Die Frauen wollen es doch so!
Derzeit
tobt auf der Facebook-Seite von Thomas
Kröter wieder einmal eine verbissene Debatte über das, was nach Meinung
vieler Konservativer doch längst Allgmeingut auf den Milongas sei. So schreibt
der Berliner Tangoveranstalter Michael
Rühl:
„In
der Fläche ist der Cabeceo eine Erfolggeschichte. Vor 35 Jahren gab es ihn in
den Milongas nur am Rio de la Plata. Weils nur da Milongas gab. Jetzt gibt es
den Tango und Milongas, in Nordamerika, in Asien, Australien und Europa und
einigen Teilen Afrikas, und mit den Milongas hat sich der Cabeceo sehr wohl
ausgebreitet. Er ist da zu finden, wo es den Tango gibt. Ich meine, nicht in
allen Tangoveranstaltungen, aber in allen Orten. Ich finde, das ist eine
außerordentliche Erfolgsstory!“
(Post vom 8.10.19, von mir rechtschreibkorrigiert)
Na gut, über den Tango-Tellerrand
schaut er eher nicht hinaus. So musste ich ihm erst mühsam erklären, was ich
unter „konventioneller Aufforderung im
Kontext der 200-jährigen europäischen Balltradition“ verstehe.
Das fällt mir bei solchen Diskussionen immer wieder auf:
Tango-Menschen sind schon recht singulär
konditioniert: Die Einsicht fehlt völlig, was alles auf dieser Welt getanzt
wird und welches Zehntel-Promille-Segment
dabei dem Tango argentino zukommt. Und selbst da reißen seit mindestens 10
Jahren die erbitterten Debatten über Sinn und Unsinn solcher Códigos (die es so in keinem mir bekannten
Gesellschaftstanz gibt) nicht ab.
Ich bleibe dabei: Die ganzen Riten werden der deutschen
Tangoszene seit mehr als zehn Jahren von oben her aufgedrückt. Eine zentrale
Rolle dabei spielte der inzwischen weitgehend verstummte Blogger Cassiel, der
in einer Reihe von Beiträgen für diese Rituale trommelte:
„Es ist schon eigenartig! Wir haben die argentinische
Musik importiert, wir haben den argentinischen Tango importiert und wir werden
nicht müde zu betonen, dass man den
Tango ‚überall auf der Welt‘ tanzen kann. Nur bei dem Import des cabeceo
hakt es gewaltig. Dabei ist das die reizvollste Art, Unfälle und Herabsetzungen
beim Tango zu vermeiden.“
Die heutige Lesart, Frauen und Männer seien dabei
gleichberechtigt, wollte sich aber nicht mal er so ganz zu eigen machen:
„Und wo liegen die Vorteile für die Frau? Ich bin mir
nicht ganz sicher, ob es immer der Mann ist, der auffordert. Tangueras, die mit mir tanzen wollen, brauchen
mich nur lange genug anzuschauen, dann fordere ich sie schon auf.“
Na eben – allerdings kann sich diese Zeit gerade für
unbekannte, unspektakulär gekleidete und ältere Frauen einige Stunden
hinziehen. Aber das ist keine Benachteiligung – i wo – sondern einfach der
natürliche Lauf der Welt…
Was sich allerdings derzeit ändert: Postete man früher
gerne vollmundige Regeln zur „Milonga-Etikette“, so ist man heute vorsichtiger
geworden. Man könne doch auf den Milongas auffordern, wie man wolle. So
schreibt der DJ Manuel Frantz:
„Ich hab noch nicht eine einzige Milonga gefunden, auf der es ein Diktat
gab, wie aufzufordern sei.“ (Post vom 11.10.19)
Und auch
sein Kollege Andreas Lange
assistiert ihm:
„Toll, das man auf
den meisten Milongas so auffordern kann, wie man mag!“
Nehmen wir einmal eine Ankündigung wie die einer heute stattfindenden Milonga:
„Mirada & Cabeceo, eine Umarmung, die sich gut
anfühlt, feinfühlig und musikalisch tanzen. Freude, Kommunikation,
Zurückhaltung, Melancholie: alles hat seinen Platz im Sur.
