„Kannste nicht mal…?“

Gerade DJs, die ein gemischtes Musikprogramm zusammenstellen, sehen sich oft diversen Ansprüchen ausgesetzt. Ein Leser, der von einer ansonsten recht erfolgreichen Milonga berichtete, schrieb gestern auf Facebook:

„Nach zwei Non-Tango Tandas am Stück fragt mich jemand: Kannste nicht mal wieder Tango spielen? Kurz danach: Nach zwei klassischen Tandas fragt mich jemand: Kannste nicht mal wieder was Modernes spielen?

Mein Fazit: Die Geschmäcker sind halt sehr verschieden, und kluge Abwechslung wirkt integrativ statt ausgrenzend.“

Ich gestehe, dass mir bei diesen „Kannste nicht?“-Fragen der Kamm schwillt. Ich kenne die sehr gut aus den Zeiten, in denen ich noch öffentlich auflegte: Der deutsche Tangotänzer ist ein Anspruchsinhaber. Nachdem er fünf bis zehn Euro für eine stundenlange Musikunterhaltung gelöhnt hat, fühlt er sich kurzfristig berufen, ans DJ-Pult zu wackeln, wenn ihm die Beschallung irgendwie verdächtig erscheint, und seine seltsamen Wünsche darzutun. Der Auflegende freut sich ja sicher über das Feedback! Wobei die Anhänger des historischen Tango nach meiner Erfahrung eine geringere Frustrationstoleranz aufweisen. Die kommen meist schon nach einer „falschen“ Tanda.

Und was macht der arme DJ? Wegen einer solchen Einzelmeinung wirft er hektisch seine lange vorbereitete Setlist über den Haufen, was dem Kenner meist auffällt. Besser wird das Programm dadurch so gut wie nie – nur anders. Und wer sagt einem, dass der eine Beschwerdeführer wirklich den Geschmack der Gäste insgesamt repräsentiert?

Heute würde ich auf eine solche „Kannste nicht?“-Frage antworten: „Kann ich schon, ich will aber nicht!“

Auf den über 3000 Milongas, die ich schon besucht habe, bin ich in keinem einzigen Fall zum DJ gegangen, um ihn mit Anregungen oder gar Forderungen zum Musikprogramm zu nerven. Anlass dazu hätte sich mir in vielen Fällen geboten – gerne auch zu etwas gröberen Anmerkungen. Sehr oft war es nur ideenloser Mist, den ich da hörte. Schon deshalb habe ich stets die Klappe gehalten.

Vor allem aber finde ich: Was ein DJ zu bieten hat, ist ein „Gesamtkunstwerk“. In drei oder mehr Stunden muss ich ihm die Chance geben, mir seine Vorstellung von Tangomusik zu verdeutlichen: Was treibt ihn selber auf die Tanzfläche, welche Strömungen in der mehr als hundertjährigen Tangogeschichte kennt er, welche davon gefallen ihm besonders gut? Hat er die Fähigkeit zu integrieren, also sich auf die unterschiedlichen Geschmäcker der Anwesenden einzustellen?

Von meinen Zauber- und Moderationsauftritten weiß ich: Das Publikum redet die ganze Zeit mit einem. Wenn man Glück hat: stumm. Der Künstler muss fähig sein, diesen wortlosen Dialog zu führen. Speziell ein DJ sollte Stimmungen erkennen und fähig sein, sein Musikprogramm entsprechend anzupassen.

Freilich: Allen kann man es nicht recht machen. Muss man auch nicht. Schon gar nicht denen, welche meinen, man habe nur für sie persönlich aufzulegen.

Gehen solche Zeitgenossen bei einem Konzert in der Pause zum Dirigenten und fragen ihn, ob er im zweiten Teil statt Mozart nicht Stockhausen spielen könne? Oder hätten sie Picasso beim Malen über die Schulter geschaut und ihm den Tipp gegeben: „In der linken unteren Ecke fehlt noch ein wenig Gelb“?

Meine oft abweichenden Vorstellungen vertraue ich dann halt meinem Blog an. Dort kann man es bei Interesse lesen. Oder es lassen, wenn man es für deppert hält.

Aber, weil wir schon dabei sind: Ich hätte natürlich auch einige „Kannste mal?“-Fragen. Dabei muss ich gar nicht lange zurückdenken.

Lieber DJ!

Kannste nicht vermeiden, mir meine Stimmung schon in der ersten halben Stunde zu vermiesen?

Neulich lautete die Ansage eines Veranstalters: „Wir beginnen nun mit dem Tango argentino“. Als erstes Stück gab es dieses:

https://www.youtube.com/watch?v=07xTvC5a9YQ

Meine spontane Reaktion – glücklicherweise nur für meine Begleiter hörbar: „Nein, wir beginnen mit dem ‚Tango d‘ Amélie‘!

Sorry, aber die ersten Stücke eines Programms sollten signalisieren, was bei der Milonga zu erwarten ist: Tango oder das bei Neos verbreitete Ragout aus Film- und Weltmusik.

Die anfänglichen Titel müssen bei mir das Gefühl erzeugen, dass ich lieben alten Bekannten begegne, auf die ich mich schon sehr gefreut habe. Und nicht irgendwelchen Hanseln, mit denen ich in dieser Situation überhaupt nicht gerechnet hätte!

