Schaut mal, wir können’s!
Wer öfters in Sachen Tango die sozialen Medien durchforstet, kriegt mit der Zeit eine Menge zu diesem Thema angeboten. Ich weiß nicht mehr, wie viele Vortanz-Videos ich auf diese Weise schon bestaunen durfte.
Nun ist es ja verständlich, wenn Paare und Veranstalter Wert darauf legen, dass ihr Angebot sich herumspricht und man schöne Tänze bewundern kann. Werbung muss sein!
Auf große Abwechslung sollte man
dabei aber nicht hoffen. Da derzeit der gravitätische Schleichtango
angesagt ist, werden Männer zur Bewunderung freigegeben, welche
majestätisch wie ein Kapaun auf Dope sowie streng blickend den Geigenteppich entlang
stolzieren, während die Weibchen mit geschlitztem Fummel der
Beinhebe-Artistik frönen. Wobei ich nie weiß, was der Hauptzweck der Übung ist:
die flirrenden Füßchen oder das sich hebende Röckchen. Na gut – dürfte beides
Kunden bringen. Dazu erklingt in geschätzten 95 Prozent der Fälle irgendwas bis
höchstens 1950. Meist ein Tango. Man will sich ja nicht unnötig
anstrengen. Daher beginnt der Tanz meist erst nach 30 Sekunden. Nur nichts übereilen!
Hieß es von den Altvorderen nicht, jeder müsse seinen eigenen Tango finden? Meist blieb die Suche wohl erfolglos – die Shows gleichen sich wie ein Ei dem anderen.
Ähnlich gestrickt sind die Videos, welche gern am Ende eines Kurses oder eines Workshops gedreht werden. Meist tanzen die Lehrkräfte etwas, von dem sie vorgeben, es den Schülerinnen und Schülern beigebracht zu haben. Natürlich in überzeugender Perfektion. Nur die Kleidung ist eher leger. Man will sich ja nicht extra umziehen, wofür ich in der Regel äußerst dankbar bin!
Die Lehrgangs-Teilnehmenden heben, nachdem sie ihre Beine nicht benützen dürfen, brav ihr Smartphone, um der Nachwelt zu hinterlassen, was sie glauben, gelernt zu haben. Wobei sich das meist erübrigt, weil das Produkt – in besserer Kameraführung – nach einigen Tagen eh auf Facebook oder YouTube zu besichtigen ist.
Am Schluss spendet das Publikum Applaus
für die Lehrer. Schön, dass die es können! Leider ist das aber völlig egal.
Hier ein sehr typisches Beispiel:
https://www.youtube.com/watch?v=it9h_gwvJ18
Weiteres Schulungsmaterial habe ich innerhalb von wenigen Minuten gefunden. Ich frage mich, wozu man dann noch für Workshops bezahlt.
https://www.youtube.com/watch?v=A7TGj_DvZrI
https://www.youtube.com/watch?v=jE91Q0OzQrg
https://www.youtube.com/watch?v=0WhchAb8PAs
https://www.youtube.com/watch?v=oJkfzZ0pphg
https://www.youtube.com/watch?v=UDaynkdtAtY
Leider wird mir nicht immer klar, was da eigentlich
gelernt werden sollte. Die Video-Beschreibungen dazu fallen meist sehr
dürftig aus. Im letzten Beispiel kapiere ich nicht, was da die „Bewegung
vor der Bewegung“ bedeuten soll. Aber irgendwas ultimativ Schlaues wird
es wohl sein! Ob das hinterher einer kann, ist sowieso Banane.
Die generelle Botschaft aber kann man nicht übersehen: „Schaut mal, was unsere Teilnehmer für tolle Sachen lernen!“ Einen Beweis dafür bleibt man so gut wie immer schuldig, da man praktisch nie die hernach tanzenden Schülerinnen und Schüler zeigt.
Da manchmal Milongas nach solchen Unterrichtungen stattfinden, bleibt mir trotzdem genügend Material zur Beobachtung: Meist ahne ich dunkel, welche Neuheiten man da probiert, wobei es sehr oft nach einer Tango-Parodie aussieht. Sicher – man müsste es noch intensiv zu Hause üben. Doch das ist heute kaum zu befürchten – man hat es ja auf Video.
Wichtig ist für Lehrende aber die Botschaft: „Schaut mal, was man bei uns Tolles lernt!“ Weiterhin natürlich die Verbreitung des alten Irrglaubens: Wer derart super tanzt, kann auch gut unterrichten. Das stimmt schon deshalb nicht, weil Profi-Showpaare an ihrer eigenen Performance arbeiten. Da bleibt wenig Zeit, über Lehrveranstaltungen nachzudenken. Die sind schlicht das glamour-induzierte Zubrot.
Trotz vieler gegenteiliger Beteuerungen werden meist neue Schrittfolgen gelehrt. Und die müssen natürlich neu und super-cool erscheinen. Zu einem Workshop „Schöne Rückwärtsochos“ meldet sich kaum jemand an, obwohl das bitter nötig wäre. Aber die, so der kollektive Irrtum, kann man ja schon. Also bucht man Lehrgänge zu irgendwelchen eingesprungenen Doppelaxeln, welche die Mehrzahl hoffnungslos überfordern. Die Lehrkräfte wissen das natürlich, machen aber gute Miene zum schrecklichen Spiel – und hüten sich, die Ergebnisse per Video vorzustellen.
Ich finde, das Unterrichts-Unwesen im Tango ist in großen Teilen eine Anleitung zum Selbstbetrug.
Beim besten Tanzsport-Trainer, den wir je hatten, buchten wir einst einige wenige Privatstunden – wenn ich mich recht erinnere, zu einem jeweils knapp dreistelligen DM-Preis. Den rechtfertigte er so: „Ich packe euch in 60 Minuten so viele Informationen zusammen, dass ihr einige Monate brauchen werdet, das alles zu verdauen.“ Genauso war es – und wenn wir mal mit unserem Paso Doble beim Turnier eine gute Wertung erzielten, was es auch sein Verdienst. Ich glaube, es waren insgesamt weniger als fünf Einzelstunden, die wir uns leisteten – und jeweils monatelang verarbeiteten.
Gute Trainer können einen beim Tanzen enorm
weiterbringen. Wie gut sie es selber auf dem Parkett hinbekommen, ist
zweitrangig. Aber sie benötigen sehr viel Erfahrung, um zu erkennen, wie
sie Lernende gezielt fördern können. Vor allem einen Blick dafür, welcher Tanzstil
sich da gerade entwickelt – und diesen klug und einfühlsam begleiten. Wer anderen
beibringen möchte, so zu tanzen wie man selber, schafft bestenfalls schlechte Kopien,
aber keine neuen Originale. Aber bezeichnenderweise sollen ja in Gruppenkursen alle dasselbe lernen. Der Exerzierplatz lässt grüßen! Und das beim „reinen Improvisationstanz Tango" - es ist wirklich bekloppt!
Aber Lehrende bleiben erfolglos, wenn sich ihre Schülerinnen und Schüler nicht plagen wollen. Die Alternative ist halt:
Man hat es in den Füßen oder auf Video.
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