Neues vom Faus-Recht


In einem DJ-Forum auf Facebook gab es kürzlich eine Anfrage, die man nur verstehen kann, wenn man mit den Eigenheiten der Szene vertraut ist: Eine Wiener DJane wollte wissen: Welche Ideen habt ihr, diesen Titel in eine Tanda zu packen?“

Im „traditionellen“ Tango kann man bekanntlich nichts damit anfangen, ein schönes Musikstück einfach aufzulegen. Nein – es hat in eine Tanda, also eine Folge von drei bis vier Titeln zu passen, die nach orthodoxer Regelkunde zusammengestellt sein muss. Sonst ist es wertlos.

Hier kam es aber noch schlimmer: Das Stück „Ay qué miedo tengo“ klingt zwar wie eine muntere und lustige Milonga (die man darauf auch wunderbar tanzen kann) und wurde 1930 von dem ideologisch unverdächtigen Orchester Francisco Canaro eingespielt – ist aber eigentlich ein Maxixe:


Ich hab mal nachgesehen:

„Der Maxixe (…) ist ein brasilianischer Tanz im 2/4-Takt, der auch als Brasilianischer Tango bekannt geworden ist. Er entstand zwischen 1870 und 1880 in Rio de Janeiro aus Vorläufern des Tango Argentino (Candombe und Milonga), aus der kubanischen Habanera und beeinflusst von der Polka und dem afrobrasilianischen Lundu.“

Es kam, wie es kommen musste: Neben einigen durchaus konstruktiven Vorschlägen meldete sich Manuel Frantz, von Alter, Erscheinungsbild und Liberalität eine Art Sebastian Kurz der DJ-Szene, warnend zu Wort:

„Wow, sowas tanzt man bei euch? Bei uns nur Tango, Vals, Milonga... (…) Es ist halt nicht Milonga. Wer gerne Milonga tanzt, wird sich nicht freuen, wenn du statt Milonga etwas anderes wie Maxixe spielst. (…) Cool, kannst du diese Tänze?“

Na ja, ob uns das weiter bringt?

 
Höchste Zeit, dass nun auch die Münchner DJane Theresa Faus, Schutzpatronin aller historischen Vierviertler, zu Wort kam:

Man könnte ja eigentlich schon Milonga drauf tanzen, es ist ja reichlich Habanera Rhythmus drin. Aber - ich hab es einmal aufgelegt, und irgendwie passte es nicht, und die Leute haben das auch gemerkt ...“

Irgendwie ergab sich nun eine feinsinnige Diskussion über verschiedenste Tänze, die mir teilweise nur vom Namen her bekannt sind, und ihre Eignung für eine „traditionelle“ Milonga: Foxtrot, Polca, Rumbita, Maxixa, Jotas/Rancheras“.

Originalton Faus:

„Wenn eine Milonga als traditionell angekündigt ist, dann erwarte ich Tango, Vals, Milonga und nicht Non-Tango. Und Foxtrot und Polka sind eindeutig Non-Tango. Ja ich weiß, in Buenos Aires werden in manchen Milongas Tandas aus Non-Tangos (Rock, ‚Tropical‘ oder Folklore) gespielt. Dann tanzen die Leute dazu aber auch Rock oder Cumbia oder Zamba und nicht einen Tango-Verschnitt.“

Außerdem stimme bei Polka und Foxtrott was nicht mit den Synkopen:

„Der riesige Unterschied zwischen Maxixe und Rumbita einerseits und Foxtrot und Polka andererseits ist, dass die ersteren synkopiert sind, insbesondere einen Habanera-Rhythmus enthalten. Damit kommen sie für mich durchaus in Frage als Variante für eine Milonga-Tanda, so wie die wienerischen Valses z.B. von Canaro für eine Vals-Tanda.
Foxtrot und Polka hingegen haben keine Synkopierung und vermitteln ein völlig anderes Feeling, das nicht zum Tanz Milonga passt.“

Aber doch, Foxtrott weist durchaus Synkopen auf – das immerhin musste sie nach dem Einwand eines Kollegen zugeben. Aber:

„Du hast recht (…), im Foxtrot gibt es auch Synkopen. Aber nicht solche, die zum Milonga-Tanzen einladen (Habanera-Rhythmus).“

Soweit ich das also verstanden habe:

Von dem ganzen komischen Zeug sollte man besser die Finger lassen. Es könnte Leute verwirren, die daran gewöhnt sind, zum hundertsten Mal auf „Milonga sentimental“ zu tanzen. Mag ja sein, dass man sowas in Buenos Aires auflegt, aber die können halt die speziellen Tänze – einfach einen Tango oder eine Milonga dazu aufs Parkett legen geht gar nicht. Über all das hat der „traditionelle“ DJ zu wachen.

Und Foxtrott hat die falschen Synkopen – keiner möchte bekanntlich auf die Piste, wenn so etwas erklingt (höchstens ein Argentinier):



Daher lässt sich Theresa Faus zum folgenden Satz hinreißen:

„Einem DJ, der Polka oder Foxtrot auflegt, würde ich am liebsten den Laptop zuklappen.“

O je, kommt nun das „Faus-Recht“? Na, Gott sei Dank lege ich mit CDs auf, da kann mir nix passieren… Aber ich find es schon stark, was da hinter gutbürgerlichen Fassaden köchelt. Letztlich ist das ein Freibrief für eine bestimmte Sorte von Menschen, welche nichts dabei finden, DJs auf Milongas anzuranzen, wenn sie sich „ideologischer Abweichungen“ schuldig machen.

Irgendwie erinnern mich Logik und Diktion an untergehende Systeme, deren Protagonisten bis zum letzten Moment eisenhart versuchen, die Massen auf Parteilinie zu halten, welche längst auf dem Weg zu Spaß (und Bananen) sind:


„Ay qué miedo tengo“ Oh,  wie es mich gruselt!

Quelle:Tango-DJing. Tools, Tricks, Tipps und Topics“, Post vom 27.9.19

P.S. Und nun erfreut mein sudetendeutsches Herz noch Ernst Mosch mit seiner Synkopenpolka" (herzlichen Dank für den Tipp an Rainer Lehmann):



Kommentare

  1. Da kann ich nur Asterix zitieren: "Die spinnen, die Römer!" Aber es ist wirklich schon wie in der Politik: Kabarettisten sind überflüssig weil das reale Leben schon arg genug ist. Und dann will ich nur hoffen, dass jeder der Tänzer in der Musikstunde aufgepasst hat und weiß was eine Synkope ist...

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    1. Lieber Ernst Kopica,

      ja, das sind schon sehr verwunderliche Diskussionen. Am schlimmsten finde ich, dass interessante Musik stets den "Dogmatismus-Test" zu bestehen hat, bevor man sie auflegen darf. Lasst doch die Besucher mit den Füßen entscheiden!

      Übrigens hat die angesprochene DJane nun zugegeben, dass sie statt "Synkopen" eigentlich "Punktierungen" meinte. Immerhin.

      Danke und herzliche Grüße!

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    2. "Eine Synkope ist ein kurzzeitiger Bewusstseinsverlust. Sie ist die Folge einer Minderdurchblutung des Gehirns, die verschiedene Ursachen haben kann." (Techniker Krankenkasse) "Punktieren bezeichnet ... das gezielte Setzen einer Nadel oder eines anderen spitzen Instrumentes..."
      Die Definitionen gelten selbstverständlich nur im medizinischen Kontext und bringen uns bei ideologischen Auseinandersetzungen keinen Schritt weiter. In der Musik dienen solche unerwarteten und also auch unerhörten rhythmischen Variationen der Spannungserzeugung.
      Parallele könnte also sein, dass das Aufbrechen eines Taktschemas zu einem Verlust der Haltungskontrolle (Stolpern, Stürzen) führen könnte, glücklicherweise aber laut Definition vorübergehend auftritt und keiner besonderen Behandlung bedarf.
      Mein Vorschlag: Wer eine traditionelle Milonga ankündigt und sich an den hörgewohnten Synkopen versündigt, sollte seine Milonga nicht ohne das Rote Kreuz planen, auch nicht ohne Security, die verhindert, dass der Laptop zugeklappt wird. Deutlich vernünftiger wäre, sich schon vorher bewusst zu machen, dass eine Milonga ja nicht in erster Linie den Zweck verfolgen sollte, dem Publikum zu tänzerischem Spaß zu verhelfen; von Kindesbeinen an haben wir doch gelernt, wie leicht Späße aus dem Ruder laufen können!
      Andererseits muss die Milonga ja nicht unbedingt als traditionell angekündigt werden. Das hätte dann den Vorteil, dass schon im Vorfeld klar ist, dass sich die Veranstaltung an TänzerInnen mit Trittsicherheit und Taktgefühl wendet.
      Spaß beiseite: Wie lange müssen wir diese Quatschdebatte eigentlich noch mitmachen?