Was mir auch sehr vertraut ist: Zu Beginn ist unglaublich Intellektuelles zu hören, das nach der Masterarbeit von Musikstudenten klingt – so aus der Rubrik „Selbsthilfegruppe für depressive Soziologen“. Meist mit „Melodien“, die ich nicht kenne und die ich mir auch weder merken kann noch mag. Da beginnt sich bei mir, von den Füßen aufsteigend, Eiseskälte zu verbreiten.

Kannste auch mal was Gesungenes spielen?

Typisch ist für mit der Blässe des Gedankens behaftete DJs, dass es ganz viel Instrumentalmusik gibt. Klar, zu dem Zeug kann und will auch keiner singen… Persönlich halte ich den Sänger (oder die Sängerin) für das wichtigste „Instrument“ im Tango. Wer den hochgelobten Film „Adiós Buenos Aires“ gesehen hat, dem sollte aufgegangen sein, welch wichtige Rolle die Tangotexte spielen. Den einen oder anderen sollte man auch mal in einer Übersetzung lesen. Es sind oft kleine „Opern“ – aber in dreieinhalb Minuten statt der entsprechenden Stundenzahl. Oder „Chansons“, welche ohne die Textaussage ebenfalls ziemlich wertlos wären.

Auf meinem Blog könnte man einiges dazu nachlesen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Tango%20Texte

Kannste bitte aufhören, mich mit Balladen zu quälen?

Klar, langsame und verträumte Stücke können wunderschön sein und maximale Lust aufs Tanzen machen. Man denke nur an „Oblivion“ oder das „Love Theme“ aus dem Film „Cinema Paradiso“. Leider bietet die moderne (meist tangoferne) Unterhaltungsmusik jede Menge von aus drei Harmonien zusammengeklöppelter Sülze, welche mit Studioeffekten auf viereinhalb Minuten ausgewalzt wird. Gelegentlich erklingt dabei als Alibi auch ein suizidales Bandoneón…

Ich fürchte, dass gerade ambitionierte DJs oft vier und mehr Sachen aus dieser Abteilung hintereinander spielen, um den Vorwurf zu entkräften, sie böten „schwer Tanzbares“. Klar, das Balladen-Gedudel kann man unter (dazu unbedingt nötiger) Ausschaltung des Großhirns endlos im Vierviertel-Schritt durchtappen. Persönlich zöge ich es vor, Gras beim Wachsen zu beobachten – statt sowas immer wieder ertragen zu müssen:

https://www.youtube.com/watch?v=AIR5XPWK3Vk

 Kannste bitte einfach mal nichts sagen?

Ich weiß nicht, wie es gerade Neo-DJs schaffen, ständig von einem Anwesenden zum anderen zu rennen und ihn vollzulabern. In meiner aktiven Zeit hat es mich sogar ziemlich gestört, während des laufenden Programms angesprochen zu werden. Es lenkte mich ungemein von der Musik und der Beobachtung der Tanzenden ab.

Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, bietet lieber eine durchdachte und fallweise angepasste Musikauswahl statt Kurzreferate zu allem Möglichen. Eure Ansichten zur Kommunalpolitik oder zum Heizungsgesetz interessieren mich momentan nicht die Bohne! Zu euren Titeln tanzen dürft ihr aber gerne – so kriegt ihr vielleicht mit, ob es eine gute Wahl war, was ihr da den Besuchern vor die Füße kippt!

Da lobe ich mir traditionelle Aufleger, die – meist in erhöhter Position – reglos vor dem gemeinen Volk thronen. Oft vor der Wirklichkeit mittels Kopfhörern sowie ideologischer Überzeugung geschützt. Man müsste nur den Strom abdrehen, dann wäre die Performance perfekt…

Kannste bitte nicht immer originell sein?

Für progressive DJs scheint es rufschädigend zu sein, alte Kracher mal in der Originalversion zu spielen. „Vida mía“ von Fresedo persönlich? Nein, wie ideenlos! Aber glücklicherweise hat man eine Version dieses Titels entdeckt, bei der Studierende beim alternativen Kulturfestival in Bisping an der Knatter dieses Stück mit Sitar und Reisschalen zu Gehör bringen.

Liebe DJs, es gibt oft einen guten Grund, warum viele Aufnahmen noch nie auf einer Milonga gespielt wurden: Weil’s scheiße klingt und daher meilenweit vom Zauber des Originals entfernt ist!

Könnt ihr also bitte aufhören, mich mit Originalität beeindrucken zu wollen? Manche Tangos wurden halt bereits in den 1940er Jahren in einer unverwechselbaren Qualität geboten. Die darf man dann auch mal genauso auflegen, ohne sich seinen progressiven Ruf zu versauen.

Und, bitte, bitte: Bleibt weitgehend beim Tango. Er hat derart viele wunderbare und abwechslungsreiche Facetten. Mir würde das reichen.

Und wenn’s euch nicht genügt: Dann könnt ihr mich mal!

P.S. Wahrscheinlich werde ich nun wieder darüber informiert werden, dass es im Rheinland oder sonstwo viel besser sei und ich nur in der falschen Gegend wohne. Frauen pflegen zur Feststellung, dass die Kerle oft unerträglich mansplainende Exemplare seien, mit dem Amiga"-Satz zu anworten: Aber meiner ist ganz anders." 

Kommentare

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.