Vom Älterwerden im Tango

Melina Sedó hat sich neulich eines interessanten Themas angenommen: „Altwerden im Tango“.

Sie und ihr Partner seien nun Ende Fünfzig. Mit Anfang 30 hätten sie mit dem Tanzen angefangen. Damals, so ihr Eindruck, schien das Alter keine Rolle zu spielen – junge Leute tanzten mit älteren. Und schließlich sei Gesellschaftstanz etwas, das man in jedem Lebensabschnitt betreiben könne.

Wegen der geringen Anzahl der Tanzenden sei jeder froh gewesen, mit dem auf die Piste zu gehen, der gerade da war. Alles gut im „Tango-Wunderland“!

Durch den steigenden Zustrom habe sich aber der Tango diversifiziert, was ja schön sei: Melina müsse sich heute keine Neotango-Musik mehr anhören und sich nicht in Ganchos führen lassen.

Es gebe aber zwei Hauptprobleme:

Einmal die mangelnde Akzeptanz älterer Gäste bei Veranstaltungen, was gerade die Frauen benachteilige – auch auf Encuentros. Sie selber sei davon allerdings nicht betroffen – auch, weil sie beide Rollen beherrsche. Und auch in jüngeren Zirkeln müsse man sich der Gefahr bewusst sein, dereinst gegen weniger bejahrte Teilnehmer ausgetauscht zu werden.

Zweitens: Was, wenn man zu alt würde, um zu reisen – oder sich das von der kleinen Rente nicht mehr leisten könnte? So viele lokale Gemeinschaften seien zusammengebrochen, weil die erfahreneren Tänzer zu internationalen Veranstaltungen abgewandert seien. Der ganze überregionale Freundeskreis gehe dann verloren.

Und wenn man altersbedingt überhaupt nicht mehr tanzen könne? Melina würde die Gesellschaft sehr vermissen, die Umarmungen und Gespräche.

Was die Autorin offenbar besonders wurmt: In Argentinien würde man sie und ihren Partner inzwischen als „Maestros de Maestros“ bezeichnen. Tausende von Tänzerinnen und Tänzern hätten bei ihnen Unterricht genommen, viele von ihnen lehrten nun selber. Doch das gelte offenbar nichts: Obwohl sie nun viel erfahrener seien als früher, bekämen sie kaum noch Engagements für Unterrichts-Wochenenden oder andere Veranstaltungen.

Unsere westliche Kultur sei darauf ausgerichtet, „die ältere Generation auszusortieren“. Das gehe auch einst berühmten Kollegen so. Sie sehe das aber als Chance, sich anderen Betätigungsfeldern zuzuwenden. Und den Tag zu genießen.

Hier der gesamte (englische) Text:

https://melinas-two-cent.blogspot.com/2023/04/growing-old-in-tango.html

Bekanntlich vertrete ich im Tango ziemlich andere Sichtweisen als Melina Sedó, welche wesentlich am konservativen Rücksturz des Tangos hierzulande beteiligt war. Ich habe das in einer Reihe von Artikeln dargelegt:

https://milongafuehrer.blogspot.com/search?q=melina+sed%C3%B3

Dennoch halte ich ihren Text für interessant. Und in mancher Hinsicht stimme ich ihr sogar zu. Vor allem, was die Missachtung älterer Frauen im Tango betrifft. Dagegen habe ich immer wieder angeschrieben.

Anderes, wie die Behauptung der Abwanderung guter Tänzerinnen und Tänzer aus den lokalen Szenen, nehme ich als Retro-Folklore gelassen hin.

Generell sehe ich es als natürlichen Lauf der Dinge, dass Ältere irgendwann durch die jüngere Konkurrenz verdrängt werden. Sonst wäre keine Weiterentwicklung – egal wo – möglich. Damit müssen wir Senioren uns abfinden.

Im Tango wird diese Tendenz dadurch verstärkt, dass unser Tanz ständig als erotisches Frischfleisch-Angebot präsentiert wird – die Fotos in der Tango-Werbung sprechen da Bände. Klar, dass der Kunde dann auf das Mindesthaltbarkeits-Datum schaut.

Abgesehen davon hätte ich auch die jüngere Melina Sedó nebst Partner nie zu einem Workshop eingeladen, da ihr Tangostil schon immer diesen Methusalem-Anstrich hatte. Aber das ist nur meine Einzelmeinung…

Was mich selber betrifft (immerhin bin ich über zehn Jahre älter als die beiden):

Ich mache mir um mein Alter kaum Gedanken, da es mir seit Jahren die Freiheit gibt, nicht mehr arbeiten zu müssen und so ungehindert meinen Leidenschaften nachgehen zu können.

