War das gut? Ein DJ-Fragebogen
Jüngst fand ich den folgenden Fragebogen auf dem bekannten
britischen Tangoblog „MsHedgehog“.
Unter dem Titel „Was that good? DJ
questionnaire” sollen sich Milongabesucher Gedanken über die Leistung des
Auflegers machen. Ich habe den ellenlangen Text etwas gekürzt und übersetzt:
Musikalische
Grundlagen
War eine Musik nicht geeignet, um Tango sozial zu tanzen?
Zum Beispiel: Sie
fordert dich auf, still zu stehen und zu posieren wie ein Vollidiot anstatt zu
tanzen.
Es ist unmöglich, ihr
genau zu folgen, wenn Sie die betreffende Aufnahme nicht auswendig kennen.
Sie empfiehlt
dringend große, schnelle, dramatische Bewegungen und plötzliche
Geschwindigkeitsänderungen, die für das soziale Tanzen im verfügbaren Raum grob
und unpraktisch sind.
Es ist großartige
Tanzmusik, bringt aber das Schlimmste in den tatsächlich anwesenden Tänzern
hervor.
Wenn Sie Zweifel haben, schauen Sie sich den Raum als
Ganzes an: Fingerzeige sind, dass die Tanzlinie nicht mehr fließt und im Chaos
zusammenbricht, es gibt viele Abstürze und die meisten wirklich guten Tänzer
setzen sich hin, verstecken sich oder gehen rauchen, es sei denn, jemand packt
sie.
Keines dieser
Probleme ist aufgetreten.
Ein oder zwei unangenehme
Momente
Mehrere
zwielichtige Abschnitte
Tanda nach Tanda,
ich war gelangweilt, gequetscht oder beides
Wurden Sie jemals von einem Stück erwischt, das nicht in
diese Tanda passte und Ihnen oder Ihrem Partner Schwierigkeiten, Verlegenheit
oder Enttäuschung bereitete? Zum Beispiel:
Eine abrupter
Wechsel der Stimmung oder des Stils mitten in der Tanda, so dass Sie das Gefühl
hatten, Sie müssten Ihren Kopf abschrauben und wieder anschrauben.
Ein irreführender
Opener, bei dem Sie eine Tanda ausgelassen haben, die Sie sonst gemocht hätten.
Ein schwaches oder
enttäuschendes Stück in der Mitte oder zum Abschluss
Übermäßig abrupte
Geschwindigkeitsänderungen
Eine gemischte
Tanda von Musik, die Sie lieber mit zwei verschiedenen Leuten getanzt hätten –
oder manche davon gar nicht.
Keines dieser Probleme
ist aufgetreten
Ein oder zweimal,
vielleicht Ansichtssache
Mehr, vielleicht Ansichtssache
Ein oder zweimal
definitiv!
Mehr als das
Die ganze Zeit
über!
Wie war die Klangqualität insgesamt, nicht auf einzelne
Titel bezogen?
Gut - ich konnte
die Musik fühlen und mich wirklich einlassen.
Okay - ich konnte
es überall hören.
schlecht - ich
konnte es nicht klar genug hören, um richtig hineinzukommen - gedämpft / kein
Details / keine Tiefe / zu leise / laut - aber trüb / verzerrt / zu laut, weil
der DJ taub ist.
Nicht zutreffend,
die Anlage dieses Veranstaltungsorts ist schlecht, daher kann ich es nicht
sagen.
Haben die Cortinas
dich glücklich gemacht?
Ja
Sie haben die Menschen glücklich gemacht, nur
nicht speziell mich.
Nein, sie waren im Allgemeinen nervig.
Sie erfüllten ihre Funktion nicht, ich konnte
nicht immer sagen, was eine Cortina war, oder sie spielten keine.
Nicht zutreffend -
diese Milonga hat eine No-Cortinas-Politik.
Prinzipielle
Grundlagen
Gab es im Verhältnis zum Tango (T) genügend Vals- (V) und
Milonga (M)-Tandas, und wurden sie in einer regelmäßigen Reihenfolge gespielt,
so dass Sie sich zurechtfanden?
Ungefähr richtig -
irgendwo im Bereich TTVTTM oder TTTTVTTTTM, was auch immer angesichts der Länge
dieser Milonga sinnvoll war.
Nicht genug -
TTTTTTTTTTM oder Ähnliches
Zu viel -
TVTMTVTMTVTM DJ WTF?
So chaotisch, dass
ich es nicht sagen konnte - TT VV TTTTVTTTTTMTMV oder so.
