Risiken richtig eingeschätzt?

 

Nach Anschlägen wie in Solingen oder jüngst in München bemühen die Medien gerne die Feststellung, das „Sicherheitsgefühl“ der Bevölkerung leide heftig. Gerade im rechtsextremen Milieu wird die Angst, man könne auf dem nächsten Stadtfest einem Messerangriff zum Opfer fallen, natürlich gerne befeuert.

Was sind gefühlte und echte Lebensrisiken? Niemand geht dem genauer nach als die deutschen Versicherungsunternehmen, die ja beispielsweise bei Diebstahl, Unfall oder Tod zu bezahlen haben.

Ich habe einen sehr interessanten Artikel des „Gesamtverbands der Versicherer“ (GDV) entdeckt, dessen Zahlen allerdings Ende 2016 herauskamen. Ich glaube aber, die Tendenzen sind immer noch ziemlich realistisch. Untersucht wurden sie von der Technischen Hochschule Köln und der Universität Erlangen-Nürnberg.

Besonders häufig überschätzen die Menschen Risiken, die sehr drastisch ausfallen und von denen in den Medien entsprechend berichtet wird.

So liegt die Wahrscheinlichkeit, bei einem Terroranschlag zu sterben, bei zirka 0,000005 Prozent. „Verfügbarkeitsheuristiken“ nennen die Forscher das Phänomen, die Wahrscheinlichkeit eines Vorfalls umso höher einzuschätzen, je öfter man davon hört.

Das Risiko eines tödlichen Terroranschlags wird 30-mal höher vermutet als tatsächlich gegeben, die Wahrscheinlichkeit einer Autopanne wird dagegen um den Faktor 95 unterschätzt. 275-mal häufiger als vermutet ist ein Leitungswasserschaden, 350-mal ein Wohnungsbrand. In einen zivilen Rechtsstreit geraten kann man 200-mal häufiger als geschätzt – und die Gefahr, in den Verdacht einer Straftat zu geraten, ist mehr als 1000-mal höher als man annimmt. Es ist daher keine schlechte Idee, eine gute Gebäude-, Hausrats- und Rechtsschutzversicherung abzuschließen!

Offenbar glauben wir, unser eigenes Leben besser im Griff zu haben, als es tatsächlich der Fall ist. Dinge, die unserem positiven Selbstbild widersprechen, passieren höchst selten. Merke: Wenn uns Schlimmes zustößt, sind stets andere schuld.

Weiterhin haben es die Deutschen offenbar nicht so mit den Zahlen, so dass sie mit Wahrscheinlichkeiten schlecht rechnen können. Mit wieviel muss man eine Million multiplizieren, um zu einer Milliarde zu gelangen? Die richtige Antwort (1000) wissen hierzulande nur 37 Prozent.

Sich zu verschätzen kostet manchmal das Leben. So benützten nach den Anschlägen vom 11. September viele US-Amerikaner monatelang auch bei weiten Strecken das Auto statt des Flugzeugs. Mit der Folge, dass in dieser Zeit zirka 1600 Amerikaner mehr starben als im Straßenverkehrs-Durchschnitt (gut halb so viel wie bei den Anschlägen selbst). Auch in Deutschland ist das Auto – nach dem Fahrrad – das gefährlichste Verkehrsmittel!

Einige weitere Beispiele:

Hätten Sie gewusst, dass sich die meisten tödlichen Unfälle in Deutschland im Haushalt (zirka 8000 pro Jahr) ereignen – gefolgt vom Straßenverkehr (derzeit knapp 3000)?

Pro Jahr trifft jeden 33. ein Leitungswasserschaden, ein tödlicher Motorradunfall nur jedem 130000. Jeder 40. gerät jährlich in einen zivilen Rechtsstreit, jeder 150. verliert (befristet oder dauerhaft) seine Fahrerlaubnis. Durch ein Gewaltverbrechen stirbt aber nur jeder 120000. Jeder 5500. muss jedoch damit rechnen, dass ihm in einem Jahr das Auto geklaut wird!

Den angesprochenen Artikel finden Sie hier:

https://www.gdv.de/gdv/themen/leben/risiken-richtig-einschaetzen-koennen-viele-eher-nicht-21698

Verbunden damit können Sie auch einen Selbsttest machen, der Ihnen manche Illusionen rauben dürfte:

https://www.kenn-dein-risiko.de/

Leider erfasst die Untersuchung nicht das Risiko, auf einer Milonga durch einen Fußtritt (Gancho) verletzt zu werden – zweifellos ein wesentlicher Mangel der Studie!

Zum Weiterlesen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/08/glauben-was-sich-richtig-anfuhlt.html

P.S. Und wenn Sie Ihren Orthopäden glücklich machen wollen – verüben Sie irgendeinen Tanz, den Sie nicht können, aber nicht Tango! Er wird es Ihnen danken – Ihr Haftpflichtversicherer eher nicht.

Motto: Wer scheiße tanzt, den bestraft das Leben:

https://www.youtube.com/watch?v=k2UqhvI4UZo

P.P.S. Hier noch ein sehr interessantes Interview mit einem englischen Risikoforscher, auf das mich mein Leser Rainer Lehmann aufmerksam gemacht hat:

https://www.spiegel.de/spiegel/risikoforscher-david-spiegelhalter-ueber-alltagsrisiken-und-micromorts-a-1155888.html

 

 

Kommentare

  1. Gerade noch so die Kurve zum Tango gekriegt.

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    1. Zu diesem Thema möchte ich einmal umfassend Stellung nehmen:
      Als ich vor bald 11 Jahren dieses Tangoblog eröffnete, konnte ich nicht genau voraussagen, wohin die Reise gehen würde. Richtschnur war natürlich der Tango – aber auch insgesamt Themen, die mich interessieren. Mit den Jahren gab es zwei weitere Blogs zum Lehrerberuf und der Zauberei.
      Ich habe mir bewusst keine engen Grenzen gesetzt, sondern wollte Artikel nach Lust und Laune gestalten.
      Während der Corona-Pandemie veröffentlichte ich 134 Beiträge, die teilweise, aber nicht alle mit Tango zu tun hatten. Unter dem Label „Off Topic“ habe ich 52 Texte publiziert. Daraus folgt, dass schätzungsweise 90 Prozent der Artikel einen klaren Tangobezug haben.
      „Die Kurve zum Tango kriegen“ muss ich aber nie. Ich genieße den Luxus, mich beim Schreiben nach niemandem richten zu müssen, weil ich mit dem Schreiben und auch dem Tango keine Einkünfte erziele und mich nicht als Vertreter irgendeiner Interessengruppe sehe. So bleibt mein Blog, was ursprünglich als „Weblog“ begann: ein elektronisches Tagebuch.
      Wer ausschließlich Texte zum Tango lesen möchte, möge sich an den „Labels“ orientieren. Dann hat er immerhin die Auswahl unter fast 1700 Veröffentlichungen. Das dürfte reichen. Und es kommen ja weiterhin neue Artikel dazu!
      Und wer sich ausschließlich für Tango interessiert, könnte sich einmal fragen, ob ihm im Leben nicht doch einiges entgeht.

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