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    3. Lieber Klaus Windisch,

      ich bin da eher optimistisch: Die Dogmatiker kommen damit selbst in Foren vorwiegend traditioneller Aufleger kaum noch unkritisiert durch.

      Aber der Quatsch hat doch auch seine hinreißend komischen Seiten. An die Parallele mit den medizinischen Bedeutungen hatte ich noch gar nicht gedacht.

      Aber eine Milonga nur für Tanzende mit "Trittsicherheit und Taktgefühl"? Das ist schon ein ziemlich extremes Ansinnen...

      Herzlichen Dank für die Ergänzung und beste Grüße
      Gerhard Riedl

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  2. Lieber Gerhard Riedl,
    ein echt toller Beitrag von Ihnen! Da ich nicht auf Facebook bin, kann ich die Beiträge dieser Gruppe leider nicht lesen, aber Sie haben ja eine schöne Zusammenfassung geschrieben, die einen umfassenden Einblick in die Szene gibt. Und das deckt sich durchaus mit meinen Erfahrungen, die ich auf Milongas gemacht habe. Es wird so viel Quatsch von ewig Besserwissern verbreitet, dass man sich kaum diesem Unsinn entziehen kann. Vielen Dank für diesen Beitrag!
    Jens Priesner

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    1. Lieber Jens Priesner,

      das Lob freut mich natürlich sehr!
      Es bestärkt mich, weiterhin zwischen den Polen des Irrsinns einen Platz in der Mitte freizuhalten.
      Letztlich sind es halt immer wieder Versuche, den Tango in Schubladen zu verteilen und mit dem Kopf statt mit dem Herzen zu tanzen.

      Vielen Dank und beste Grüße
      Gerhard Riedl

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  3. Ich weiß zwar nicht, warum Theresa keine "Otros Ritmos" spielt, gebe aber gerne zu, dass sie mir auf ihren Dienstagsmilongas eigentlich nie gefehlt haben (Obwohl ich durchaus gerne dazu tanze und Rumba, Polka etc. durchaus erkennen und dazu tanzen kann).

    Mir hat Theresas Musikauswahl immer Spaß gemacht.

    Vielleicht sollten wir es schlichtweg jedem DJ(ane) überlassen, welche Musik er oder sie gerne auflegt. Ich finde, es gibt ausreichend Wahlmöglichkeiten für jeden.

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    1. Lieber Wolfgang,

      warum muss man bei mir eigentlich immer Türen einzurennen versuchen, die sperrangelweit offen sind?

      Jeder DJ darf doch gerne die Musik auflegen, die er für geeignet hält. Warum Theresa keine "otros ritmos" spielt, kann ich dir aber schon beantworten: Weil sie seit Jahren das Marktsegment der "Hardcore-Traditionalistin" besetzt und verteidigt. Aber das ist ihre Sache.

      Warum ich diesen Artikel geschrieben habe, hat vor allem zwei Gründe: Erstens hat mich die filigrane Debatte amüsiert, warum man einen Maxixe, der sowas nach Milonga klingt und Lust zum Tanzen macht, doch nicht auf einer Tradi-Milonga auflegen sollte - und vor allem die Intoleranz, die aus dem Satz aufscheint: „Einem DJ, der Polka oder Foxtrot auflegt, würde ich am liebsten den Laptop zuklappen.“

      Mit solchen Sprüchen hat man hohe Chancen, auf meinem Blog zu landen.


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