„Tanda" ist
nicht das richtige Wort.
Waren die Cortinas lang genug, um das Parkett zu räumen
und Ihren nächsten Partner zu finden, ohne die Sicht eines anderen zu
behindern, angesichts der Größe des Raums und der Annahme, dass sich irgendwo Plätze
zum Sitzen befinden?
Ja
Nein
Hat sich der DJ am
Ende gefällig mit etwas Nicht-Tango-Musik abgemeldet, damit sich die Leute herunterkommen
und aufräumen konnten, vorausgesetzt, dass dies möglich war?
Ja
Nein, er
nutzte die volle Zeit und hörte dann einfach auf.
Professionalität
Hatte die Musik die
volle Aufmerksamkeit des DJs?
Ja, die ganze oder fast die ganze Zeit
Ja, so viel wie nötig in der Situation
Weniger als das
Nein, er ging zum Rauchen raus und die Musik
hörte auf.
Nein, er schaltete eine Wiedergabeliste / CD
ein und verdrückte sich.
Wenn es Probleme mit
der Ausrüstung gab: Ist der DJ ruhig und kompetent mit ihnen umgegangen?
Ja, hervorragend - z.B. fuhr er nach Hause und holte
eine bessere Anlage, fand einen anderen Computer.
Erwartungen erfüllt – bearbeitete und behob die
Probleme.
Großes Theater! Kam aber damit zurecht.
Nein
Hatte der DJ
Schwierigkeiten, die Tonausrüstung zu bedienen?
Nein
Es gab eine Panne.
Es gab einige Probleme, verständlich unter den
gegebenen Umständen.
Der DJ war eindeutig unvorbereitet.
Schien der DJ zu
irgendeinem Zeitpunkt zu vergessen, wofür er da war? Verfolgte er
beispielsweise in einer dreistündigen Milonga eine zwanzigminütige Aufführung
mit einem fünfminütigen Jive-Track, zu dem nur ein einziges Paar in einer
inoffiziellen Bonusperformance tanzen konnte, während alle anderen wie bei
einem Hochzeitsfoto als Ölgötzen herumstanden - in der peinlichen Lage, so
tun zu müssen, als wären sie überhaupt nicht verärgert und hätten nichts
Besseres zu tun, als diese Eitelkeit zu verfolgen?
Nein
Ja
Ja, und dieses Paar bestand aus ihm selbst oder
seiner Partnerin / Ehefrau oder mindestens einem Partner des Paars, das gerade
vorgetanzt hatte.
Ja, aber unter den gegebenen Umständen war ich
damit einverstanden.
Wenn es eine
Einlage von Volkstänze gab wie Chacharera oder einen anderen Tanz wie Jive oder
Salsa, war es dann ein überlegtes Timing, nicht zu lang und für eine
vernünftige Anzahl von Leuten, die dort waren?
Ja, es hat Spaß gemacht, ich habe es genossen /
es hat mir nichts ausgemacht.
Nein, es war ein langweiliges Durcheinander,
niemand konnte dazu tanzen oder es dauerte die Stunde bis zum letzten Zug.
Es war ärgerlich, wurde aber von den
Gastlehrern oder vom Veranstaltungsort gefordert.
Härtere Fragen
War die Musik…
Angeberisch gewürzt mit dem Unverbesserlichen,
Unklaren oder Unpassenden
Über die Zeit gedankenlos arrangiert, die guten
Sachen verdorben, weil sie zu nahe beieinander lagen
Ok, aber monoton, zu viel von einer Sache
Gut, aber mit einem starken DJ-Stil, der
einfach nicht meinem Geschmack entspricht.
Angemessen variiert, mit einer guten Mischung
aus rhythmisch, lyrisch und dramatisch, je nach Situation
Brillant gemischt, jede Tanda fühlte sich an
wie eine perfekte Abwechslung nach der vorherigen.
Wie fühlte sich die
„Energie" im Raum an?
Verworren und chaotisch.
Niedrig. Ich oder meine Lieblingspartner konnten
nichts damit anfangen.
Etwas flach, ich mochte die Musik, hatte aber
irgendwie keine Lust, darauf einzusteigen.
Gut, es lief durchgehend.
Schön, es passte wirklich mit abwechslungsreichen
guten Gefühlen.
Fantastisch, ich hatte eine tolle Nacht, alle schnurrten,
alles floss und ich war auch sehr glücklich, wenn ich mal saß.
