Die Qual der Wahl

 

„Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit einem durchschnittlichen Wähler.“ (Winston Churchill)

In meinen Artikeln halte ich mich meist von der „großen Politik“ fern. Ich finde, es gibt genug Journalisten, die davon mehr Ahnung haben als ich – und warum soll ich etwas schreiben, was man bereits in Dutzenden von Artikeln genauso oder besser lesen kann?

Da ich ausnahmsweise doch mal glaube, etwas dazu beitragen zu können, weise ich vorsorglich darauf hin: Ich habe nie eine Garantie dafür gegeben, dass es hier ausschließlich um Tango geht. Daher: Auch andere Themen kommen gelegentlich vor. Ich darf das – es ist nämlich mein Blog!

Was viele ihm nicht zugetraut haben, hat der SPD-Spitzenkandidat Dietmar Woidke in Brandenburg tatsächlich geschafft: Er verwies die AfD mit einem Vorsprung von 1,7 Prozent auf den zweiten Platz. Eine Koalitionsbildung wird schwierig, da man das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ beteiligen muss, das aus dem Stand 13,5 Prozent erreichte.

Dass die Sozialdemokraten Lieblinge der Medien sind, ist nicht zu befürchten. Bereits im Vorfeld hieß es, sollte Woidke verlieren, sei das ein Beleg für das Scheitern der Ampel-Regierung – und gewänne er, habe man den Beweis, dass die SPD nur ohne Olaf Scholz Wahlen gewinnen könne. Mit anderen Worten: Die Sozis können es eigentlich nur falsch machen. Das beruhigt irgendwie…

Gestern hörte ich im Fernsehen von einem „Politik-Experten“, die SPD habe einen „Problemsieg“ eingefahren. Na, immerhin besser als die „Problemniederlagen“ von CDU, den Grünen, den Freien Wählern oder gar der FDP, die mit 0,8 Prozent 1,2 Punkte unterhalb der Tierschutzpartei landete. Aber das sagt man lieber nicht so laut.

Sicherlich konnte sich Dietmar Woidke auf seinen Amtsbonus stützen: Ab 2004 diente er seinem Land als Minister – mit einjähriger Unterbrechung wegen der Frauenquote (wozu ich jetzt lieber nix sage). 2013 wurde er zum Ministerpräsidenten gewählt – und wird es wohl noch einige Zeit bleiben.

Als Ursache dieser Karriere sehe ich, dass er in preußischer Pflichterfüllung einfach seine Arbeit macht – nüchtern, unprätentiös und ohne große Sprüche. Das kommt offenbar trotz Fehlens jeglichen Charmes bei den Leuten an. Und er zieht seine persönliche Linie durch. So hatte er sein politisches Schicksal mit einem Wahlsieg verknüpft, was manche als „Erpressung der Wähler“ bezeichneten. Ich finde dagegen, jeder Kandidat hat das Recht, eine Wahl anzunehmen oder auch nicht. Auch Amtsträger haben Freiheiten. Die hat Woidke mutig genutzt. Und er gehört zum heute seltenen Politikertyp, der sich seine Meinung bildet, ohne vorher in Umfragen geschaut zu haben.

Woidke hat als Landesvater zunächst mit der Linken, dann mit CDU und den Grünen regiert – und das erstaunlich geräuscharm. Auch parteilose Minister gab es in seinem Kabinett.

Ohne Bundes- und Landespolitik gleichsetzen zu wollen: Wieso kriegt man das eigentlich in Berlin nicht gebacken?

Ich glaube, dass sie bei den Koalitionspartnern die Erkenntnis nicht durchgesetzt hat, dass man sich zum Streiten ins Hinterzimmer zurückzieht und erst die gefundenen Kompromisse öffentlich vertritt. Ich halte Mikrofone in der Nähe von Politikern für höchst gefährlich. Von Konrad Adenauer stammt der Satz, auf diesem Feld dürfe man zwar nicht lügen, aber ebenso wenig alles sagen, was man wisse. Wie soll eine Regierung das Volk überzeugen, wenn man einander ständig öffentlich widerspricht? Gerade die SPD hat sich zu sehr in die Rolle des Moderators grünen und gelben Gezickes drängen lassen, anstatt klar herauszustellen, dass der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt.

Und wenn sich zwei oder mehr sehr unterschiedliche Parteien auf eine Zusammenarbeit verständigen, sollte man tunlichst die Ideologie unter Verschluss lassen und nach praktischen Lösungen suchen.

Warum hat man beispielsweise beim Gebäudeenergiegesetz nicht fette Förderungen für freiwillige umweltgerechte Lösungen angeboten, statt den Eindruck zu erwecken, der Bürger könne sich demnächst von seiner Ölheizung verabschieden? Wieso weigert man sich, in Krisenzeiten die Reichen per Steuer kräftiger zur Kasse zu bitten? Oder ist es eine gute Idee, den Menschen aufzwingen zu wollen, wie sie geschlechtergerecht zu reden und schreiben hätten?