Ein großer Vorteil war in dieser Hinsicht die Tatsache, dass der Tango in den Jahren viel schneller gealtert ist als ich. Während vor 20 Jahren viele noch zu heftiger Musik auf dem Parkett herumsprangen, ist inzwischen oft andächtiges Gehen im Kreis völlig ausreichend. Und das kriege ich noch in zehn Jahren hin.

Klar, ich kann heute keine fünf Tandas mehr hintereinander tanzen. Bei dem üblichen Musikangebot empfinde ich das jedoch als Gnade. Und obwohl ich oft der Älteste auf dem Parkett bin, muss ich auf vielen Milongas aufpassen, dass ich mir wegen „ausufernden Bewegungsdrangs“ keine scheelen Blicke einfange. Oder meine Partnerin zu sehr irritiere.

Sicher, ich mag und kann heute keine weiten Tangoreisen mehr machen. Aber auch früher habe ich mich – nach einigen negativen Erfahrungen – vom „Festival-Zirkus“ ferngehalten. Wenn wir mal einige hundert Kilometer weit fuhren (oft wegen einer Buchvorstellung), kam ich meist zum Ergebnis: Kennst du eine Milonga, kennst du alle. Und das wird durch die grassierende Normierung des Tango in Musik und Tanzstil nicht besser.

Also, warum in die Ferne schweifen – das weniger Gute kann man doch auch näher haben!

Über einen Mangel an Tanzpartnerinnen muss ich mich ebenfalls nicht beklagen. Erstens – wofür ich nichts kann – bin ich ein Mann, der sich daher im Tango bei dem Thema leichter tut. Weiterhin gibt es in meinem nahen Umfeld einige hervorragende Tangueras, die sich auch bei zunehmendem Greisenalter noch meiner erbarmen werden. Und drittens: Vielleicht ist es für die eine oder andere Frau doch interessant, sich mal einem ziemlich anderen Tanzstil auszusetzen.

Daher habe ich mit dem Älterwerden vielleicht weniger Probleme als andere, die keinen Tango tanzen. Es ist ein wunderschönes Hobby, das man auch in vorgerücktem Alter noch betreiben kann.

Und was die „Freundschaften“ in unserem Tanz betrifft: Das meisten Kontakte sind – auch wenn sie öfters von viel Getue begleitet werden – doch ziemlich oberflächlich. Auch dafür mag ich nicht durch halb Europa reisen.

Leider sieht Melina Sedó eher sich als ein weit ernsteres Problem: Wo sind denn heute die Zwanzig- oder Dreißigjährigen, die mit dem Tango anfangen? Mit dem derzeitigen Senioren-Tanzstil und der Museumsmusik kann man junge Menschen kaum zu unserem Tanz locken.

Dieselbe Entwicklung gab es in Argentinien, wo der Tango in den 1970er Jahren als „Tanz der Alten“ auszusterben drohte. Ob dann nochmal Komponisten wie Astor Piazzolla und Ensembles wie das „Sexteto Mayor“ kommen, welche die Karre aus dem Dreck ziehen, darf man bezweifeln.

Irgendwie erinnert mich die Situation an eine meiner Lieblingskomödien, den „Raub der Sabinerinnen“ in der wunderbaren Filmfassung von Kurt Hoffmann. Die jugendliche Naive einer kleinen Wanderbühne beklagt sich bei der Frau Direktor, dass sie stets die „alten Weiber“ spielen müsse. Die Gattin des Prinzipals, welche in vorgerücktem Alter das junge Königstöchterchen gibt, antwortet ihr:

„Wir haben alle mal alt angefangen!“

Illustration: www.tangofish.de

Kommentare

  1. Nun, leider ist Dir wieder mal ein Fehler unterlaufen.
    Diesmal nicht im Spanischen (das Du ja nach eigenem Bekunden nicht beherrschst) sondern im Englischen.
    Melina schreibt :'In Argentina we’d be called "maestros of the maestros" '
    Du hingegen zitierst sie indirekt mit dem Satz: 'In Argentinien würde man sie und ihren Partner inzwischen als „Maestros de Maestros“ bezeichnen.'
    Da scheint es doch stark an den Kenntnissen des Angelsächsischen im Hause Riedl zu hapern:
    Melinas Aussage sollte man übersetzen als 'In Argentinien würde man uns "Maestros der Maestros" nennen'.
    Melina drückt also eine Erwartung aus, und sie behauptet nicht ein Faktum, wie Du es darstellst.
    Das Wort "inzwischen" ist übrigens auch nicht von ihr erwähnt worden.
    Ich möchte Dir für die Zukunft empfehlen, nicht nur spanische Texte, sondern auch englische Texte vorab mit jemandem durchzusprechen, der diese Sprachen beherrscht. Ist vielleicht aber zu viel von Dir verlangt?
    Amüsierte Grüsse aus Berlin
    T.C.

