Ad personam


Als argumentum ad personam bezeichnet der Philosoph Arthur Schopenhauer (…) ein Scheinargument, das sich wie beim argumentum ad hominem auf die Person des Gegners richtet, dabei jedoch keinen Bezug mehr zum eigentlichen Streitthema enthält und ausschließlich sachlich irrelevante persönliche Eigenschaften angreift. Es benötigt im Gegensatz zum argumentum ad hominem keinen logischen Aufbau und besteht im Extremfall aus einer schlichten Beleidigung. Schopenhauer führt es als letztes Mittel in einem Streitgespräch an:

„Wenn man merkt, dass der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.“

Diese Vorgehensweise sei beliebt, da sie von jedermann angewandt werden könne. Im Gegensatz dazu sei die Fähigkeit zu einer sachlichen Auseinandersetzung und dem Eingestehen des eigenen Unrechts nicht jedem gegeben, und er bemerkt:

„Daraus folgt, dass unter Hundert kaum Einer ist, der wert ist, dass man mit ihm disputiert.“

Schopenhauer betont, dass ein dialektischer Sieg, also das sachliche Widerlegen einer Position, einen Streitgegner weit mehr erbittert als eine bloße Beleidigung, und empfiehlt dieses Vorgehen als Gegenstrategie.

Eigentlich sollten mich die laufenden Debatten sehr optimistisch stimmen: Meine Argumente zur Sache („ad rem“) sind offenbar so gewichtig, dass sich viele Diskutanten darauf nicht einlassen. Stattdessen versucht man immer wieder, persönliche Eigenschaften von mir zu hervorzuheben, die mich aus der Sicht meiner Gegner diskreditieren:

Derzeit sehr beliebt ist die Feststellung, dass ich als Pensionist zu viel Zeit hätte und daher solche Artikel schriebe. Ansonsten bliebe mir ja nichts mehr. Abgesehen davon, dass ich immer noch zwei- bis dreimal in der Woche zum Tanzen gehe und auch einige weitere Beschäftigungen habe:

Selbst, wenn das so wäre – sagt das irgendetwas darüber aus, ob meine Sichtweisen in der Sache begründet sind oder nicht?

Natürlich hebt man in dem Zusammenhang auch gerne auf mein fortgeschrittenes Alter ab. Aha, offenbar darf man also nur eine überzeugende Meinung im Tango haben, wenn man eine bestimmte Lebenszeit nicht überschreitet. Wird viele in der Szene nicht gerade motivieren. Und man hat ja auch schon die Hoffnung auf mein baldiges Ableben ausgedrückt…

Nur: Sagt das alles irgendetwas darüber aus, ob meine Sichtweisen in der Sache begründet sind oder nicht?

Gerne wird auch abwertend auf meinen Wohnort „hinter den sieben Bergen“ hingewiesen. Stimmt. Ich lebe in einer Gemeinde mit gut 2000 Einwohnern. Mich würde nur interessieren, ab welcher Bevölkerungszahl Ansichten zum Tango richtig sein können – ab hunderttausend, einer Million, in Berlin oder nur in Buenos Aires?

Also: Sagt das alles irgendetwas darüber aus, ob meine Sichtweisen in der Sache begründet sind oder nicht?

Nicht zu vergessen: Ich war beruflich als Lehrer tätig. Das scheint einen heute generell gesellschaftlich unmöglich zu machen, jedenfalls aber die eigenen Ansichten zum Tango. Vorsichtshalber verraten die meisten Kritiker aber nicht, in welcher Profession sie tätig sind oder waren. Lieber verübt man verbalen Totschlag mit dem „Oberlehrer-Narrativ“.

Aber: Sagt das alles irgendetwas darüber aus, ob meine Sichtweisen in der Sache begründet sind oder nicht?

Ach ja, und Tango tanzen kann ich natürlich auch nicht. Dies wurde mir von Experten bestätigt, die es niemals gewagt haben, ein eigenes Tangovideo zu veröffentlichen – aber natürlich genau wissen, wie man diesen Tanz „richtig“ ausführt. Selbst wenn es der Wahrheit entspräche – darf man dann wenigstens noch über das Auffordern oder die Rolle der Geschlechter eigene Gedanken veröffentlichen?

Daher: Sagt das alles irgendetwas darüber aus, ob meine Sichtweisen in der Sache begründet sind oder nicht?

Man hat von mir auch schon im Verhörton wissen wollen, ob ich eine Ausbildung als Musiker oder Kritiker vorweisen könne – oder mir gleich bestätigt, ich hätte von Musik keine Ahnung respektive sei sowieso kein „Tango-Experte“. Kann schon sein – nur: Darf man nicht dennoch als Verbraucher Produkte bewerten?

Und überhaupt: Sagt das alles irgendetwas darüber aus, ob meine Sichtweisen in der Sache begründet sind oder nicht?

Schließlich gehöre ich auch dem falschen Geschlecht an: Als Mann (noch dazu als alter und weißer) sei ich ungeeignet, über bestimmte Themen zu schreiben. Frauen aus meinem Umfeld dagegen, die meine Einstellungen unterstützen, werden als vermännlicht hingestellt – oder man behauptet, sie würden ja nur so schreiben, weil sie von mir abhängig seien.

Jedoch: Sagt das alles irgendetwas darüber aus, ob meine Sichtweisen in der Sache begründet sind oder nicht?

Und natürlich behaupten genau diejenigen, welche mich persönlich angreifen, ich würde ständig andere beleidigen. Sind da Spiegelneurone im Einsatz?

Was mich etwas wundert: Noch niemand hat mich wegen meines Migrationshintergrunds abgewertet. Aber vielleicht klänge das derzeit doch etwas zu sehr nach AfD…

Ich schreibe das alles nicht, weil sich derzeit ein Jungrüpel (und das ist keine Altersangabe) aus der Berliner Tangolehrer-Szene über mich das Maul zerreißt. Der muss selber sehen, wie das mit seinem beruflichen Wirken in unserem so achtsamen Tanz vereinbar ist, welche Reklame es für ihn darstellt. Die Quote an Cassiels in dieser Welt dürfte konstant bleiben, da mache ich mir keine Illusionen.

Und klar, manchmal reizt es mich schon, dem einen oder anderen, den ich gelegentlich sogar persönlich kenne, einmal mitzuteilen, für welchen Pflaumenaugust ich ihn halte. Aber das geht nicht: Niemals darf der Gegner das eigene Niveau bestimmen.

Nein, ich grüble einfach darüber nach, ob Schopenhauer recht hat, wenn er sagt, „dass unter Hundert kaum Einer ist, der wert ist, dass man mit ihm disputiert.“

Doch, ein paar mehr sind es schon – und in solchen Momenten ist man sehr froh, dass es auch die gibt.

Dennoch – wenn ich einen Wunsch frei hätte, wäre es der:
mehr intelligente Gegner.

Foto: www.tangofish.de

Kommentare

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.