Hervorragende DJs
legen feine traditionelle Musik aus dem Goldenen Zeitalter des Tango (Epoca de
Oro) in Tandas & Cortinas auf. Hier findest du harmonisches Ambiente zum
Genießen. Wir freuen uns auf Tangueras und Tangueros aus Nah und Fern, die das
Tanzen in einer rücksichtsvollen Ronda mögen.
Im SUR-Tanzsaal kann
die Ronda in drei Bahnen getanzt werden.“
Klar,
Verbote, gar Rauswurfdrohungen veröffentlicht heute kaum noch ein
Tangoveranstalter (jedenfalls außerhalb der Oberpfalz) – kommt marketingmäßig
schlecht an.
Aber
versetzen wir uns doch einmal in die Lage einer Single-Frau, die eine solche Veranstaltung besucht, nachdem sie
diesen Text gelesen hat: Sie weiß doch (bei einiger Tangoerfahrung) genau, in welches traditionelle Hochamt sie da gerät und wie sie daran mitwirken muss: mit orthodoxem Verhalten – Sitzen und Gucken.
Leider
darf ich nicht aus privaten Mails
von Tänzerinnen zitieren, die mich
zu diesem Thema immer wieder erreichen. Klagen über stundenlanges Herumsitzen und Ignoriertwerden sind da die Regel. Aber man möchte auf keinen Fall
seinen Namen unter solchen
Bekenntnissen lesen, sonst werde man gar nicht mehr aufgefordert.
In
diesen Situation wissen die Damen natürlich, was gar nicht geht: einen Mann direkt ansprechen und um einen Tanz bitten. Und zwar nicht nur,
weil man einen Korb zu fürchten hat!
Sollte nämlich die Aufforderung klappen, wird man anschließend von den Kolleginnen gedisst: Was fällt denn der
ein, sich nicht an die Regeln zu halten und uns die Tänzer wegzuschnappen? Und
auch insgesamt dürfte sie von den dort herrschenden
Cliquen zur Persona non grata erklärt werden.
Der
soziale Druck, der auf solchen
Veranstaltungen aufgebaut wird, ist riesig. Verbieten muss man da gar nichts mehr.
Auffallend
ist auch, dass sich an den ganzen Debatten auf Thomas Kröters Facebook-Seite
nicht eine einzige Dame beteiligt hat. Stattdessen führen die Männer das Wort
und erklären, was die Frauen wollen.
So schreibt Manuel Frantz:
„Viel weiter
verbreitet ist die meiner Meinung nach legitime Haltung, nur per Cabeceo
aufgefordert werden zu wollen und ansonsten Körbe zu geben. Diese Haltung
scheint mir vor allem bei Frauen (denen die von Gerhard Riedl behauptete
Benachteiligung nichts auszumachen scheint) verbreitet zu sein.“
(Post
vom 11.10.19)
Ähnlich
Christian Paschen: „Es geht um einen sehr
traditionellen Paartanz, etwas was es sonst im Alltag kaum noch gibt, und viele
tanzen Tango eben gerade deshalb, nach meinem Eindruck insbesondere auch die
Damen.“
Dieser Effekt ist ja nicht neu: „Warum sie will, was er will“
untertitelt die Psychologin Sandra
Konrad ihr Buch „Das beherrschte Geschlecht“.
Frauen sind Meisterinnen der Anpassung. Das geht so weit, dass sie sich oft männliche Erwartungen so sehr zu Eigen machen, dass sie diese für
die eigene Auffassung halten.