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    1. Oh man(n)....manche Menschen scheinen wirklich zuviel Zeit und keine anderen Hobbies zu haben 🙄

      Also ich finde, das Alter hat einen entscheidenden Vorteil: Je älter man wird, um so weniger scheißt man sich. Es ist mir inzwischen völlig egal, wie ich beim tanzen aussehe (ok, ich gebe es zu: nicht völlig. Ich schaue schon noch in den Spiegel, bevor ich aus dem Haus gehe 😉), oder was andere von mir oder meinem Tanzstil denken.
      Und falls tatsächlich irgendwann mal gar niemand mehr mit mir tanzen mag...es gibt soviele Tanzarten, für die frau keinen Partner braucht. Oder ich fange doch noch an, das führen zu lernen. Nur momentan habe ich noch zu viele Tanzprojekte und -baustellen, um noch etwas Neues anzufangen...vielleicht, wenn ich mal in Rente bin (in ca. 7 Jahren).

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    2. Lieber Tobias Conrad,

      schade, dass Sie die Kritiker meiner Artikel durch Ihr abfälliges Geschwätz diskreditieren. Um mich inhaltlich zu widerlegen, müssten Sie sich erstmal mit dem Inhalt meiner Texte beschäftigen, anstatt sich an Haarspaltereien zu delektieren. Aber das scheint Ihnen zu schwierig zu sein.

      Machen Sie es besser, anstatt als kleinkarierter Nörgler rüberzukommen!

      Beste Grüße
      Gerhard Riedl

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    3. Liebe Carmen,

      na, da hast Du ja noch viel Zeit!
      Ich kann Dir nur voll und ganz beipflichten. Der Tanz - und ganz besonders der Tango - ist dann überzeugend, wenn er ein Ausdruck der Persönlichkeit ist. Und nicht, wenn er zur sklavischen Befolgung von Regeln verkommt.

      Ich meine auch, dass es älteren Tänzerinnen und Tänzern leichter fällt, unbeeindruckt von Kritik und Genörgel einen persönlichen Stil zu entwickeln. Ob der anderen gefällt oder nicht, ist zweitrangig.

      Liebe Grüße
      Gerhard

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    4. Tango hat mich (noch) mehr in die Welt geführt, als es meine Reiselust bereits getan hat. Auch ist Tango für mich noch immer Tango-Wonderland - es fasziniert mich, wie sich zwei Menschen, die sich u.U. gerade erst begegnen, so innig aufeinander einlassen und in Harmonie zusammen bewegen (hier bitte keine Sex-Sprüche, liebe Leser und potentielle Kommentatoren, diese pubertäre Phase haben wir doch lange hinter uns gelassen). Tango ist mit Offenheit und Respekt verbunden, und das liebe ich daran.
      Und doch, eine Milonga ist kurz, wir begegnen unseren liebgewonnenen Tänzerinnen und übersehen dabei andere - bei der nächsten Milonga blicke ich auch in die Augen mir unbekannter Tänzerinnen, versprochen.
      Grüße, Phil Ottgen
      PS: Come on, Gerhard - gib Dir einen Ruck, und geb auch mal Fehler zu. Es ist nicht der einzige Schnitzer; ich empfehle, den Originaltext zu lesen.

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    5. Lieber Phil Ottgen,

      ich verlinke andere Texte stets, damit sie meine Leserinnen und Leser im Original lesen können.

      Ich muss aber bei längeren Artikeln zusammenfassen, damit es nicht zu umfangreich wird. Daher verwende ich eher Paraphrasierungen statt wörtlicher Zitate bzw. Übersetzungen.

      Inwiefern ich den Sinngehalt von Melinas Artikel dadurch verändert habe, leuchtet mir nicht ein.

      Fehler gebe ich nicht nur zu, sondern korrigiere sie im Text. Allerdings muss man mich schon überzeugen, was da nicht korrekt ist.

      Insgesamt verstehe ich nicht, was dein Kommentar mit dem Inhalt meines Textes (Älterwerden im Tango) zu tun hat. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass mir Leser lediglich schreiben, welche Assoziationen ihnen bei meinen Texten einfallen. Das hat aber mit der Sachtext-Form eines Kommentars nichts zu tun.

      Aber keine Angst - ich erwarte nicht, dass du deinen Fehler zugibst!

      Beste Grüße
      Gerhard Riedl

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