Nuhr keine Satire
„Sapere
aude!“
(„Habe
Mut, dich deines eigenen Verstands zu bedienen!“)
Immanuel
Kant, 1784
Für
alle, die durch Fakten noch
erreichbar sind: Der Gastgeber greift bei diesem Auftritt unter anderem folgende Personen, Instanzen und
Erscheinungen an:
Gender-Sprech,
Justin Trudeau, den Berliner Senat, Björn Höcke, die Bundesregierung (wegen
ihres „Klima-Pakets“), die Bundesbahn, den japanischen Walfang, das Berliner Landgericht
(wegen seiner Entscheidung, die Beleidigungen gegen Renate Künast seien legal)
sowie die geschlechterspezifische Quotierung.
Nuhrs
MitstreiterInnen, vor allem Monika
Gruber, beteiligten sich lustvoll an der unbotmäßigen Häme über „progressive“ Zeiterscheinungen. Lediglich Lisa Eckhart lieferte einen politisch
korrekten Beitrag über volle Tampons beim Strandurlaub. Da blieb der Shitstorm
aus.
Und
ja, auch Greta Thunberg war Ziel von
Nuhrs Sticheleien.
Letzteres
hätte der Kabarettist lassen sollen. Im Internet tobte darob die Empörung:
„Seine Einspieler im
NDR sind wie Ausschnitte einer AFD Veranstaltung.“
„Aber der Greta-Part
im Fox News-Stil war geschmacklos, unfair und obszön. Und unwitzig.“
„Seit dieser ‚Show‘
und Ihren darin getätigte Aussagen über @GretaThunberg weiss nun der gesamte
deutschsprachige Raum, dass Sie ein primitives, reaktionäres Arxxxloch sind.“
„Dieter Nuhr ist ein
reaktionärer Dummschwätzer. Das war er schon immer.“
„Dieser Nuhr ist der
personifizierte weiße Mann, der sich von Kindern angegriffen fühlt und nur mit
Gehässigkeit und beleidigendem Zynismus antworten kann.“
Dennoch
wagte ich es, das Video des Auftritts
auf meiner Facebook-Seite zu
empfehlen (Post vom 2.10.19). Auf diese Weise bekam ich vom großen Shitstorm ebenfalls leicht Windiges ab. Insbesondere zwei Kommentatoren arbeiteten sich an Dieter
Nuhr ab. In Auszügen:
„Was er sagt, ist
objektiv falsch und hat negative Auswirkungen auf unser Leben. Inwiefern ist
das Kunst oder glänzendes Kabarett? Das hat in Terminologie, Idee und Wirkung
mehr mit Populismus zu tun.“
„99,9% der seriösen
Wissenschaft steht hinter der Idee, dass der Klimawandel menschgemacht und real
ist. Das genügt mir, von ‚objektiv richtig' zu sprechen. Wenn Herr Dr. Nuhr da
andere Infos hat, möge er sie publizieren. Ich hoffe, wir können die
Konsequenzen aus dem Klimawandel besser hinnehmen als die Schenkelklopfer der ‚Spaßmacher',
die sonst nichts zur Lösung beitragen, als weiter Ignoranz zu schüren und sich
währenddessen für die eigentlichen Opfer halten.“
„Dazu
ist zu sagen, dass gerade unterhaltende Medien sehr effektiv darin sind,
Meinungen zu bilden und zu etablieren. Der Kabarettist oder Comedian hat also
durchaus eine Verantwortung, keine Miss-Informationen unters Volk zu bringen.
Schon gar keine, die wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen.“
„Aber
ich behaupte mal, dass die Überspitzung und damit der Rückschluss auf den Bezug
sichtbar sein muss. Bei dem, was Dieter Nuhr macht, ist das nicht erkennbar,
dafür lachen bei ihm die falschen Leute aus dem falschen Grund.“
Tja,
ist doch schön, wenn man weiß, aus welchem richtigen
Grund die richtigen Leute zu
lachen haben…
Noch
schöner drückte es der „Umweltaktivist“ Michael
Flammer aus, den ich ebenfalls auf FB zitierte:
„So viel Stimmung,
wie Sie gegen #FridaysForFuture machen, ist aus meiner Sicht keine Satire mehr.
Das ist reine Meinung.“
Sorry,
da muss ich seit Jahrzehnten etwas missverstanden haben: Ich dachte immer, die
Texte von Satirikern seien pure
subjektive Meinung, meist überspitzt,
um die Zuhörer aufzurütteln, zum Nachdenken zu bringen.