In einer Rundfunksendung hörte ich neulich von den Motiven der Menschen, die in andere Staaten auswandern (2023 zirka 300000 mit deutschem Pass, Tendenz steigend). Was mich sehr erstaunte: Ein nicht seltener Grund war, dass man hierzulande nicht mehr so sprechen könne, wie man es gewohnt sei. Mag das übertrieben sein oder nicht: Sprache ist ein wichtiges Identifikations-Merkmal und bedeutet für viele Heimat. Solche Bedenken sind linksgestrickten Gender-Ideologen offenbar egal.

Diese Themen kommen demagogischen Populisten natürlich wie gerufen. Jahrelang hat man sich um die Migrationsprobleme herumgedrückt und versucht, sie mit Bürokratie zu regeln. Damit hat man Parteien wie der AfD ein wunderbares Dauerthema geschenkt. Und man stürzte viele Kommunalpolitiker in Existenzängste. Nun plötzlich ist man bemüht, einiges zu ändern. Zu spät?

Statt Probleme zu lösen, setzte man auf möglichst knallige Etikettierungen: Rassisten, Faschisten, Nazis, Putinfreunde. Leider bestätigt das Enttäuschte und Zurückgelassene eher in ihrem Entschluss, Parteien mit Heilsversprechen zu wählen. Altbundespräsident Joachim Gauck brachte es kürzlich in einer Talkshow mit Caren Miosga auf den Punkt: Eine Nazi-Partei sei die AfD nicht – auch wenn sich Nazis in der Partei fänden. Ich füge hinzu: Viele ihrer Wähler verdienen das Etikett noch weniger. Populisten kann man nur dadurch entzaubern, indem man ihnen mit glasklaren Sachargumenten kommt.

Und die wären dringend nötig, denn man gibt sich in diesen Kreisen derzeit bürgerlich-bieder und verfassungstreu. Darauf hereinzufallen wäre fatal. Ließe man sie an die Macht kommen, würden sie ihre Idee eines völkisch-autoritären Staates gnadenlos durchziehen – zum Schaden Deutschlands.

Die Schwächen unseres Bildungssystems sieht man auch daran, dass es nicht gelingt, die Schwierigkeit politischer Abläufe, der Findung von Kompromissen zu erklären. Doch auch dumm bleiben zu wollen ist ein Menschenrecht.

Wahl und Qual liegen nicht nur sprachlich nahe beisammen. Aber Wahlen sind halt frei – die Politik muss sich mit den Ergebnissen abfinden. Bert Brechts ironischer Vorschlag, die Regierung solle sich ein anderes Volk wählen, wäre mit der Demokratie nicht vereinbar.

Nötig sind Politiker, die nicht nur gestanzte Parteisprüche von sich geben. Leider geht man mit denen – siehe das Beispiel Boris Palmer – nicht sehr freundlich um, da sie nicht ins System zu passen scheinen.

Wenn man in den sozialen Medien unterwegs ist, erlebt man bei vielen Beiträgen das Läuten des Totenglöckleins – je nach Präferenz aus ganz unterschiedlichem Anlass. Und das in einem Staat, in den zu gelangen Millionen alles daransetzen. Optimismus scheint eine undeutsche Tugend zu sein. Joachim Gauck hat es so ausgedrückt:

„In Deutschland gilt ja der als besonders intelligent, der besonders nachdrücklich klagen kann und das Elend dieser Welt beschreiben kann. Wenn Sie glücklich und dankbar sind, machen Sie sich verdächtig, geistig minderbemittelt zu sein.“    

Das ganze Gespräch ist noch in der Mediathek zu finden. Ich kann diese Stunde nur dringend empfehlen:

https://www.ardmediathek.de/video/caren-miosga/nach-den-wahlen-was-wird-aus-deutschland-herr-gauck/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2NhcmVuLW1pb3NnYS8yMDI0LTA5LTIyXzIyLTAwLU1FU1o

Und hier noch einige Impressionen vom Brandenburger Wahlkampf:

https://www.youtube.com/watch?v=kLD823ZbfNg

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Dietmar_Woidke

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/wahl-brandenburg-landtagswahl-liveticker-100.html

https://www.rbb24.de/politik/wahl/Landtagswahl/2024/brandenburg-wahl-2024-hochrechnungen-ergebnisse.html

https://www.bpb.de/themen/migration-integration/regionalprofile/deutschland/550949/auswanderung-aus-deutschland/

https://www.welt.de/politik/deutschland/article253647148/Caren-Miosga-Eine-Nazi-Partei-ist-sie-nicht-auch-wenn-Nazis-in-der-Partei-sind-sagt-Joachim-Gauck-zur-AfD.html

Kommentare

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