Wählen Sie drei
sehr gute soziale Tänzer aus (vorzugsweise Singles), die anwesend waren. Wie
viel schienen sie zu tanzen?
Überhaupt nicht, vielleicht ein oder zwei Tandas
mit der richtigen Person
Ein bisschen, wie üblich
Mehr als üblich
Immer, und mit der Partnerwahl mehr Risiken
eingehend als normal
Was haben Sie
subjektiv gedacht?
Es war genial, es war eine Offenbarung für
mich, es veränderte den Ort oder die Situation zum Besseren.
Er war sehr gut. Ich war sehr glücklich damit.
Er war gut, hatte aber einige Mängel, oder es
war gut gemacht, aber nicht mein Ding.
Es war gut und beständig, ich konnte mich damit
anfreunden, aber vielleicht war es nicht inspirierend.
Es war im Allgemeinen harmlos und bereitete mir
keine ernsthaften Probleme.
Nicht gut - es war schwach oder nervte mich ein
paar Mal.
Es war armselig. Ich kam damit nicht zurecht.
Wenn mal was Gutes aufkam, musste ich jemanden packen und tanzen.
Es war schlimm - ich oder meine gewünschten
Partner wollten einfach nicht tanzen. Es hatte keinen Sinn, zu bleiben.
Hier der Originaltext:
Mein Fazit:
Ich finde es enorm, welch umfangreichem Regelwerk heute DJs im Tango zu genügen haben: Wahre
Übermenschen werden da gefordert! Bei einem derartigen Anspruchsdenken der
Kundschaft sollte der Eintrittspreis
für eine Milonga nicht unter 20 €
liegen, denn für eine geringere Gage
als 500 € empfehle ich keinem, das zu machen.
Allerdings, so fürchte ich, werden sich – bei der Genauigkeit des Reglements – die Leistungen
der „Plattenreiter“ immer weniger
unterscheiden: Das Publikum möchte immer wieder das Gleiche, nur noch
schöner… Was herauskommt, ist ein normierter
Einheitsgeschmack.
Eindrucksvoll finde ich die defensive Tendenz des Textes: Ja keine Überraschungen, keine unbekannten
oder gar „schwierigen“ Stücke,
welche die Alphatänzer dazu veranlassen, noch seltener das Parkett zu betreten
als sonst oder überhaupt keine unbekannten Partnerinnen mehr aufzufordern! „Gefahren“, wohin man blickt – Neugier oder Wagnis? Forget it.
Wie wir heute wissen, tanzten die Argentinier auf den
Milongas der 1940-er Jahre problemlos auch zu „otros ritmos“, also einem zweiten Orchester, welches in der Hälfte
der Zeit Swing, Latinomusik oder sonstige, gerade angesagte Sachen spielte.
Warum? Ganz einfach: Weil sie es konnten.
„Tanzen“ war damals eine universelle
Fähigkeit.
Daher rührt auch die Irritation, wenn man
Allround-Tänzern erzählt, welche musikalischen
Finessen die EdO-Musik biete. Ja
klar, nur ist das für Leute, welche in zehn und mehr Tänzen zu Hause sind,
schlicht Pillepalle. Für den Rest
grenzt es an eine Weltsensation:
Die Tanzenden, welche heute auf den Milonga-Pisten
ihren Mangel an Fantasie ausleben, sind nämlich vorwiegend „one trick ponys“: Sie
können halt nur Tango – und auch den am besten zu historischer Musik. Bereits ein Foxtrott oder Wiener Walzer würde
sie in arge Bedrängnis bringen, von einem Tango nuevo ganz zu schweigen. Um vor
solchen und anderen Problemen verschont zu bleiben, müssen strenge Regeln her.
Soeben erreichte mich dieser Kommentar:
AntwortenLöschenHallo Gerhard,
Danke fürs zitieren und verlinken des Fragebogens. Ich finde ihn sehr gelungen! Vieles darin deckt sich mit den Prinzipien meiner DJ Tätigkeit und ich bin fest davon überzeugt, dass eine selbstkritische Anwendung die Sets vieler DJs enorm verbessern würde.
Beste Grüße
Manuel Frantz
Lieber Manuel,
AntwortenLöschenfast hätte ich geschrieben: "Das habe ich befürchtet!"
Nein - natürlich enthält der übersetzte Text einige richtige Erkenntnisse. Dennoch zeichnet er insgesamt ein Bild, zu dem ich ja - nicht nur in diesem Artikel - meine Ansichten erläutert habe. Aber das wird dich nicht wundern.
Besten Dank und schöne Grüße
Gerhard