So tanzt man den Tango!

 

Kürzlich schrieb ein Leser in unserer Facebook-Tangogruppe:

„Es wird Zeit, dass wir mal lernen, zwischen den verschiedenen Genres innerhalb des Tango zu unterscheiden:

Bühnentanz/Show

Tango-Social auf der Milonga

vielleicht noch Wettbewerbstanz

???

Dann wäre sicherlich manches einfacher zu verstehen.

Und dieses ‚immer schöner-größer-besser‘ aus dem Showtanz aus den Milongas für Jedermann zu verbannen – und dort einfach nur zu tanzen für Spaß an der (Tanz)Freude“

Gut, mit dem Spaß bin ich völlig einverstanden. Weniger allerdings mit den Reglements, die ihn mir verderben. 

Im Tango ist es offenbar dringend nötig, die Dinge stets in die vielen bereitgestellten Schubladen zu sortieren. Insbesondere beim Bühnentango" und dem „Salontango“ scheint es sich um zwei verschiedene Tanzarten zu handeln. Wobei man gerne alles, was man selber nicht kann, als „Show“ einordnet.

Ebenfalls auf Facebook schrieb eine Kommentatorin zu einem Video mit Gustavo Naveira und Gisella Anne:  

„Ist halt eine Show. Und Show hat nach meinem Verständnis nichts mit der Idee des Tango zu tun.“

Tja, was ist die „Idee“ des Tango? Auf Nachfrage lieferte die Dame einen wissenschaftlich geprägten Text, der nicht von ihr stammt. Was für sie selber Tango bedeutet, verschweigt sie leider – bis auf das Wort „Schmerz“.

Tango: Tanz mit Migrationsgeschichte — Presseportal (hu-berlin.de)

Ich fürchte nur: Wäre es das einzige Merkmal des Tango, dass er wehtut, könnte man den Zulauf auf diesen Tanz kaum erklären.

Ebenso wenig überzeugt mich die Mär vom in sich gekehrten Gefühlsaustausch ohne jede Außenwirkung. Dann müssten sich vor allem die Damen nicht so kostümieren – und die Herren nicht nach allen Pöstchen im Tango streben, die halbwegs Einfluss versprechen. In der Szene gibt es eine oft herbe Rangordnung, die nicht mit der Attitüde meditierender Mönche kompatibel ist.

Doch wenn wir im Tango schon so auf Traditionen stehen:

Die ollen Milongueros früherer Zeiten waren so extrovertiert wie möglich. Jeder bastelte an seinem eigenen, möglichst unverwechselbaren Stil, um sich von der Konkurrenz abzuheben und die Weiber zu beeindrucken. Viele klassische Tangos berichteten von Eifersuchtsszenen, bei denen die Migranten auch schon damals gerne das Messer zogen. Und auch die Damen taten ihr Möglichstes, um als die schönsten und besten Tänzerinnen rüberzukommen.

Interessante Geschichten ranken sich um den Tangoklassiker „Así se baila el tango“ („So tanzt man den Tango“) aus dem Jahr 1942, den das Orchester Ricardo Tanturi mit dem Sänger (und gelernten Arzt) Alberto Castillo populär machte – und den traditionelle DJs bis zur Besinnungslosigkeit abnudeln.

Glücklicherweise versteht kaum ein Tanzender bei uns den Text, in dem der Autor Marvil (Elizardo Martínez Vilas) ziemlich heftig mit der Upper Class abrechnet. In den Vorstädten war man nämlich nicht glücklich darüber, dass damals der Tango von den Schickimickis beschlagnahmt wurde. Also formulierte man deftigen Hohn und Spott – und wenn das etlichen Gästen nicht passte, gab es vom Sänger auch mal eine auf die Nase:      

„Vieles an Castillo war ungewöhnlich und erregte Aufsehen, vor allem die Art und Weise, wie er Streitereien anzuzetteln wusste. Er sang ‚Was wissen sie schon, die Dandys, die trendigen reichen Jungs mit ihren affektierten Manieren!‘ mit so viel Leidenschaft, dass sich einige der wohlhabenden Zuschauer manchmal beleidigt fühlten und zurückriefen. Dann stieg er von der Bühne, fing einen Faustkampf an und sang weiter, anscheinend ohne Rücksicht darauf, wie sehr sein Outfit darunter gelitten hatte.“

Und der Milonguero, der sich im Text äußert, schildert seine Vorzüge in den schillerndsten Farben:

Que saben los pitucos, lamidos y shusetas!
Que saben lo que es tango, que saben de compás!
Aquí esta la elegancia. Que pinta! Que silueta!
Que porte! Que arrogancia! Que clase pa’ bailar!

