Neolongas? Zum Weinen!
Taufrisch, da von heute, veröffentlichte der Münchner Neo-DJ und Tangolehrer Jochen Lüders einen Artikel über den „Niedergang der Neolonga“. In Anlehnung an einen Kafka-Ausspruch nennt der Autor seinen Beitrag „Auf Neolonga gewesen. Geweint.“ Wobei Franz Kafka allerdings im Kino war. Ich halte beides für plausibel.
Was, so der Autor, wenn einem das „ewig gleiche, langweilige Geschrammel“ auf den üblichen Milongas zu den Ohren raushänge und man sich entschließe, es mal mit einer modernen Version zu probieren? In der Hoffnung auf „flotte Tangos, schöne Valses und schwungvolle Milongas“?
Lüders nervt es da schon, dass es keine Cortinas gebe. Wenn nicht alle zum selben Zeitpunkt wechselten, sei der gewünschte Partner immer gerade „beschäftigt“, und man tanze aneinander vorbei. Mir leuchtet diese Logik nicht ein: Eher setzt man mich unter Druck, wenn ich nur alle zwölf Minuten die Chance habe, jemanden aufzufordern. Ohne die Zwischenmusik wird das Ganze eher entzerrt, und man kann nach jedem Stück jemanden zum Tanz bitten, wenn die (oder der) mal gerade sitzt.
Amüsiert hat mich ein weiteres Argument: Man müsse als Führender „mitzählen“, wie viel Stücke schon getanzt wurden, weil man ja zumindest drei Tänze mit einer Partnerin vollführen sollte. Den Damen traut er die Grundrechenart der Addition offenbar nicht zu. Aber vielleicht sollte es Tangokurse geben, in denen das Zählen bis drei (oder vier) unterrichtet wird. Autodidakten sind dem Autor ja stets verdächtig…
Mehr leuchtet mir ein, dass Lüders „keine erkennbare musikalische Struktur“, geschweige denn Tandas, vorfindet:
„Auf einen Otros Aires Kracher folgt was Langsames, danach was von Rene Aubry, danach ein endloses, Lounge- / Chill- / WasAuchImmer-Stück, dann ein Vals, danach wieder irgendein undefinierbares Gedudel, danach Gotan Project usw. Man kann so etwas natürlich ‚abwechslungsreich‘ und ‚interessant‘ finden, ich finde es einfach nur nervig.“
Bekanntlich brauche ich keine festen Tandas, allerdings ist es natürlich das andere Extrem, irgendwas hintereinander aufzulegen. Das kann mir ebenfalls die Stimmung verhageln.
Weiterhin, auch da stimme ich Lüders zu, hält sich die Fantasie und Kreativität von Neo-DJs oft ebenso in Grenzen wie die ihrer traditionellen Kollegen: Wenn man „derart alte, abgehangene Otros Aires, Gotan Project und Bajofondo Schinken“ auflege, ergebe sich schon die Frage, wie lange der DJ seine Playlist schon abnudle. Den ganzen Abend lang gebe es „keinen einzigen normalen Tango“ (bzw. Vals oder Milonga). Als „Tang(uer)o“ sei er hier ganz offenbar nicht die Zielgruppe bzw. nicht erwünscht.
Zudem stören den Autor die Überblendungen von Titeln mit abrupten Stimmungswechseln sowie die oft hohe Lautstärke. Na gut, nachdem ich auf Milongas meine Hörgeräte nie dabeihabe, urgiert mich das nicht wirklich!
Lüders klagt auch darüber, dass Neolonga-Besucher oft andere Vorstellungen vom Führen und kreativem Tanzen hätten, so in Richtung Contango:
„Für Frauen steigt die Gefahr, dass sie ziemlich grob gepackt und herumgewirbelt werden, auf irgendeinen Oberschenkel hupfen sollen, bzw. unvermittelt (über den Oberschenkel) ‚flachgelegt‘ werden. In den seltensten Fällen wird sie gefragt, ob sie das überhaupt möchte, sie hat es einfach zu akzeptieren.“
Und manchmal richteten sich die Übergriffe sogar auf tiefere Regionen. Na ja, beim traditionellen Aneinanderpappen soll es manchmal auch zu Themaverfehlungen kommen. Dem Schweinen ist halt alles Schwein…
Als „traditionell Führenden“ verdrießt es Lüders, dass allzu selbstständige Damen permanent seine „Pläne durchkreuzten“. Ständig müssten es Ganchos und Boleos sein, und so mancher Tritt ende nicht zwischen seinem Geläuf, sondern an seinem Schienbein.
Na ja, lieber Jochen, vielleicht ist es auf Neolongas keine so gute Idee, nur auf die althergebrachte Art des Führens zu vertrauen. Mir sind natürlich die Tänzerinnen vom Typus „Heuschrecke“ ebenfalls vertraut – und ich versuche halt, ihnen aus dem Weg zu tanzen. Wobei sie mich meist weniger nerven als Untot-innen, die von mir nur übers Parkett geschoben werden wollen.
Sein Resümee: „Einmal und nie wieder, dann doch lieber ‚feine traditionelle Musik in achtsamer Ronda‘“.
Hier der Originaltext:
https://jochenlueders.de/?p=16229
Ach Jochen, ich versteh dich ja – aber so weit muss es wirklich nicht kommen! Ich kenne in München und der weiteren Umgebung (z.B. Freising und Attaching) durchaus Milongas, welche deinen und meinen Vorstellungen ziemlich nahekommen. Leider habe ich dich dort noch nie gesehen. In meiner „Empfehlungs-Gruppe“ auf Facebook könntest du entsprechende Einladungen finden:
https://www.facebook.com/groups/709302360797483
Also nicht gleich weinen!
In einem Punkt jedenfalls passt kein Blatt Papier zwischen uns:
Es ist eine Schande, dass heute
„zwei völlig getrennte Fraktionen in ihrem jeweiligen Paralleluniversum“
tanzen und möglichst effektiv versuchen, „die anderen abzuschrecken und
fernzuhalten“. Und wie man sieht, machen die üblichen Neolongas dabei
den Zweiten. Leider oft zu Recht.
Auch das müsste nicht sein.
Zum Weiterlesen: https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/02/leidfaden-fur-neo-djs.html
P.S. René Aubry kannte ich bislang nicht. Na ja, kann man schon mal drauf tanzen – muss aber auch nicht sein…
https://www.youtube.com/watch?v=RPBzosFHwM8
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