Liebes Tagebuch… 53
Wirklich,
ich wollte zu diesen Musikgruppen
eigentlich nichts schreiben. Aber irgendwann wird es zu viel. Und schon gar
nicht treibt mich Futterneid – im Gegenteil:
Ich freue mich riesig, wenn auf Milongas Live-Musik
zum Tanzen geboten wird. Und wenn es toll läuft, steigt ja die Wahrscheinlichkeit,
dass der Veranstalter bald wieder einmal lebende
Künstler engagiert und nicht nur Konserven
bietet, die (wie Kollege Kröter
jüngst schrieb) „vor mehr als mindestens
70 Jahren eingedost“ wurden.
Im
Gegensatz zum genialen Multikulti-Produkt
Tango lassen mich Folklore
und Weltmusik meist eher kalt –
egal, ob es sich dabei um Zwiefachen, Chacarera, peruanische Balladen oder andere Produkte handelt. Daher
besuche ich keine Volkstanz-Veranstaltungen,
auch keine südamerikanischen, sondern Milongas,
in der Hoffnung, dass mir dort vor allem Tango
geboten wird.
Wie
gesagt: Das ist lediglich mein persönlicher
Musikgeschmack. Wem‘s gefällt, der darf gerne dazu tanzen – und ich nehme objektiv zur Kenntnis, dass dies
viele Gäste zumal auf „fortschrittlicheren
Milongas“ begeistert tun. Klar: Der meist zum Tragen kommende und sich über
mindestens fünf Minuten hinziehende gleichförmige Humpti-Dumpti-Rhythmus (gerne noch auf dem Cajón getrommelt) bietet
auch für mittlere Bewegungslegastheniker keinerlei Schwierigkeiten: „Happy clapping“ halt – Lichtjahre entfernt
von „Gänsehaut-Tangos“.
Und
das ist ja auch so romantisch, gell
(Tschuldigung: hach…) und kommt daher gerade beim weiblichen Publikum total an. Es ist daher sicherlich ein
Minderheitenproblem, dass ich mich nach dem hoffentlich bald einsetzenden Alzheimer sehne, welcher es mir
erleichtern würde, zu solch tänzerischem
Stumpfsinn auf dem Parkett 15 Minuten durchzuhampeln! Oder, noch besser,
mich vergessen zu lassen, welche Milonga ich eigentlich besuchen wollte.
Im
Ernst: Wie würden Besucher eines Kammermusik-Konzerts
reagieren, wenn sie im Laufe des Abends erführen, das Programm bestünde
lediglich zur Hälfte aus den zu erwarteten Sonaten,
Trios und Quartetten – den Rest des Abends würde „Erwin mit seiner singenden Säge“ gestalten und dabei Welthits wie „O sole mio“, „La Paloma“ und das „Kufstein-Lied“
zum Vortrage bringen? Es würde wahrscheinlich zur Androhung von Lynchjustiz
kommen…
Aber
ich muss mich wohl von der naiven Vorstellung trennen, dass man Milongas besucht, weil man die ganze Bandbreite der Tangomusik tanzen
möchte. Nein – je nach Zugehörigkeit zur Gruppe der „Traditionellen“ oder der „Avantgarde“
rührt man keinen Fuß zu Musik nach 1955 oder tanzt zu jedem Zeug, welches sich
entfernt nach einem Vierviertler anhört. Um Missverständnisse auszuräumen: „Non Tangos“ können das Salz in der
Suppe sein, nicht aber die Suppe im Salz!
Was
mich tröstet, ist ein zwerchfellerschütterndes
Erlebnis, das ich mit einer dieser Gruppen schon vor Jahren hatte, jedoch
bislang aus Gründen des Fremdschämens tapfer verschwieg:
Damals
waren die Musiker noch wild entschlossen, es doch mit dem einen oder anderen Tango zu versuchen. Ein argentinischer
Tangofreund war ebenfalls zu Gast, er saß ziemlich weit entfernt von mir. Als
die ersten Takte eines Klassikers (irgendein Titel in der Preislage von „El Choclo“) erklangen, trafen sich magnetisch
unsere Blicke mit leichtem Augenaufschlag. Wir wussten beide: Das wird nix.
Einige
Stücke später wurde ich dann positiv überrascht: Wie bereits am Vorspiel
erkenntlich, wollte man einen meiner Lieblingstangos
intonieren: „Nieblas del Riachuelo“.
Leider wurde ich Zeuge des Grauens: Bereits bei den ersten Zeilen verhaspelte
sich die Sängerin heillos im gar nicht so einfachen Cadícamo-Text und brachte damit den Gesamtvortrag zum Einsturz. Die Band musste aufhören. Ob sie dann
das Stück noch irgendwie hinbekamen oder nicht, habe ich vergessen.
Tief
luftholend suchte ich damals den Blick meines argentinischen Kollegen, der sich aber
schon dicht hinter mich gestellt hatte und mir spanisch akzentuiert ins Ohr
raunte:
„Sag jeeetz besseer
niiichts, muchacho!“
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