Así se baila el tango, mientras dibujo el ocho;
para estas filigranas yo soy como un pintor.
Ahora una corrida, una vuelta, una sentada…
Así se baila el tango, un tango de mi flor!

Así se baila el tango,
sintiendo en la cara
la sangre que sube
a cada compás,
mientras el brazo,
como una serpiente,
se enrosca en el talle
que se va a quebrar.
Así se baila el tango,
mezclando el aliento,
cerrando los ojos
pa’ escuchar mejor
como los violines
le cuentan a los fueyes
por que desde esa noche
Malena no cantó…

Así se baila el tango, mientras dibujo el ocho;
para estas filigranas yo soy como un pintor.
Ahora una corrida, una vuelta, una sentada…
Así se baila el tango, un tango de mi flor!

Was wissen sie schon, die Dandys, die trendigen reichen Jungs mit ihren affektierten Manieren!

Was wissen die schon vom Tango, was wissen die schon vom Rhythmus!

Das ist es, was Eleganz ausmacht. Was für ein Anblick! Was für eine Silhouette!

Welch eine Haltung! Und Arroganz! So viel Stil beim Tanzen!

So tanzt man Tango, während ich den Ocho zeichne;

für all diese komplizierten Bewegungen bin ich wie ein Maler.

Jetzt ein paar Seitwärtsschritte, eine Drehung, ein Stopp...

So tanzt man Tango, einen Tango, der mir gehört!

So tanzt man Tango,

das Gefühl im Gesicht,

Blut, das aufsteigt

bei jedem Takt,

während dein Arm,

wie eine Schlange,

sich um die Taille wickelt

die zu brechen droht.

So tanzt man Tango,

die Atemzüge vermischen sich,

die Augen schließend

um zu lauschen

den Geigen zu lauschen

und die Bandoneons, die sich fragen

warum Malena heute Abend nicht gesungen hat...

So tanzt man Tango, während ich den Ocho zeichne;

für all diese komplizierten Bewegungen bin ich wie ein Maler.

Jetzt ein paar Seitwärtsschritte, eine Drehung, ein Stopp...

So tanzt man Tango, einen eigenen Tango!

Quelle:

https://tanguito.co.uk/tango-culture/tango-lyrics/tango-lyrics-asi-se-baila-el-tango/

Dann lassen wir Herrn Castillo mal singen:

https://www.youtube.com/watch?v=tzmqW67iZNc

Was kennzeichnet also den Tango: Zurückhaltung oder Show? Innigkeit oder Selbstdarstellung? Sensibilität oder Aggression? Sehnsucht oder Frust? Glück oder Verzweiflung?

Ich meine, darüber haben sich die Vorfahren wohl wenig Gedanken gemacht. Sie tanzten einfach, weil es ihnen einen irren Spaß bereitete. Und man damit auch als armer Einwanderer Erfolg, ja Ruhm erwerben konnte. Allen, welche den Tango heute in säuberlich beschriftete Schubladen sortieren wollen, sei gesagt: Tango ist voller Widersprüche – und genau das kann süchtig machen. Man kann sie musikalisch und tänzerisch darstellen, aber niemals auflösen.

So tanzt man den Tango? Vielleicht auch ganz anders – schöner, größer und besser. Das muss jeder und jede für sich selber herausfinden!

Und man kann das Stück klassisch oder modern interpretieren. Daher nun noch die Version des Sexteto Mayor mit Adriana Varela:

https://www.youtube.com/watch?v=50fWbZpoJCQ



Kommentare

  1. "Was kennzeichnet also den Tango: Zurückhaltung oder Show? Innigkeit oder Selbstdarstellung? Sensibilität oder Aggression? Sehnsucht oder Frust? Glück oder Verzweiflung?"
    Ja.....all das!
    "DEN" Tango gibt es nicht, es gibt soviel Variationen, wie es Musik und Tänzer und Tänzerinnen gibt.
    Und wenn ich öffentlich tanze, ist es auch immer "Show"! Ich "zeige" mich. Ob nur meinem Tanzpartner oder auch allen anderen, entscheidet die Musik, die Stimmung, der Flow...und genau das liebe ich am Tango!
    Liebe Grüße
    Carmen

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    1. Liebe Carmen,
      da kann ich nur sagen: Ja, genauso ist es. Einfacher ist der Tango halt nicht.
      Liebe Grüße
      Gerhard

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