Ich möchte nun aber nicht als Mann den Frauen die Frauen
erklären. Ich bitte nur, einmal darüber nachzudenken, warum man im Tango diese
ganzen weiblichen Rollenklischees –
von High Heels bis zu demütigem Abwarten – zu erfüllen trachtet: Weil’s einem
wirklich Spaß macht oder die Kerle das fordern?
Ich warte nun schon seit Jahren darauf, dass mir eine Tanguera wegen der meinerseits überwiegend praktizierten direkten Aufforderung einen Korb
verpasst. Bislang hat dies von den zirka 3000
Tänzerinnen, mit denen ich bereits auf dem Parkett war, keine einzige getan
(wobei ich die Körbe in mehr als 50 Jahren Gesellschaftstanz an zwei Händen
abzählen kann).
Ich sehe daher einen wesentlichen Unterschied in der männlichen und weiblichen Motivation: Die meisten Frauen wollen einfach viel
tanzen – wie sie aufgefordert werden, ist ihnen eigentlich ziemlich schnuppe. Für viele
Männer dagegen ist es eine
Horrorvorstellung, nicht mehr das Auswahl-Privileg
zu besitzen und daher weiblichen Aufforderungen schutzlos ausgeliefert zu sein.
Daher setzen sie erbittert auf den Cabeceo
als Abwehrwaffe.
Letztlich können die Damen dieses Problem nur selber
lösen: Indem sie sich von den Herren nicht mehr erzählen lassen, was sie angeblich wirklich wollen.
Auf Thomas Kröters Facebook-Seite ist immer noch der Teufel los. Insbesondere ein Tangolehrer und Musiker hat sich nun mich als Feindbild erwählt. Dort schreibt er zu meinem Artikel:
AntwortenLöschenPablo Fernandez Gomez: „Gerhard Riedl, ich habe leider deinen Artikel gelesen... traurig... peinlich... lächerlich... kann mich nicht für ein Wort entscheiden!! Wie schon viele da herum sagen: ‚Der ist nur einer der nichts mehr zu tun hat und will noch glauben dass er etwas noch zu beitragen hat... zwar online...‘. Kein einziges Argument dass man nicht ganz leicht abreissen könnte. Also ich hatte recht! Du hast keine echte Argumente! Danke, dass du es uns allen gerade aufgeklärt hast ;) (….) Es tut mir irgendwie auch leid... es ist etwas traurig dass jemand mit den Jahren so wird, oder warst du immer so? ... Trotzdem verstehe ich, dass du nichts mehr zu tun hast.“
(Quelle: FB-Post von Thomas Kröter, 8.10.19)
Wie gehabt: Lediglich Angriffe auf meine Person, seine guten Argumente nennt er nicht, sondern behauptet nur, er hätte welche. Ja, und zur argentinischen Folklore gehört ja auch der zwingend der Messerkampf unter Rivalen – kann man in jedem besseren Tangotext nachlesen.
Aber ich verstehe ja die Erregung: So man in dieser Branche Geld verdienen will (oder muss), verliert man eventuell weibliche Kundschaft, wenn auf Benachteiligungen von Frauen hingewiesen wird. Ganz schlecht fürs Image und G’schäft…
"Weil’s einem wirklich Spaß macht oder die Kerle das fordern?"
AntwortenLöschenOder doch, weil Frauen anders als Männer sind und hervorragend darin sind, sich gegenseitig zu disziplinieren? Also das, was auch als "Krabbenkorbeffekt" bekannt ist?
Wie gesagt, als Mann sollte man sich hüten, den Frauen ihr Verhalten zu erklären. Ich habe mich lediglich bemüht, bei den Damen ein Nachdenken über solche Themen anzuregen.
LöschenAber unter uns: Der "Krabbenkorbeffekt" würde mir schon einleuchten.
Ich will eigentlich weniger den Frauen ihr Verhalten erklären, sondern eher mir selber ;-)
LöschenDas ist generell aussichtslos - leider!
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