Was Fachleute unter sich machen
Auf
einem Facebook-Forum für Tango-DJs
führt man nun seit zirka drei Wochen eine Diskussion über die vorschriftsmäßige
Verwendung von Milongas und ihnen ähnlicher Musik beim Auflegen. Ich hatte
davon berichtet:
Über
die zunächst als Synkopen bezeichneten Punktierungen führt der Meinungsaustausch
nun zur korrekten tänzerischen Umsetzung.
So
empfahl die Münchner DJane Theresa Faus ein Video mit den Worten:
Darauf antwortete ihr Kollege Leonhard
Jaschke:
„Ja,
ich weiss, dass Chicho das kann. Aber der Normalo-Tänzer begreift noch nicht
einmal, wenn Chicho off-beat tanzt, und off-beat ist noch nicht um ein 8tel
versetzt wie die Punktierung ... und wenn ich sehe, wie schwer sich bei uns die
Leute in den Kursen tun, wenn er ihnen versucht, das Konzept der Punktierung zu
vermitteln (schon nur im Tango), dann habe ich arge Zweifel.
Kleine Verständnisfrage: Kannst du im Video einen Zeitpunkt nennen, wo er die Punktierung tanzt?“
Kleine Verständnisfrage: Kannst du im Video einen Zeitpunkt nennen, wo er die Punktierung tanzt?“
Theresa
Faus: „Richtig mit
Fußaktionen tanzen Chicho und seine Partnerin die Punktierung ab 0:10 bis ca.
0:25 und wieder ab 1:40. Und da, wo er nicht die Füße auf die Punktierung
setzt, merkt man doch, wie sie im Körper mitläuft, z.B. bei der Aktion des
freien Beins bei 0:30.
Ich als Tänzerin für den Hausgebrauch würde die Punktierung mit Wiegeschritten tanzen, und zwar z.B. statt dem Traspie ‚1 - 2 und 1 - 2 und 1‘ würde ich tanzen ‚1 - y 2 - 1 - y 2‘. Natürlich nicht clave-mäßig durch den ganzen Tanz (so wie in der Tanzschul-Samba), sondern hin und wieder, wenn die Musik besonders klar dazu einlädt.
Ich als Tänzerin für den Hausgebrauch würde die Punktierung mit Wiegeschritten tanzen, und zwar z.B. statt dem Traspie ‚1 - 2 und 1 - 2 und 1‘ würde ich tanzen ‚1 - y 2 - 1 - y 2‘. Natürlich nicht clave-mäßig durch den ganzen Tanz (so wie in der Tanzschul-Samba), sondern hin und wieder, wenn die Musik besonders klar dazu einlädt.
Bei der weiteren
Debatte wurde mir schwindelig:
Leonhard Jaschke: „Da sieht man, wie unterschiedlich die Wahrnehmung sein kann.
(Voraussetzung: Milongarhythmus ist: (1)1/4.-(2y)1/8-(3)1/4-(4)1/4, Zählzeit sind
die 1/4) Für mich bedeutet ‚die Punktierung tanzen‘, dass man vor allem den
Moment ‚2y‘ tanzt, also die Achtel nach dem Punkt. Denn damit gibt man der
Punktierung ihre Länge. Wenn man die Achtel nicht tanzt, sondern nur 1,3,4,
dann tanzt man auf der Zählzeit, und damit unterscheidet sich das Tanzen in
Nichts vom Foxtrott. Im Video tanzt Chicho bei 0:29 sehr betont beim Einkreuzen
hinten mit dem freien Bein auf die Achtel. Seine Partnerin macht das schon
früher (frage mich, ob das geführt ist). Bei 0:24 tanzt er eine konsekutive
Verdoppelung (also 1-2-3-4 und gerade nicht 2y) und damit sogar gegen den
Milongarhythmus.
Um mit dem Traspie die Punktierung zu tanzen, muss das Traspie auf 2y gesetzt werden. Wenn man das Traspie auf 3 tanzt, wie ich es bei sehr vielen Tänzern sehe, dann ist es wieder auf der Zählzeit, und die Punktierung verschwindet im Tanz, da sie als halbe Note wahrgenommen wird.“
Um mit dem Traspie die Punktierung zu tanzen, muss das Traspie auf 2y gesetzt werden. Wenn man das Traspie auf 3 tanzt, wie ich es bei sehr vielen Tänzern sehe, dann ist es wieder auf der Zählzeit, und die Punktierung verschwindet im Tanz, da sie als halbe Note wahrgenommen wird.“
Theresa
Faus: „Das
nenne ich eine detaillierte Diskussion! Mal eben zur Terminologie: Die zweite
Note im Schaubild, hier eine Sechzehntel nach der punktierten Achtel, das ist
die, um die es geht. (Bei dir heißt die ‚2y‘ und bei mir ‚y2‘ - du zähltest bis
4 und ich bis 2, wegen 2/4 Takt).
Wenn man unter ‚Milonga
traspié‘ versteht, dass man pro Takt 3 Schritte macht, einen langsamen und 2
schnelle, dann tanzt Chicho, wenn er es tanzt, in der Tat auf 1 - 3 - 4 (in
deiner Terminologie). Aber manchmal macht er einen Schritt auf die ‚2y‘
zusätzlich zu anderen Schritten in dem Takt, eben bei 0:10 ff. Genau: sehr
schön das Einkreuzen bei 0:29.