Etwas
ernster kann ich da schon nehmen, was nun über das „bürgerliche Kabarett“ zu lesen steht:
„Bürgerliches Kabarett
ist vor diesem Hintergrund ein Kuriosum: Hier gibt der Mächtige den Unterlegen
der Lächerlichkeit Preis. So wie der ‚Pleite-Grieche‘ sich Dieter Nuhrs Hohn
anhören durfte (…), muss jetzt Greta Thunberg für ihre finsteren Absichten vor
dem Gericht der Bürgerlichkeit bezahlen: Du willst das Klima retten, kleine
Göre? Dann frier‘ dir erstmal im Winter einen ab. Haha!“
Schießen Kabarettisten wie Dieter Nuhr also „nach unten“? Ich glaube nicht: Wer
seit Monaten massenhaft und folgenlos die Schule schwänzen darf respektive
weltweit unter den Mächtigen herumgereicht wird, hat großen Einfluss und ist daher satirewürdig.
Übrigens kann man solche Diskussionen meist
beenden, indem man zum Beleg der vollmundigen Verdammung Zitate fordert: Was hat denn Dieter Nuhr wirklich gesagt, das die Pöbeleien gegen ihn rechtfertigt? Die
Antwort ist meist donnerndes Schweigen.
Was mir beim Studium vieler Pressemeldungen auffiel: Aus der Sendung
wurden fast immer die gleichen drei Zitate verwendet, die offenbar ein
Journalist vom anderen abschreibt. Daher möchte ich die deutsche Presselandschaft
mit zwei weiteren O-Tönen des
Kabarettisten bereichern, die seine wirkliche Haltung aufzeigen:
„Verstehen Sie mich
nicht falsch: Ich finde es gut, dass es Greta gibt – ganz ehrlich – dass die
Dringlichkeit des Problems deutlich wird, dass die Ingenieure und Techniker mal
anfangen zu arbeiten (…) da kommt jetzt ein bisschen Zug rein, dank Greta.“
„Wie konnten wir das
wagen, ihr die Welt so hinzustellen, wie sie ist? Das kann ich ihr erklären:
Weil wir die Welt, so wie sie ist, nicht einfach hingestellt haben, sondern
weil die über Jahrhunderte entstanden ist. Diesen Vorgang nennt man Geschichte. Vor 250 Jahren haben wir
angefangen, eine Industriegesellschaft zu entwickeln – und als all das damals
mit der Dampfmaschine anfing, wussten die Leute noch nicht, wo’s enden wird.
Und wenn wir jetzt das, was sich historisch über Generationen entwickelt hat,
einfach abschalten, dann wird es Kriege geben, Bürgerkriege, Flucht,
Vertreibung – und nicht Millionen, sondern Milliarden Menschen werden sterben,
weit mehr als durch einen Klimawandel. That’s why we dare! Weil wir nicht
zurück können, sondern neue Technologien entwickeln müssen.“
Wir
Satiriker sind halt Kinder der Aufklärung,
die stets das rationale Denken vor (pseudo)religiöse Bekenntnisse stellt: „Sapere aude“. Nicht mehr, aber auch
nicht weniger möchte Dieter Nuhr: Dass jeder sich sein eigenes Urteil zu diesen Fragen bildet. Das bringt ihn im Konflikt
mit Zeitgenossen, welche eine klare Vorstellung davon haben, was ihre
Mitmenschen zu denken hätten.
Ich
fürchte, seit meiner Jugendzeit wurde bei den Vernagelten lediglich das Personal
ausgetauscht: Galten damals reaktionäre Politiker und Kirchenoberhäupter als
sakrosankt, so darf man heute progressive
grüne Heilsverkünder nicht in Frage stellen. Und das lustigerweise mit den
gleichen schafsdämlichen Argumenten:
Das sei ja keine Satire mehr, respektlos, beleidigend und obszön. Wie kann man
sich nur gegen das stellen, was derzeit alle Guten denken?
Da
werde ich in meinem hohen Alter so pubertär und aufmüpfig wie 1968:
„Yes, I dare!“
P.P.S. Damit der Text doch noch ins Tango-Blog passt: Ich habe schon lange nichts mehr von der Encuentro-Gemeinde über ihre vielen Reisekilometer zu diesen Treffen gelesen. Wäre klimatechnisch auch mal interessant...
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