euer Geschlurfe engen Milonguero-Stil nennt, bewahrt ihr den Tango?
Mr. Krupke: Die Tänzer von damals sahen sicher nicht aus wie Terroristen auf der Flucht, und sie haben auch nicht zu Tom Waits getanzt.
Anton: Die Tänzer von damals kamen nicht in einem BMW-Cabrio zur Milonga und trugen einen 2000-Dollar-Armani-Anzug.
Mr. Krupke: Was willst du damit sagen?
Anton: Ich will damit sagen, dass, wenn man sich wie ein Argentinier kleidet, obwohl man es nicht ist, und so tut, als würde man die Kultur verstehen, wenn man etliche Milongas besucht hat, man ungefähr so authentisch argentinisch ist wie ein Cheeseburger.
Mr. Krupke: Ich war schon viele Male in Buenos Aires, man kennt mich unter meinem Vornamen in der „Confiteria Ideal“.
Anton: Ja, das ist ein prima Ort für authentischen Tango.
Mr. Krupke: Zumindest respektiere ich die Kultur, und das ist viel mehr, als man von Ihnen sagen kann, mein Freund!
Anton: Tradition – alles, was ich höre, ist, der Tradition zu folgen! Ist das eine Religion oder ist es ein Tanz? Und sind Sie sein Gesetzeshüter? Sollten Sie sich nicht amüsieren, so wie wir alle versuchen, Spaß zu haben?
Mr. Krupke: Wenn du die Traditionen des Tangos nicht befolgst, wirst du den Tanz nie verstehen.
Anton: Ach, wirklich? Was werde ich nicht verstehen?
Mr. Krupke: Die unaussprechliche Traurigkeit der Tango-Poesie, z.B. das Ausgestoßensein aus der Gesellschaft, das Armsein, die Aussichtslosigkeit im Leben.
Anton: Nun, Herr Krupke, während Sie damit beschäftigt sind, die unaussprechliche Traurigkeit der Tango-Poesie mit Ihrem schlechten Spanisch zu verstehen, während Sie sich sehr bemühen, arm, niedergeschlagen und ohne Lebensperspektive auszusehen, entschuldigen Sie mich bitte kurz, ich werde einen anderen Punk zu einer Cirque de Soleil-Probe einladen. Und übrigens, Mr. Krupke: Sie können mich mal!
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Musical-Liebhaber werden die Anspielung auf die „West Side Story“ und „Officer Krupke“ erkannt haben. Und der Schlusssatz „Krup you“ ist vergleichbar mit „Fuck you“.
Schön, wie hier die Klischees zum „authentischen Tango“ bedient werden! Ich hätte es keinesfalls besser gekonnt.
So kann ich mich nur einem Kommentator anschließen, der auf YouTube schrieb:
„Ja, beide Seiten mögen Recht haben, aber es macht keinen Sinn. Tango ist eine Kombination aus Punks und Luxus.... tatsächlich sind diese beiden Charaktere die ESSENZ des Tangos.“
Und hier das Video:
https://www.youtube.com/watch?v=Zsy4xLSGXdc
Ich erhielt den Hinweis, dass die Videos vor mehr als 10 Jahren z.B. auf der tango-de Mailing-Liste u.a. von Robert Wachinger und Marcus Freitag besprochen wurden. Ich habe den Text entsprechend abgeändert
AntwortenLöschenAuch die Tangofreundin Steffi Stenzel hat nun mitgeteilt, dass die Videos in früheren Zeiten durchaus bekannt waren. Damals war wohl meine "Internet-Kompetenz" noch nicht stark entwickelt...
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