Für den normal sterblichen Tänzer gäbe es z.B. folgende Optionen, die Punktierung zu tanzen: 1 -2y - 3 - 4 - 1 usw. (genau den Habanera Rhythmus; ) oder 1 -2y -3 -1 usw. (wie der Tanzschul-Samba-Rhythmus). Das heißt dann vielleicht nicht mehr ‚Milonga transpié‘, aber das ist ja egal.“
Für den normal sterblichen Tänzer gäbe es z.B. folgende Optionen, die Punktierung zu tanzen: 1 -2y - 3 - 4 - 1 usw. (genau den Habanera Rhythmus; ) oder 1 -2y -3 -1 usw. (wie der Tanzschul-Samba-Rhythmus). Das heißt dann vielleicht nicht mehr ‚Milonga transpié‘, aber das ist ja egal.“
(Zitate jeweils ungekürzt und in der
Original-Reihenfolge)
Meine spontane Reaktion war:
„Und ich Depp tanze
einfach dazu…“
Nein, im Ernst: Die hier von Francisco Canaro interpretierte „Milonga criolla“ ist ein anregendes
Stück, aber sicherlich nicht der Gipfelpunkt schwierig zu tanzender
Zweiviertler. Und was Chicho Frumboli and Laura Elizondo dazu machen, ist schon
ziemlich ausgefuchst und aus der „Don’t try
this at home“-Abteilung. Dennoch kann man etliche Ideen zu den
hauptsächlich zu sehenden Verdoppelungen und anderen „Heckmeck“ durchaus
übernehmen. Stück und Darbietung auf dem Parkett machen (jedenfalls mir) große Lust, dazu zu tanzen.
Die
würde mir aber schlagartig vergehen, wenn ich eine solche Musik mit den obigen Gehirnfieseleien zerlegen sollte – wobei
ich den Beteiligten Fach- und Sachkunde
in keiner Weise absprechen will.
Was
sie dann aber unter sich machen, zeigt aber sehr deutlich, wie unterschiedlich
die Herangehensweisen im Tango sein
können. Man sieht das ja an der Arbeit vieler DJs, vor allem aus der
klassischen Abteilung: Hat man eine Aufnahme gefunden, die man auflegen möchte,
so richtet man sein ganzes Bestreben darauf, nun mindestens zwei weitere Stücke vom selben
Orchester, möglichst aus demselben Jahr und mit dem identischen Sänger zu
finden, und endlich hat man – hurra – eine gültige Tanda! Ob die Zusammenstellung
dann besonders zum Tanzen reizt, scheint Nebensache zu sein.
Ich
fürchte nur, was dabei fehlt, ist der tänzerische
Instinkt. Wenn man eine Aufnahme hört, muss einem das Kribbeln in den Füßen
sagen: Dazu bitte unbedingt tanzen,
sonst tot! Klar versucht man dann, diese Einspielung irgendwie so
unterzubringen, dass eine musikalisch abwechslungsreiche Folge ohne große
Brüche entsteht – entscheidend aber bleibt: Das Stück muss es sein und kein anderes!
Ich
bevorzuge jedenfalls DJs, die möglichst viele unterschiedliche Kracher im Programm haben – ob sie
zwischendurch auch einmal Zeug spielen, auf das ich gut verzichten könnte, ist
sekundär.
Die
musikwissenschaftliche Analyse bringt nach meiner festen Überzeugung für die tänzerische Umsetzung genau
nichts – und deshalb sehe ich auch die grassierenden Workshops „musikalisches
Tanzen“ inzwischen mit großer Skepsis. Die Notierung
ist ja nur ein Hilfsmittel, damit
Kompositionsideen der Nachwelt erhalten bleiben. Der Musiker muss daraus wieder
die Musik erschaffen, die im Kopf
und am Klavier des Komponisten einmal entstand.
Ebenso
zeigt das Stenogramm einer Rede nur
eine Abfolge von Wörtern und Satzzeichen. Was diese Ansprache einmal
überzeugend und begeisternd gemacht hat, steht da nicht: Betonungen, Pausen,
Modulation, Mimik, Gestik und vieles mehr.
Daher
gibt es für mich nur einen Weg, seine tänzerische
Interpretation zu verbessern: ganz viel tanzen, zu möglichst
verschiedenartiger, herausfordernder Musik und mit wechselnden Partnern – und gute
Paare beobachten. Aus Texten wie den oben zitierten lernt kein Mensch
musikalischeres Tanzen.
Ich
fürchte, man bleibt sonst auf dem Level der Betrachtung von Partituren wie in einem meiner Lieblingswitze aus
dem kalten Krieg:
Die Wiener
Philharmoniker reisen zu einem Gastspiel nach Moskau. An der russischen Grenze
werden sie von sowjetischen Soldaten gefilzt. Die entdecken sehr schnell eine
Menge Notenmaterial.
Grenzer: „Ha! Was
chast du da? Geheimschrift?“
Musiker: „Nein, das
sind Noten.“
Grenzer: „Ha! Nix
Noten, Spionage-Material!“
Musiker: „Nicht doch!
Das ist eine Partitur von Beethoven.“
Grenzer: „Ha! Nix Partitur! Rede!
Beethoven hat schon gestanden!”
Ein Kommentar von Egon Wenderoth:
AntwortenLöschenEinfach nur köstlich!!!
Aber dann doch lieber mit Faust:
Der Worte sind genug gewechelt,
Lasst mich auch endlich Taten sehn;
Lieber Egon,
Löschentja, mit dem "Faust" trifft man meist ins Schwarze!
Vieles, was man heute im Tango hoch theoretisch abhandelt, funktioniert halt in der Praxis nicht.
Liee Grüße
Gerhard